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»Schmerzzentrale Gehirn «: Im Gehirn den Alarm ausschalten

Ein weitgehend unbekannter Trainingsansatz soll das Gehirn von Menschen mit chronischen Schmerzen neu verschalten und aus seinem Alarmzustand holen.
Ein Mann hat Rückenschmerzen

Schmerzen sind ein Signal dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist. Fast alle Menschen kennen sie. Für manche sind sie jedoch zum täglichen Begleiter geworden: Sie haben chronische Schmerzen. An diese Personen richtet sich der Ratgeber »Schmerzzentrale Gehirn« von Luise Walther, Expertin für Neurozentriertes Training.

Dieser auch als »Neuroathletik« bezeichnete Ansatz kommt ursprünglich aus dem Leistungssport und soll dazu dienen, die neuronalen Funktionen des Gehirns zu stärken. Die Grundannahme lautet, dass jegliche Körperfunktionen – inklusive Schmerzen – im Kopf entstehen. Walther beschreibt in ihrem Buch deshalb zunächst ausführlich die Funktionen verschiedener Hirnregionen. Anhand von Fallbeispielen und eigenen Erfahrungen erklärt sie, was Schmerzen aus ihrer Sicht als Trainerin sind.

Spezielle Summtechniken

Die zweite Hälfte des Buchs enthält Techniken, die helfen sollen, das Gehirn neu zu verschalten und es aus seinem Alarmzustand zu holen. Viele dieser Übungen sind nicht neu und finden sich auch in anderen schmerztherapeutischen Ansätzen, darunter etwa Atemübungen zur Entspannung. Neu hingegen ist die Kombination der Übungen und ihre Interpretation. Spezielle Summtechniken beispielsweise sollen unter anderem den neunten Hirnnerv, den Nervus glossopharyngeus, durch Schwingungen im Rachenraum aktivieren und damit auch parasympathische Anteile des Nervensystems. Über Hormonkreisläufe soll dabei zusätzlich der Stresspegel reduziert werden.

Bei der Interpretation und den Wirkungsansprüchen der Übungen steht das Konzept der Autorin jedoch auf wackligen Füßen. Zwar sind ihre Grundgedanken schlüssig und finden sich teilweise auch in der Sportpsychologie wieder. Es gibt jedoch kaum wissenschaftliche Studien, die Walthers Ansätze und deren Wirksamkeit bei Schmerzen belegen. 

In der ersten Hälfte des Buchs fällt die fachliche Genauigkeit der Vereinfachung zwecks Verständlichkeit für Laien zum Opfer. Die Autorin schreibt beispielsweise, dass eine Grundlage des Neurozentrierten Trainings die Fähigkeit des Gehirns sei, sich immer wieder umzubauen. Das ist medizinisch betrachtet korrekt. Es stimmt jedoch nicht, dass benachbarte Zellen die Funktionen von Neuronen übernehmen, wenn diese durch Krankheit oder Unfälle zerstört werden. Wäre dies uneingeschränkt möglich, wie die Autorin hier suggeriert, würden Menschen nach einem Schlaganfall ihre volle Funktionalität wieder erlangen können. Das ist meist jedoch nur teilweise der Fall. 

Das Buch kann interessierten Menschen einen Einblick in einen anderen Therapieansatz bei Schmerzen bieten. Es kann helfen, den eigenen Körper anders wahrzunehmen und die eigenen Schmerzen besser zu verstehen. Gerade der erste Teil des Buchs kann Betroffenen Aha-Erlebnisse bescheren und sie darin unterstützen, Verantwortung für sich und die eigene Therapie zu übernehmen. Es ersetzt aber keine medizinische Behandlung.

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