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Tabu-Buch

Dieses Buch dürfte jedem mitfühlenden Leser an die Nieren gehen. Dafür sorgt der Journalist Manfred Karremann mit einem Undercover-Bericht aus der Pädophilenszene, in die er zu Recherchezwecken ein Jahr lang eintauchte. Etliche Fälle sexuellen Missbrauchs hat er in dieser Zeit aufgedeckt und darüber bereits in Fernseh- und Zeitungsreportagen berichtet. Jetzt hat der Dokumentarfilmer seine Erfahrungen in einem Buch zusammengefasst.

Darin schildert Karremann anhand vieler Fallgeschichten und in allen unerfreulichen Einzelheiten, wie geschickt Pädophile ihre Opfer für sich gewinnen. Der erste Kontakt spielt sich zum Beispiel auf dem Spielplatz oder im Schwimmbad ab: Dort fragt ein älterer Mann einen kleinen Jungen, ob er mit ihm Tischtennis oder Fußball spielen wolle. Nach einer Partie verabredet man sich zu einer weiteren und beim nächsten Mal zum Computerspielen in der Wohnung des Pädophilen.

Dabei testet der Pädophile immer wieder mit zunächst harmlosen Berührungen, wie weit er gehen kann. Früher oder später spürt der Junge, dass er eine Gegenleistung erbringen muss: Sex im Austausch gegen Aufmerksamkeit und Zuneigung, die er bei den eigenen Eltern vielleicht schmerzlich vermisst. Weil er sich schämt und glaubt, freiwillig mitgemacht zu haben, traut er sich nicht, jemandem davon zu erzählen. Und selbst wenn doch: Manche Eltern wollen nicht glauben, dass sie sich im netten Rentner von nebenan so getäuscht haben.

Die Täter suchen sich gerne jüngere Kinder, damit sie von einer Missbrauchsbeziehung länger etwas haben, denn es kostet sie viel Zeit, ein solches Verhältnis aufzubauen. Kommt ein Kind in die Pubertät, erlischt oft das sexuelle Interesse an ihm: Pädophile ver- und entlieben sich wie andere Menschen auch – sie betrachten sich selbst als "Kinderliebhaber" im doppelten Wortsinn.

Leider scheint es so, als hätte Karremann das Buch heruntergeschrieben, ohne es noch einmal zu überarbeiten, denn er wiederholt sich manches Mal und lässt eine Ordnungsstruktur weit gehend vermissen. Doch angesichts der ungewöhnlichen Einblicke in Denkweisen und Strategien pädophiler Täter erscheint dieser Mangel wenig bedeutsam. Viel wichtiger: Karremann gibt seitenweise praktische Tipps dazu, wie Eltern Warnsignale erkennen, wie sie ihre Kinder wappnen, einen Missbrauch aufdecken und den Opfern Scham ersparen.

Ein umfassendes Präventionskonzept hat der Journalist damit nicht vorgelegt, aber das ist auch nicht sein Anspruch: Dieser erschütternde Einblick in das Innenleben der Pädophilenszene dürfte mehr vorbeugen helfen als jeder kluge Ratgeber.

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  • Quellen
Gehirn und Geist 4/2008

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