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Illegaler Walfang: Wildern nach Plan

In »Die Akte Wal« zeigt ServusTV das Sterben von Walen im Kalten Krieg durch die Hand sowjetischer Walfänger. Aber war es so, wie die Dokumentation behauptet? Eine TV-Rezension.
Blauwale erreichen eine Länge von 3 ;Metern und werden bis 190 Tonnen schwer.

Die größten Tiere, die je gelebt haben, finden wir nicht unter den Giganten der Urzeit. Vielmehr sind es warmblütige Säugetiere, und sie sind unsere Zeitgenossen. Die Rede ist von den Blauwalen. Sie erreichen eine Länge von 33 Metern und werden bis zu 190 Tonnen schwer. Damit übertreffen sie deutlich den 70 Tonnen schweren Patagotitan, den größten bekannten Dinosaurier. Auch der ausgestorbene Riesenhai Megalodon war mit etwa 15 Metern Länge und 50 Tonnen Gewicht deutlich kleiner. Und der Blauwal ist keine Ausnahme unter den Meeressäugern: Auch die bis zu 25 Meter langen Finnwale und die Atlantischen Nordkaper erreichen ein maximales Gewicht von über 100 Tonnen. Und das sind nur drei von vielen Dutzend Arten, die Meere und Ozeane rund um die Welt bewohnen. Sie kommen uns eigentlich nie in die Quere, und trotzdem haben sich die Menschen sich im 20. Jahrhundert die größte Mühe gegeben, sie auszurotten.

In dem Fernsehfilm »Die Akte Wal« beleuchtet die österreichische Produktionsgesellschaft Terra Mater Factual Studios die Rolle der großen Meeressäuger im Ökosystem Ozean und schildert den rücksichtslosen Walfang im 20. Jahrhundert.

Der Film zeigt wunderbare Bilder von verschiedenen Walarten, darunter Südkaper, Pottwal, Grauwal und Buckelwal. Zuschauer dürfen einen Kampf zwischen Schwertwalen (Orcas) und einer riesigen Grauwalkuh miterleben. Eine Orca-Gruppe greift ihr Baby an, und die beiden wehren sich verzweifelt.

Außerdem spüren die Autoren des Films dem illegalen Walfang der Sowjetunion nach und interviewen einige der damals Beteiligten. Die Sowjetunion betrieb von 1946 bis 1987 ein umfangreiches Walfangprogramm, dessen genauer Umfang weitgehend geheim blieb. Die von der Internationalen Walfangkommission (IWC) festgelegten Quoten ignorierten die Walfänger – mit ausdrücklicher Rückendeckung der Regierung – und fingen buchstäblich die Ozeane leer. Der IWC wurden Jahr für Jahr gefälschte Zahlen vorgelegt. Das änderte sich erst, als Kontrolleure der IWC ab 1972 auf den Fangschiffen mitfuhren.

In der Ankündigung des Films schreibt Terra Mater, die Auswertung von Logbüchern und Filmaufnahmen habe ergeben: »Die Anzahl der damals getöteten Wale ist zehnmal so hoch wie vermutet.« Das kann der Film allerdings nicht belegen. Falsch ist auch die Behauptung, dass der illegale sowjetische Walfang bisher nur vermutet worden sei. Spätestens seit 1993 ist gesichert, dass die Sowjetunion ihre tatsächlichen Fangmengen systematisch verschleiert hat. Einzelheiten dieser staatlich organisierten Wilderei kamen scheibchenweise ans Licht. So waren die beinahe ausgerotteten Blauwale seit 1966 geschützt, was aber die Sowjetunion nicht daran hinderte, sie weiter zu jagen. Nach einer 2014 von Forschern aus den USA und Australien veröffentlichten Schätzung fingen sowjetische Fangschiffe insgesamt rund 534 000 Wale, davon mehr als 178 000 illegal. So mag es durchaus richtig sein, dass eine gerade wieder in Erholung begriffene Südkaper-Population von sowjetischen Walfängern illegal vernichtet wurde; bislang war das nicht so genau bekannt. Bereits vorher hatte sich herausgestellt, dass die Sowjetunion ebenfalls illegal die nordpazifischen Nordkaperbestände so weit dezimiert hatte, dass sie möglicherweise nicht mehr zu retten sind.

Auch die im Film erwähnten illegalen Fangmethoden der Japaner und anderer Nationen sind lange bekannt. Für die Jahre 1968/69 berichteten die Japaner beispielsweise, 1568 weibliche Pottwale gefangen zu haben. Allerdings erlaubte die IWC den Fang nur dann, wenn die Wale größer als 11,52 Meter waren. Dieses Maß erreichten die Pottwalweibchen fast nie – doch laut den eingereichten Zahlen sollten 97 Prozent der erlegten Tiere größer gewesen sein.

Der räuberische industrielle Walfang war eine Katastrophe

Die Autoren des Films erwecken den Eindruck, sie hätten die illegalen Fangmethoden der Sowjets und Japaner selbst aufgedeckt. Das ist eindeutig falsch. Wenn die Sowjetunion statt 178 000 eher 1,8 Millionen Wale illegal gefangen hätte, würde das die Abschätzung der Walpopulationen auf eine ganz neue Grundlage stellen. Die Filmautoren sollten Belege und Zahlen veröffentlichen und von Experten überprüfen lassen. Das haben sie bisher aber nicht getan.

Richtig ist dagegen die Feststellung des Films, dass einige Walarten als Schlüsselspezies (englisch: keystone species) in ihren jeweiligen Lebensräumen gelten dürfen. Solche Arten sollte man besser nicht zu stark dezimieren oder gar ausrotten, weil sich dann das gesamte Ökosystem verändert. Blauwale vertilgen beispielsweise Unmengen kleiner Krebstiere (Krill), die wiederum von im Meer schwimmenden Algen, dem so genannten Phytoplankton, leben. Seit die Blauwalbestände um 99 Prozent abgenommen haben, ist die Menge des Phytoplanktons deutlich zurückgegangen. Das könnte an den gestiegenen Temperaturen im Meer liegen oder eben an der Zunahme des Krills. Ganz genau ist das nicht bekannt. Egal sein kann es uns nicht. Auf das Phytoplankton entfällt mehr als die Hälfte des Sauerstoffs, den alle Pflanzen zusammen erzeugen.

Wale bilden eine Ordnung mit 90 Arten, die in mehrere Familien und Gattungen unterteilt sind. Sie füllen viele ökologische Nischen, die von anderen Tieren nicht so schnell übernommen werden könnten. Der räuberische industrielle Walfang war deshalb eine ökologische Katastrophe.

Etwas zweifelhaft ist die Behauptung des Films, Eisbären seien durch das Ausbleiben von angeschwemmten Walkadavern in ihrem Bestand gefährdet. Wissenschaftler haben zwar bereits spekuliert, dass Eisbären vergangene Warmzeiten besser überstanden haben, weil sie mehr Walkadaver und weniger Robben gefressen haben, doch das ist bislang keineswegs erwiesen.

Der Film kombiniert wunderbare Bilder über das Leben der Wale mit einem etwas zweifelhaften Text über ökologische Zusammenhänge. Die Recherchen und Interviews zur sowjetischen Walwilderei sind spannend vorgetragen, die Schlussfolgerungen allerdings nicht recht nachvollziehbar.

Kommerzieller Walfang ist heute weitgehend verboten, einige Walarten sind streng geschützt. Blauwale dürfen seit 1972 nicht mehr gejagt werden, die Bestände haben sich etwas erholt. Doch immer noch sterben Wale nach Zusammenstößen mit Schiffen oder ersticken in Fischernetzen.

Wegen des exzellenten Bildmaterials ist der Film auf jeden Fall empfehlenswert, doch die biologischen Ausführungen könnten etwas genauer sein. Und die von den Filmautoren aufgestellten Behauptungen zum Umfang des illegalen Walfangs sind etwas zweifelhaft.

Die Dokumentation läuft am Mittwoch, 25.11. um 20:15 Uhr auf ServusTV und ist anschließend in der Mediathek abrufbar.

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