Direkt zum Inhalt

Brandberg

Der Bilderberg Namibias
Thorbecke, Stuttgart 2000. 128 Seiten, DM 79,–


Steinzeitkunst – der Begriff lässt einen zuerst an die berühmten Höhlen von Lascaux und Altamira denken, die mit ihren beeindruckenden Bildern von Bisons und Pferden fester Bestandteil der europäischen Kulturgeschichte geworden sind. Die Entdeckung der Chauvet-Höhle im Tal der Ardèche bewies, dass im steinzeitlichen Europa sogar schon vor mehr als 30000 Jahren große Künstler gelebt haben müssen.

Aber Petroglyphen (Felsbilder) sind keineswegs eine europäische Spezialität. In Afrika sind – auf Grund der günstigeren Witterungsverhältnisse – sogar noch viel mehr Bilder steinzeitlicher Künstler erhalten. Einer der reichhaltigsten Fundorte ist der Brandberg in Namibia. Auf einem fast vollständig von Savanne und Wüste umgebenen Granitmassiv mit einer Höhe von bis zu 2573 Metern und einem Durchmesser von 30 Kilometern verteilen sich 45000 Felsbilder an 1000 Fundstellen.

Mit Lascaux und Altamira haben die 2000 bis 6000 Jahre alten Bilder am Brandberg nur sehr wenig gemein. Es stehen nämlich nicht die Tiere im Mittelpunkt, sondern die Menschen.

Oft erinnern die menschlichen Figuren dabei an simple Strichmännchen. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckt man zahlreiche aufschlussreiche Details, so auch im Fall der wohl berühmtesten Darstellung vom Brandberg: Die "Weiße Dame" ist eine Figur, die lange Zeit für eine weißhäutige Frau gehalten wurde. Da der anerkannte französische Felsbildforscher Henri Breuil diese Interpretation stützte, konnte sich eine Legende entwickeln, nach der einst eine weißhäutige Königin oder Göttin am Brandberg geherrscht hatte. Inzwischen haben die Wissenschaftler jedoch nachgewiesen, dass es sich bei der teilweise weiß bemalten Figur um einen Mann mit Körperbemalung handelt; eindeutig männliche Geschlechtsmerkmale waren bei früheren Untersuchungen anscheinend übersehen worden.

Ein einziger Mensch, der Grafiker Harald Pager, hat von 1977 bis zu seinem Tod 1985 im Alleingang die Bilder vom Brandberg abgezeichnet; 85 Prozent des Gesamtbestandes hat er auf diesem Wege erfasst. Das Heinrich-Barth-Institut der Universität Köln, das auch Pagers Nachlass verwaltet, hat sich zum Ziel gesetzt, die Gesamtheit der Felsbildstellen am Brandberg zu katalogisieren und zu publizieren, und hat bisher drei Bände für die Fachleute publiziert.

Der Thorbecke-Verlag hat in seiner Reihe "Speläothek" bereits prächtige Bildbände zu mehreren bekannten europäischen Felsbild-Höhlen herausgebracht. Für das vorliegende Werk gewann er als Autoren das Prähistoriker-Ehepaar Tilman Lenssen-Erz und Marie-Theres Erz, das über das Heinrich-Barth-Institut seit langem mit den Felsbildern vertraut ist: Er leitet seit 1986 die Felsbildforschung des Institutes, während sie dort für die technischen Abläufe des Felsbildprojektes verantwortlich ist. Sie erstellte auch die meisten Fotos für dieses Buch.

Erfreulich ist, dass die Autoren sich weitgehend von der Aufmachung wissenschaftlicher Bücher lösten. Als Nötigstes übernahmen sie lediglich ein kommentiertes Literaturverzeichnis. Für Leser, die sich nur nüchtern und auf die Schnelle informieren wollen, mag ein Nachteil sein, dass es keine harte Unterteilung des Buches in Kapitel wie "Zur Datierung" oder "Der Stil der Felsbilder" gibt. Der etwas geduldigere Leser findet dennoch alles, was er erwartet.

Ungewöhnliche Zwischentitel wie "Von Regenbeinen und Regenhaaren" greifen das Geheimnisvolle der Petroglyphen auf und locken damit den Leser von Abschnitt zu Abschnitt. Mit den Regenbeinen oder -haaren sind die unterschiedlichen Formen der Regenwolken gemeint; genau diese Deutung findet sich auch in Zitaten einiger Buschmänner vom Ende des 19. Jahrhunderts: "Der Regen, der herabströmt, das sind die Regenbeine, auf denen er voranschreitet."

Folgt der Leser weiter den Verlockungen des Buches, so wird er erkennen, dass die Autoren ihrer wissenschaftlichen Aufklärungspflicht durchaus nachkommen. In leicht verständlichen Worten werden auch so komplexe Themen wie die Datierung der Felsbilder, die Herstellung der für die Petroglyphen verwandten Farben oder auch die Auswertung von Bild-Statistiken erklärt.

Aus den zwei gegensätzlichen Geistesschulen in der Felsbildforschung ziehen die Autoren den größtmöglichen Nutzen: Sie verwenden sowohl eine statistische Auswertung der Felsbilder wie auch Vergleiche mit den Verhaltensweisen und Erzählungen der San-Buschmänner, der heute in der Kalahari lebenden Nachkommen der Felsbildmaler. Diese Möglichkeit, auch ethnologische Forschung zu treiben, bietet sich den Wissenschaftlern in Europa so nicht.

Dieses Buch ist allen zu empfehlen, die sich für prähistorische Kunst begeistern können und einen Einstieg in die moderne Felsbildforschung suchen. Mit den herrlichen Fotos, die auch die wunderschöne Natur am und um den Brandberg erfassen, und der Kartierung der wichtigsten Felsbildstellen fordert der Band geradezu zu einer Reise nach Namibia auf. Die Autoren geben auch Tipps zum Verhalten vor Ort – aber wegen des prachtvollen Großformats sollte man das Buch selbst vielleicht nicht mit auf die Reise nehmen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2001, Seite 106
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.