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Auch für Rechtshänder

Noch bis in die 1970er Jahre wurden in Deutschland Linkshänder "umerzogen". Man ging davon aus, dass es für sie besser sei, sich vom Kindesalter an der Mehrheit anzupassen. Dass sich seitdem einiges getan hat, erkennt man nicht zuletzt an der Fülle von Ratgebern, die sich dem Thema Händigkeit widmen.

Der Biologe und Wissenschaftsjournalist Sebastian Jutzi will jedoch keine pädagogische Leitlinie ausgeben. Im Gegenteil: Der populärwissenschaftliche Schmöker ist geeignet, auch diejenigen in seinen Bann zu ziehen, denen ihre Händigkeit im Alltag keine Probleme bereitet.

Jutzi stellt das Thema zunächst in einen größeren Kontext. Wo kommen Asymmetrien vor, und wann sind diese für uns wichtig? Anhand zahlreicher Beispiele – von den linksdrehenden Milchsäuren bis hin zu rechtsmäuligen Fischen – lernt der Leser einiges über kuriose Seitenlagen. Dabei versteigt sich der Autor gelegentlich zu Aussagen wie "Das Universum ist ein Linkshänder", die wohl zur Unterhaltung beitragen sollen.

Rechts und Links scheinen allgegenwärtig, und doch gibt es auch Kulturen, die diese Konzepte nicht kennen. Die Ureinwohner Australiens etwa, die Aborigines, orientieren sich konsequent an den Himmelsrichtungen. Wo Norden ist, wissen sie ebenso gut, wie ein Mitteleuropäer seine linke und rechte Hand kennt. Die Dominanz einer Körperseite ist Menschen in fast allen Kulturen gleichwohl geläufig. Wie kommt es dazu? Bestimmen die Gene oder der Hormonspiegel während der Schwangerschaft, ob wir Links- oder Rechtshänder werden?

Anhand zahlreicher wissenschaftlicher Studien erklärt Jutzi nicht nur mögliche Ursachen der Händigkeit, sondern geht auch dem Mythos des genialen und ungeschickten Linkshänders nach. Wir erfahren etwa, dass Linkshänder oft Vorteile beim Tennisspielen haben, nicht aber begabtere Musiker sind. Indem der Autor die wissenschaftlichen Methoden unter die Lupe nimmt, illustriert er, wie Fehlinterpretationen entstehen und wozu sie führen können. So gehe etwa die Behauptung, Linkshänder hätten eine kürzere Lebenserwartung, auf einen statistischen Fehler zurück.

Auch die klassischen Schulprobleme von Linkshändern lässt der Autor nicht außer Acht. Insbesondere die Schreibschrift birgt für sie auf Grund der Schreibrichtung mehr Probleme als für Rechtshänder. Leider verlässt Jutzi an dieser Stelle die wissenschaftliche Perspektive und beschränkt sich darauf, Statistiken und pädagogische Ratgeber zu zitieren. Hier vermisst man ein wenig von der Erzählfreude, die das Buch sonst auszeichnet. Auch das Thema Umerziehung streift er eher oberflächlich.

Umso ausführlicher geht der Biologe auf die zunächst merkwürdig erscheinende Frage ein, ob es so etwas wie Händigkeit überhaupt gibt. Entgegen gängigen Annahmen ist das Phänomen nämlich nicht einfach durch die zwei Varianten, Links- oder Rechtshändigkeit, zu beschreiben. Einige Menschen haben von Geburt an gar keine dominante Seite, und so manche ausgeprägte Vorliebe nimmt sogar mit zunehmendem Alter ab.

Im lockeren Schreibstil kommt Jutzi vom Hundertsten ins Tausendste. Dieses freie Assoziieren ist eine Stärke, aber auch eine Schwäche des Buchs. Oft fällt es schwer, den roten Faden zu finden, wenn der Autor von Jack the Ripper über die angebliche Linkshändigkeit von Neandertalern zur Aggressivität männlicher Franzosen springt. Die Kapitel sind inhaltlich auch nicht immer klar voneinander abgegrenzt und dabei teilweise redundant. Trotzdem: Jutzi sorgt für eine kurzweilige Lektüre.

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  • Quellen
Gehirn und Geist 1–2/2013

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