Direkt zum Inhalt

Unschärfe als Programm

Die Physik des 20. Jahrhunderts hat die bis dahin geltende Vorstellung der Welt aus den Angeln gehoben. Dieser spannenden Epoche wendet sich der Journalist Tobias Hürter zu.

Das 20. Jahrhundert begann in naturwissenschaftlicher Hinsicht mit einem Paukenschlag. Am 14. Dezember 1900 hielt Max Planck vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin einen Vortrag, in dem er erklärte, Energie komme in kleinen Päckchen, also Quanten, vor. Die Kontinuität natürlicher Vorgänge war bis dahin einer der Grundpfeiler der klassischen Physik gewesen. Eine weitere Stütze kippte Albert Einstein wenige Jahre später mit der Relativierung der Zeit und des Raums in der speziellen beziehungsweise allgemeinen Relativitätstheorie.

Am umstrittensten aber war die Quantentheorie, welche die Objektivität und Präexistenz der atomaren Welt in Frage stellte: Beobachter, Messvorgänge und Umwelt sind plötzlich untrennbar miteinander verbunden – das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Relativitätstheorie und Quantenphysik erschütterten in den folgenden Jahrzehnten die Physik in ihren Grundfesten, führten sie damit aber auch in ungeahnte Dimensionen.

Ende des Höhenflugs

Der Abwurf der ersten Atombombe über Hiroschima beendete diesen Höhenflug auf tragischste Weise. So ist der 6. August 1945 ein Wendepunkt in der Geschichte der Physik. Der Atompilz begrub die (freilich nie da gewesene) »Unschuld der Wissenschaften«. Obwohl man die zeitlichen Koordinaten so präzise angeben kann, trägt der Journalist Tobias Hürter dem gewählten Titel seines Buchs »Das Zeitalter der Unschärfe« mehr als Rechnung: Diese Landmarken kommen quasi nicht vor.

Der Untertitel verweist auf »die glänzendsten und dunklen Jahre der Physik 1895–1945«. Unter Letzterem versteht der Autor offenbar nicht die bedeutendsten wissenschaftsinternen Seiten: Das Manhattan Project, also den Bau der Atombombe in Los Alamos, und ihren Abwurf über den japanischen Städten thematisiert er nicht. Genauso wenig behandelt Hürter die so genannte Deutsche Physik, eine politisch ausgerichtete Wissenschaft von Nazis in Deutschland, der er sich in nicht mehr als einzelnen verstreuten Sätzen nähert.

Von diesen entscheidenden und wirklich düsteren Abschnitten in der Geschichte der Physik erfährt man nahezu nichts – damit vermisst man die inhaltliche Hälfte des Titels. Mit den dunklen Jahren meinte der Autor wohl, dass missliebige und jüdische Wissenschaftler vertrieben wurden und um ihr Leben fürchten mussten, denn darüber schreibt er ausführlich. Das ist jedoch nicht ein dunkles Kapitel der Wissenschaft, sondern der Geschichte Deutschlands.

Über die ersten Jahrzehnte der Entwicklung der Quantenphysik berichtet der Autor hingegen auf unterhaltsame und gut lesbare Weise. Der 1927 von Heisenberg formulierten Unschärferelation, wonach sich gewisse physikalische Größen nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmen lassen, verdankt das Buch seinen Titel. Hürter verbindet wissenschaftliche Inhalte und Gedanken der vorgestellten Physiker mit teilweise äußerst detaillierten Episoden aus ihrem Privatleben, wobei man in diesen Fällen wohl eine gewisse dichterische Freiheit annehmen kann. Auch das Miteinbeziehen von biografiebestimmenden Faktoren, etwa Krieg oder die Flucht von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, tragen zu einem umfassenderem Eindruck bei, wenn auch immer in recht kurzen, teilweise einseitigen Spots. Das Buch lässt sich daher wie ein Episodenroman lesen, denn Nachweise und Fußnoten fehlen vollständig. Wer sich der Quantentheorie auf unterhaltsame Weise annähern möchte, ist hier gut aufgehoben.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Riechverlust als Warnsignal

Der Geruchssinn kann dabei helfen, neurologische und psychische Erkrankungen früher zu erkennen. Warum das so ist und ob ein plötzlicher Riechverlust tatsächlich auf Alzheimer, Parkinson oder Depressionen hinweist, lesen Sie ab sofort in der »Woche«. Außerdem: Bekommt Google Konkurrenz?

Sterne und Weltraum – Schwarze Löcher - Gibt es Singularitäten doch nicht?

Der Mathematiker Roy Kerr fand einen vermeintlichen Fehler in der Beschreibung schwarzer Löcher durch Roger Penrose und Stephen Hawking. Lesen Sie, weshalb seine Argumente nicht stichhaltig sind. Der Asteroid Apophis wird sich im April 2029 der Erde dicht annähern. Die ESA plant mit ihrer Mission RAMSES den etwa 350 Meter großen Gesteinsbrocken zu begleiten. Wir stellen die Initiative „Astronomie als Kickstarter“ in Schulen vor und komplettieren unsere Serie „Der Weg zum Deep-Sky-Foto“ anhand konkreter Arbeitsschritte in Bildbearbeitungsprogrammen.

Spektrum - Die Woche – Die Macht der Gute-Nacht-Geschichte

Vorlesen fördert nicht nur das Buchstabenverständnis, es ist sogar ein wichtiger Grundstein für die soziale Entwicklung. Was die Gute-Nacht-Geschichte alles bewirken kann, lesen Sie in der aktuellen »Woche«. Außerdem: Die Écalle-Theorie bringt endliche Antworten auf unendlich scheinende Fragen.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.