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Naturschutz: Wald statt Öl

Auf der einen Seite einer der artenreichsten Regenwälder der Erde und Heimat isolierter Indianerstämme, auf der anderen Seite eine Menge Öl, Schmiermittel der Weltwirtschaft und wichtigster Devisenbringer des Landes, das just unter diesem Urwald schwappt. Zusammen bringen sie Ecuadors Regierung in die Zwickmühle und ihren Präsidenten Rafael Correa auf eine interessante Idee.
Brennende Restölgrube in Ecuador
Der Regenwald zwischen dem Río Napo und dem Río Curaray ist ein Ökosystem der Superlative: Auf nur einem Hektar Fläche können hier mehr als 220 Baumarten wachsen – mehr als in Kanada und den USA zusammen –, und leben nach vorsichtigen Schätzungen 100 000 Insektenarten. Insgesamt beherbergt die Region 4000 Pflanzen-, 180 Säugetier-, 200 Reptilien- sowie Amphibien- und 570 Vogelspezies auf einem Areal, das nur 0,1 Prozent des gesamtem Amazonasraums einnimmt – und ständig wächst diese Liste, obwohl der eigens zum Schutz dieser Artenfülle gegründete ecuadorianische Yasuní-Nationalpark noch kaum gründlich erforscht wurde. Dennoch zählen ihn Tropenökologen bereits jetzt zu einem der weltweit fünf reichhaltigsten Vielfaltszentren.

Leckage an einer Ölpipeline | Die Ölförderung im ecuadorianischen Regenwald ist mit vielfältigen ökologischen und sozialen Problemen verbunden: Indianerstämme werden von ihrem Land vertrieben, Wälder zerstört und die Umwelt verpestet. Medizinische Studien zeigen, dass im Umfeld der Förderanlagen die Krebszahlen exorbitant ansteigen.
Neben der unzugänglichen Wildnis mit ihrer Biodiversität bewahrt Yasuní aber auch noch ein wichtiges kulturelles Erbe: Indianerstämme, die noch kaum in Kontakt mit der westlichen Zivilisation gekommen sind und nach Angaben von Guadalupe Rodriguez von Salva la Selva teilweise in freiwilliger Isolation leben. Die Völker der Huaorani, Tagaeri und Taromenane gewähren noch einen Blick in die Steinzeit des Menschen, als allein Jagen und Sammeln das Überleben sicherten. Um diese Stämme vor illegaler Landnahme, Holzfällern oder Goldsuchern mit ihrem Lebensstil und ihren Infektionen zu schützen – auf die das Immunsystem der Indianer nicht vorbereitet wäre –, erweiterte die ecuadorianische Regierung im letzten Jahrzehnt den Nationalpark um eine so genannte Zona intangible. Insgesamt rund eine Million Hektar sollen so für die Nachwelt bewahrt werden und wurden von den Vereinten Nationen als Welterbe der Menschheit anerkannt.

Mord und Totschlag

Die Reichtümer des Yasuní beschränken sich allerdings nicht nur auf seine Biologie. Sie liegen auch unter der Erde – und wecken zahlreiche Begehrlichkeiten. Prospektoren schätzen, dass etwa 920 Millionen Barrell Schweröl im Boden der Region versteckt sind: angesichts der gegenwärtigen Ölknappheit und -nachfrage ein kostbarer Schatz, der dem verschuldeten südamerikanischen Staat einen Haufen Devisen einbringen könnte, finanzieren doch Öl-Exporte mehr als vierzig Prozent des Staatshaushalts. Dazu kommt, dass dies das bislang letzte bekannte und unerschlossene große Reservoir des vermeintlichen schwarzen Goldes in Ecuador ist.

"Für die Stämme könnte die Öl-Förderung auf ihrem ureigenen Land den Weg ins Nichts und Aussterben bedeuten"
(Guadalupe Rodriguez)
Weite Teile des ecuadorianischen Amazonasbeckens – Hauptextraktionsgebiet des Landes – wurden deshalb in Konzessionen aufgeteilt und dafür größtenteils Förderlizenzen an in- und ausländische Firmen wie die brasilianische Petrobras, CNPC und Sinopec aus China oder Agip aus Italien vergeben. Darunter ist auch der Block 31 und das Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Ölfeld – genannt ITT –, die sich in weiten Teilen mit dem Reservat decken. Dazu kommen sechs weitere Konzessionen, die zumindest kleinere Bereiche des Parks berühren.

Experten wie Rodriguez befürchten daher das Schlimmste für die Indianer und die Artenvielfalt des Parks: "Für die Stämme könnte die Öl-Förderung auf ihrem ureigenen Land den Weg ins Nichts und Aussterben bedeuten." Befürchtungen, die nicht zu weit hergeholt sind, wie Fälle von Gesetzesbrüchen, Mord und Totschlag aus dem letzten Jahr beweisen. Im April 2006 starben nach Berichten der größten ecuadorianischen Zeitung El Comercio mehrere Taromenanes und Huaoranis durch Schüsse von Holzfällern, die illegal Holz in den Territorien der Indianer schlugen. Sie drangen unter anderem auf Straßen der Ölfirmen in die Siedlungsgebiete vor.

Der Fall Texaco

Auch Beispiele aus der Vergangenheit lehren, dass das Erdöl und seine Infrastruktur nicht zum Besten der Urwaldvölker sind. Vor über vierzig Jahren begann der US-Konzern Chevron-Texaco am Río Napo und Río Aguarico Öl zu fördern, schlug Straßen in den Wald, errichtete Bohrtürme, baute Pumpstationen, Arbeitersiedlungen und Verladestationen – und zerstörte nebenbei zwei Indianervölker: die Tetete und die Sansahuari. Ihre Mitglieder wurden vertrieben, strandeten in städtischen Elendsvierteln oder starben durch Alkoholmissbrauch und eingeschleppte Krankheiten. Heute existiert ihr Name nur noch als Bezeichnung für zwei Ölfelder.

Konzessionen in Ecuador | Große Gebiete des Amazonas-Tieflandes in Ecuador wurden an Erdöl-Unternehmen vergeben – darunter auch Nationalparks und Indianerreservate. Nun soll wenigstens der ITT-Block nicht angetastet werden, in Block 31 – mitten im Herzen des Yasuní – startet dagegen bald die Förderung.
Texaco fördert heute nicht mehr in Ecuador, seinen Müll hat das Unternehmen jedoch dagelassen: Über 600 offene Giftmüllhalden und 339 notdürftig verschlossene Bohrlöcher notierte die britische Hilfsorganisation Oxfam im ehemaligen Fördergebiet im Norden Ecuadors. Geschätzte 18 Millionen Liter mit Chemikalien verseuchtes Wasser – darunter Benzol, Toluol, Chrom, Barium, Blei und Kadmium – wurden über zwanzig Jahre hinweg pro Tag in die Flüsse der Konzession gepumpt, durch Leckagen, Pipelinebrüche oder Produktionsfehler sprudelten insgesamt 76 Millionen Liter Öl in den Regenwald und das Trinkwasser von mindestens 30 000 Menschen. Wo einst artenreicher Regenwald wuchs, bestimmt heute ausgedehntes Ödland das Bild, da Siedler den Erschließungsstraßen folgten und rodeten, doch angesichts der armen Böden mit ihren landwirtschaftlichen Versuche zumeist scheiterten.

Verschiedene medizinische Studien belegen, dass das Erkrankungsrisiko an Leukämie für Kinder im Umfeld der Ölfelder viermal so hoch ist wie im Landesschnitt, die Krebszahlen für Erwachsene übersteigen die aus anderen Teilen Ecuadors um 130 Prozent. Auch Erbgutschäden und Fehlgeburten sowie Missbildungen bei Neugeborenen treten gehäuft auf. Angesichts dieses Umweltdesasters haben nun mehrere tausend Menschen sowie die ecuadorianische Regierung Chevron-Texaco vor Gericht verklagt, damit das Unternehmen Schadenersatz zahlt und die Umweltverschmutzung beseitigt – etwa sechs Milliarden Dollar könnte eine Verurteilung den Konzern kosten.

Der Kampf um Yasuní

Aus den katastrophalen Folgen im nordöstlichen Amazonastiefland Ecuadors lernten Unternehmen und Regierung jedoch vorerst nicht, die Geschichte sollte sich rund um den Yasuní-Park erst einmal wiederholen: "Das Gebiet ist der wichtigste noch unberührte Regenwald Ecuadors. Doch für die Konzerne bedeutet es das letzte große Erdöl-Vorkommen des Landes", vermerkt Guadalupe Rodriguez bitter. Dazu kommt noch ein hausgemachtes Problem, auf das Klaus Schenck, der den Hamburger Verein Rettet den Regenwald in Ecuador unterstützt, hinweist: "Die geplante Ausbeutung der Ölfelder im Yasuní-Nationalpark ist erst durch die OCP-Pipeline (Oleoducto de Crudos Pesados, Schwerölpipeline) möglich, die zwischen 2000 und 2003 unter Finanzierung der landeseigenen nordrhein-westfälischen WestLB aus Düsseldorf durch ein Gemeinschaftsunternehmen aus sechs Ölfirmen gebaut wurde. Die WestLB stellte die höchste Einzelsumme für den Milliardenkredit und hatte als führende Bank ein Finanzierungskonsortium aus mehr als einem Dutzend Banken zusammengeführt. Seit der Inbetriebnahme funktioniert die OCP weit unter ihrer Kapazität von 450 000 Barrel pro Tag – momentan liefert sie nur knapp die Hälfte. Deshalb üben die Ölfirmen starken Druck auf die Regierung aus, um die Schwerölfelder ausbeuten zu können, damit sie die Investitionen in die Pipeline zurückbekommen und die Rückzahlung des Kredits gewährleisten."

Die brasilianische Petrobras beispielsweise drängt gegen den Widerstand der Huaorani auf eine Ausbeutung seiner Lizenzen in Block 31 und begann – ungeachtet der zu erwartenden Folgen für Wald und Indianer – mit dem Bau einer Zufahrtsstraße, auf der Ausrüstungsgegenstände und Arbeiter zu den Bohrlöchern transportiert werden sollten. Erst ein massiver Aufschrei von Wissenschaftlern, Umweltschützern und Menschenrechtsgruppen zusammen mit den betroffenen Stämmen sorgte dafür, dass der Plan 2006 vorerst auf Eis gelegt wurde und der Straßenbau zwei Kilometer vor den Parkgrenzen stoppte. Nun möchte die Firma das Gelände aus der Luft erschließen und nur zwei Plattformen mitsamt Verarbeitungsanlagen sowie eine Pipeline bauen.

Auch dafür muss allerdings gerodet werden und fallen giftige Abwässer sowie Abraum an. Der Lärm vertreibt scheues Großwild, und häufig versorgen sich die Arbeiter auch mit Fleisch aus dem Wald, sodass der Jagderfolg der einheimischen Indianer zurückgeht, wie es sich in der Nähe bereits bestehender Anlagen erwiesen hat. Andes Petroleum – ein Zusammenschluss der beiden chinesischen Staatsfirmen CNPC und Sinopec – wiederum führte im Oktober 2006 neue seismische Erkundungen in ihrem Block 14 durch und bohrte dort neue Probelöcher: mitten in einer der unberührtesten Regionen von Yasuní, einem wichtigen Territorium der Huaorani und in der Nähe zweier bedeutender Forschungsstationen.

Überraschender Vorstoß

Die Trumpfkarte für die Firmen schlechthin wäre allerdings die ITT-Konzession wegen ihrer großen Reserven, sie ist aber noch nicht an Unternehmen vergeben. Und trotz der stets knappen Haushaltslage und den Schwierigkeiten mit der OCP-Pipeline unterbreitete der ecuadorianische Präsident Rafael Correa im letzten Mai einen beide Seiten überraschenden Vorschlag: Er bot an, das Schweröl im Boden des Yasuní zu belassen, wenn dem Land dafür Kompensationen bezahlt würden. 350 Millionen Dollar – die Hälfte der zu erwartenden Einnahmen von 700 Millionen Dollar pro Jahr – sollten Industrieländer Ecuador dafür als Kompensation die nächsten Jahre zukommen lassen, so Correa. Das Geld, das beispielsweise aus Schuldenerlassen, erhöhter Entwicklungshilfe oder von privaten Gönnern fließen soll, wird im Gegenzug in soziale und ökologische Projekte investiert. Zugleich verfügte der Regierungschef ein einjähriges Moratorium über die Vergabe der Förderlizenzen.

"Ein Fonds in Höhe von 4,6 Milliarden Dollar würde bei einer Anlage zu 7,5 Prozent Zinsen jährlich schon die gewünschte Summe erbringen"
(Joan Martinez Alier)
Für Joan Martínez Alier von der Autonomen Universität Barcelona ein guter Plan: "Es gibt gute wirtschaftliche Gründe für ein unbegrenztes Moratorium im Yasuní, da die realen Kosten der Ölausbeutung wahrscheinlich höher liegen als seine Erlöse." Neben den direkten Schäden vor Ort zählt er auch die Folgen des Klimawandels auf, der durch das Verbrennen der 920 Millionen Barrell angeheizt würde. Zusätzlich setze die zu befürchtende Erschließung des Urwalds durch Siedler im Gefolge der Ölfirmen weiteres Kohlendioxid frei, was den schädlichen Einfluss des Öls noch steigere, so Alier.

"Ein Fonds in Höhe von 4,6 Milliarden Dollar würde bei einer Anlage zu 7,5 Prozent Zinsen jährlich schon die gewünschte Summe erbringen. Im Gegenzug verpflichtet sich Ecuador, eines der wichtigsten Artenvielfaltszentren Amazoniens mit seinen Menschen und ihrer Kultur zu bewahren und der Abholzung Einhalt zu gebieten," lautet der Vorschlag des spanischen Wirtschaftswissenschaftlers. Um Finanziers zu locken, solle das Projekt auch im Rahmen eines Nachfolgeabkommens des Kyoto-Protokolls förderwürdig werden: Firmen könnten dann beispielsweise Anteile übernehmen und sich die dadurch verhinderten Emissionen gutschreiben lassen.

Hoffnung und Skepsis

Einige Staaten und Organisationen reagierten auf Correas Vorstoß durchaus positiv und steuerten auch schon erste Gelder zu diesem Projekt bei – etwa Spanien und die Schweiz. Norwegen sandte eine Delegation nach Ecuador, um Details abzuklären, Deutschland zeigt sich immerhin "ernsthaft interessiert", wie es Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczoreck-Zeul ausdrückte. Und die ecuadorianische Regierung trifft bereits die technischen Vorbereitungen für das Projekt – von der Einrichtung der Konten bis zur Ausarbeitung von Zertifikaten.

Proteste auch auf der Straße | Ihren Widerstand gegen die Ölförderung auf ihrem Land tragen die Indianer auch auf die Straße. Vielleicht zeichnet sich nun eine Lösung am Horizont ab: Correa möchte Kompensationen, wenn Ecuador das Öl im Boden lässt und dafür den Regenwald schützt.
Doch Naturschützer wie Guadalupe Rodriguez, Robert Hofstede von der IUCN oder Michael Evers vom WWF-Deutschland sind skeptisch: "Das ursprüngliche positive Vorhaben Correas, das Öl im Boden Yasunís zu belassen, ist bereits hinfällig, da im benachbarten Block 31 die Fördergenehmigung für Petrobras von Umweltministerin Ana Albán erteilt wurde – gegen heftigen Widerstand von den Indianern", resigniert Rodriguez und befürchtet nun weitere Zerstörungen des Regenwaldes. Wegen der ständigen Streitereien und Widerstände seitens der Ölfreunde in der Regierung hat auch schon der bekennende Indianer- und Umweltfreund Alberto Acosta sein Amt als Energieminister im Sommer niedergelegt: Von ihm stammt die Idee eigentlich und wurde am glaubhaftesten vertreten.

Kritisch ist zudem die Außenwirkung der Correa-Initiative auf andere Staaten der Region, die es bislang strikt vermieden haben, in international anerkannten Schutzgebieten nach Öl zu bohren: "Alle beobachten nun, was in Ecuador passiert und ob ein Präzedenzfall geschaffen wird. Danach könnten diese Länder ebenfalls zu den Geldgebern gehen und das Gleiche einfordern wie Ecuador", befürchtet Hofstede. Auch Evers sieht dies für den WWF so, denn das generelle Problem des Raubbaus an den Wäldern werde damit nur punktuell bekämpft und die Entwaldung vielleicht nur verlagert. Zumal auch nicht sicher sei, dass bei Gelingen des Vorhabens und Einrichtung eines Fonds dennoch für alle Zeiten Yasuní nicht ausgebeutet wird, zu mächtig treten die Ölunternehmen auf und hängt die Weltwirtschaft am Tropf der teuren Flüssigkeit.

"All die reichen Nationen haben nicht genügend Geld, um den Verlust von Yasuní und seiner Natur zu bezahlen"
(Guadalupe Rodriguez)
Präsident Correa und die Industrieländer stecken deshalb in der Zwickmühle: Der eine, weil er den benachteiligten Indianern versprochen hat, dass er das Land nur mit ihnen regieren möchte. Was wohl nur gegen den Widerstand der Ölfirmen geht, die dem Land dringend benötiges Geld bringen. Auf der anderen Seite der Norden, der energiehungrig ist und sich dem Klimawandel stellen will. Guadalupe Rodriguez sieht die Industriestaaten denn auch in der Pflicht: "Sie denken, man könne alles und jeden mit Geld kaufen und verkaufen. Doch all die reichen Nationen haben nicht genügend Geld, um den Verlust von Yasuní und seiner Natur zu bezahlen."

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