Direkt zum Inhalt

Die unverzichtbare Mitarbeit des Lesers

Der Physiker Luciano Rezzolla liefert in seinem neuen Buch eine anspruchsvolle Einführung in die wundersame Welt der Schwerkraft.

Mal wieder ein Buch über Schwarze Löcher. Kann das überhaupt noch interessant sein? Und ob! Denn Autor ist der in Frankfurt lehrende Physikprofessor Luciano Rezzolla, dessen Gruppe Teil des »Event Horizon Telescope« (EHT)-Teams ist. Diese internationale Kollaboration hat 2019 das Bild von M87*, dem Schwarzen Loch im Zentrum der Galaxie M87, veröffentlicht. Das Ergebnis ist zwar ziemlich unscharf, ging aber trotzdem wie ein Lauffeuer um die Welt.

Von den einsteinschen Feldgleichungen zu Gravitationswellen

Wie versprochen, widmet sich Rezzolla in den ersten vier Kapiteln der Schwerkraft: wie wir sie erfahren, wie sich unser wissenschaftliches Verständnis von ihr entwickelt hat und wie sie in der aktuell vorherrschenden Theorie, der allgemeinen Relativitätstheorie, beschrieben wird. Dazu diskutiert der Autor zunächst die »linke« Seite der einsteinschen Feldgleichungen, welche die Geometrie der Raumzeit beschreibt. Dann folgt die rechte Seite, wie also Materie den Raum krümmt. Es folgt ein Kapitel über Neutronensterne, bei denen die Schwerkraft unglaublich stark ist, die es aber gerade noch schaffen, nicht zu einem Schwarzen Loch zu kollabieren. Letztere sind dann Thema im sechsten Kapitel. Das darauf folgende berichtet von M87* und seinem berühmten Bild. Am Schluss beschäftigt sich der Autor schließlich mit Gravitationswellen, die seit 2015 regelmäßig aufgezeichnet werden.

Interessant an Rezzollas Buch ist vor allem das ungewöhnliche Niveau: Mitdenken ist erforderlich. Der Autor verzichtet beispielsweise nicht gänzlich auf Formeln, sondern verwendet an einigen Stellen Gleichungen, bei denen es weniger auf die tatsächlichen Details ankommt als vielmehr auf die darin beschriebenen Verhältnisse. So tritt etwa in vielen Gleichungen der Relativitätstheorie das Verhältnis aus der Masse eines Objekts zu seiner Ausdehnung auf – die so genannte Kompaktheit. Die Raumzeit-Krümmung und damit die Stärke der Schwerkraft ist direkt proportional zu dieser Kompaktheit. Durch diese mathematische Schärfe schafft es Rezzolla, eine Stufe präziser als die meisten populärwissenschaftlichen Bücher zu erklären, wie die einsteinsche Theorie funktioniert. Rezzolla gibt unumwunden zu, dass sein Buch aktives Mitdenken erfordert, aber die einfache Begründung dafür ist: Das macht es ja gerade spannend.

Außerdem sind die beiden letzten Kapitel allein schon deshalb interessant, weil sie aktuelle Forschungsthemen diskutieren. Wie das M87*-Bild entstand und was uns Gravitationswellen verraten, sind Beispiele dafür, dass die Relativitätstheorie trotz ihres über 100-jährigen Daseins keineswegs zum alten Eisen gehört. Allerdings bleibt es unverständlich, warum das Schwarze Loch Sgr A* im Zentrum der Milchstraße, dessen Entdeckung mit dem Physik-Nobelpreis 2020 geehrt wurde, nicht behandelt wird – bei ihm ist sich die Forschergemeinde ja bereits seit 2002 viel sicherer als bei M87*, dass dort tatsächlich ein Schwarzes Loch sitzt.

Leider haben sich im Buch eine ganze Reihe von Ungenauigkeiten eingeschlichen. Beispiele dafür sind: Bei der Merkurpräzession versäumt Rezzolla es zu erwähnen, dass die anderen Planeten des Sonnensystems eine zwölfmal größere Periheldrehung verursachen als der Unterschied zwischen Isaac Newtons und Einsteins Theorien. Oder: Die EHT-Beobachtungswellenlänge von 1,3 Millimetern ist keineswegs die kürzestmögliche Wellenlänge, wie darin zu lesen ist. Rund 600-mal kürzere Wellenlängen (im Infraroten) kann man ebenso zur Interferenz bringen – allerdings nicht über genügend große Distanzen, um die nötige räumliche Auflösung zu erhalten. Zudem verhaspelt sich der Text bei der Erklärung, wie Interferometrie funktioniert: Es klingt, als ob die Verstärkung der Radiosignale in einem konstruktiven Interferenzberg der Grund ist, warum man Teleskope kombiniert. Das ist falsch. Tatsächlich ist es das Auftreten der Interferenz, also von Bergen und Tälern der Intensität, was die hochauflösende Bildinformation trägt.

Wohl korrekt, aber leider etwas unverständlich bleiben die Bemühungen des theoretischen Physikers, die Photonenbahnen um ein Schwarzes Loch zu beschreiben: »In dem Fall startet das Photon bei x = 10 und y = 5,2, nähert sich dem Schwarzen Loch an, umrundet es vollständig, strebt wieder von ihm weg und verschwindet bei x = 10 und y = -5,5 aus dem Schaubild.« Das Schaubild findet sich aber leider auf einer anderen Seite, und selbst wenn man es betrachtet, muss man sich ziemlich konzentrieren, denn besonders groß ist es auch nicht. Bis dahin hat man wieder die Zahlen vergessen, wo man denn die richtige Linie suchen soll. Auf diesen Seiten des Buchs wird dem Leser unnötig viel Konzentration abverlangt, größere Bilder und eine bessere Platzierung von Text und Bild würden diese Abschnitte deutlich lesbarer machen.

Alles in allem legt Rezzolla ein lesenswertes Buch vor, das sich für alle lohnt, die sich nicht davor scheuen, beim Lesen mitzudenken. Falls es je eine zweite Auflage geben sollte, wünsche ich dem Buch, dass die Ungenauigkeiten und holprigen Stellen geglättet werden.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Riechverlust als Warnsignal

Der Geruchssinn kann dabei helfen, neurologische und psychische Erkrankungen früher zu erkennen. Warum das so ist und ob ein plötzlicher Riechverlust tatsächlich auf Alzheimer, Parkinson oder Depressionen hinweist, lesen Sie ab sofort in der »Woche«. Außerdem: Bekommt Google Konkurrenz?

Spektrum - Die Woche – Tierisch gut geträumt

Träume sind nicht uns Menschen vorbehalten, auch Tiere sind während des Schlafs zeitweise in anderen Welten unterwegs. Was passiert dabei im Gehirn, welche Funktion erfüllt das Träumen? Außerdem in dieser »Woche«: Gigantische Leerräume im All liefern wichtige Daten für die astronomischen Forschung.

Sterne und Weltraum – Schwarze Löcher - Gibt es Singularitäten doch nicht?

Der Mathematiker Roy Kerr fand einen vermeintlichen Fehler in der Beschreibung schwarzer Löcher durch Roger Penrose und Stephen Hawking. Lesen Sie, weshalb seine Argumente nicht stichhaltig sind. Der Asteroid Apophis wird sich im April 2029 der Erde dicht annähern. Die ESA plant mit ihrer Mission RAMSES den etwa 350 Meter großen Gesteinsbrocken zu begleiten. Wir stellen die Initiative „Astronomie als Kickstarter“ in Schulen vor und komplettieren unsere Serie „Der Weg zum Deep-Sky-Foto“ anhand konkreter Arbeitsschritte in Bildbearbeitungsprogrammen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.