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Farbe ins Leben gebracht. 1856 revolutionierte ein Achtzehnjähriger die Chemie

London, Sommer 1859. „Purpurn gestreifte Kleider, die sich in Landauer drängen, Droschken füllen, auf Dampfer strömen, in Bahnhöfen wimmeln..., wie Zugvögel auf dem Weg ins Purpurparadies.“ So beschrieb Charles Dickens’ Wochenzeitschrift All the Year Round das Stadtleben jener Tage. William Perkin sah es mit Freude, bedeutete die Modefarbe Lila für ihn doch wirtschaftlichen Erfolg: Drei Jahre zuvor, gerade 18 Jahre alt, hatte der Chemiker in einem Labor im elterlichen Haus versucht, ein Malariamedikament herzustellen – und war stattdessen auf eine Substanz gestoßen, die das Weiß seines Seidentuchs in ein tiefes Lila verwandelte: Mauve. Ein Zufall, doch der junge Perkin besaß den Mut, eine ganze Fabrik für die neue Textilfarbe zu errichten. Nun hat sich der britische Journalist Simon Garfield auf Perkins Spuren begeben. Welche Umwälzungen die Entdeckung noch auslösen sollte! All das bietet reichlich Stoff für eine bunte, lebendige Sozial- und Industriegeschichte. Textilfarben gibt es von alters her, produziert aus natürlichen Grundstoffen, die zum Teil aus fernen Ländern herangeschafft werden mussten. Nicht so Perkins Lila, das er aus schlichtem Steinkohlenteer erzeugte. Und Mauve war erst der Beginn. Magenta, Anilingelb, Bleu de Lyon schufen die Chemiker, die ihm folgten. Kleider erstrahlten in den neuen Tönen und Würstchen erhielten ein besonders saftiges Rot. Teerfarben-Fabriken wurden aus dem Boden gestampft; Englands chemische Industrie florierte. Doch bald erschwerten Patentstreitigkeiten die Arbeit. Deutsche Firmen profitierten von anwendungsnäherer Hochschulforschung und gewannen schließlich die Oberhand – für manche Briten noch heute eine „nationale chemische Neurose“. Auch für die Medizin eröffneten sich ungeahnte Möglichkeiten. Robert Koch färbte menschliches Gewebe blau und fand so den Tuberkelbazillus. Einfärben und zugleich vernichten – diese Idee führte Paul Ehrlich zu einem Syphilis-Medikament und machte ihn zum Pionier der Chemotherapie. Doch damit immer noch nicht genug der Teerprodukte: Es folgten fotografische Materialien, Parfüms, Kunststoffe. Im fünfzigsten Jahr nach seiner Entdeckung wurde Perkin weltweit gefeiert, zu seinen Ehren trugen die Herren bei einem New Yorker Festbankett lila Fliegen. Doch auch die Schattenseiten der Chemie beleuchtet Garfield: Krankheiten und Umweltskandale. Bald nach der Jahrhundertwende hinterließen Konkurse und Fusionen nurmehr eine Hand voll mächtiger Chemiekartelle. Allen voran die deutsche IG Farben. Mit ihrer schrecklichen Verstrickung in Auschwitz endet Garfields Chronologie dann auch – nicht aber sein höchst lesenswerter Einblick in die Welt der Farben. Von aktuellen Beiträgen der Teerfarben zur Augenheilkunde und zum Kampf gegen den Krebs weiß er zu berichten sowie von ihrer Bedeutung für die Suche nach einem Malariaimpfstoff – für William Perkin wäre das wohl einmal mehr Grund zur Freude. Kurz: Ein durchaus lesenswertes Buch.

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