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Händigkeit: Wie spiegelverkehrte Schnecken entstehen

Fast alle Weinbergschnecken haben rechtsdrehende Gehäuse. Aber sehr selten gibt es auch linksdrehende Exemplare. Ihr tragisches Schicksal: kein Sex.
Eine Schnecke sitzt auf einem Stein und betrachtet ihr Spiegelbild.

Dank dem bewegenden Schicksal einer einsamen Weinberschnecke hat eine Arbeitsgruppe ein lange bestehendes Rätsel um eine Laune der Natur gelöst. Anhand von Zuchtexperimenten kommt ein Team um den Evolutionsgenetiker Angus Davison von der University of Nottingham zu dem Schluss, dass die sehr seltenen linksdrehenden Gehäuse – Spiegelbilder normaler Schneckenhäuser – bei Gefleckten Weinbergschnecken keine genetische Ursache haben. Stattdessen gehen sie wohl auf einen Zufall während der Entwicklung des Embryos zurück. Wie der Wissenschaftler in »Biology Letters« schreibt, erhellt das Ergebnis auch die Frage, wie die Asymmetrien zwischen linker und rechter Körperhälfte bei Tieren allgemein evolutionär entstanden – bei Menschen zum Beispiel die Lage der inneren Organe, aber womöglich auch Links- und Rechtshändigkeit.

Linksdrehender Jeremy auf einer rechtsdrehenden Schnecke | Die linksdrehende Weinbergschnecke Jeremy besteigt eine rechtsdrehende Artgenossin.

Am Anfang stand die Entdeckung einer dieser linksdrehenden Schnecken, bei der die Windungen, gesehen von der Spitze des Gehäuses, gegen den Uhrzeigersinn laufen. Davison taufte sie auf den Namen Jeremy, benannt nach dem linken Politiker Jeremy Corbyn. Allerdings erwies sich Jeremy als wesentlich beliebter als der kontroverse Anführer der Labour-Partei. Zigtausende Menschen suchten nach einem passenden Partner für die Schnecke, nachdem der Forscher über soziale Netzwerke und andere Medien von Jeremys tragischem Schicksal berichtet hatte: Linksdrehende Schnecken können sich nicht mit den normalen rechtsdrehenden Schnecken paaren, weil ihre Geschlechtsteile auf entgegengesetzten Seiten liegen.

Das hinderte Forscher bisher daran, nach der Ursache für die linksdrehenden Gehäuse zu fahnden. Zuchtversuche können sehr schnell zeigen, ob ein Merkmal erblich ist, aber dazu braucht man erst einmal Nachwuchs der ungewöhnlichen Schnecken. Das war auch der Hintergedanke der Suche nach weiteren linken Schnecken. Nach den öffentlichen Aufrufen fanden Schneckenfreunde mehr als 40 weitere Schnecken mit dieser Besonderheit – nicht überliefert ist, ob sie bevorzugt auf Rosen saßen –, so dass Davison erstmals gezielt linksdrehende Schnecken miteinander paaren konnte.

Die Verteilung der Nachkommen enthüllt gemäß den mendelschen Regeln, wie eine Eigenschaft vererbt wird. Entstehen die spiegelverkehrten Schnecken durch ein oder gar mehrere verschiedene rezessive Allele bestimmter Gene, sollten in den nachfolgenden Generationen spiegelverkehrte Schnecken in bestimmten Zahlenverhältnissen auftreten. Wie sich zeigte, sprechen die Ergebnisse höchstens für einen indirekten Effekt. Lediglich 1,7 Prozent der Nachkommen waren linksdrehend. Das ist mehr als die Rate von höchstens einer in 40 000, die das Team anhand von Daten von Schneckenfarmen für normale Schneckenpopulationen errechnete, aber zu wenig für einen direkten genetischen Einfluss.

Die Ergebnisse sprächen dafür, dass der eigentliche Anlass für das spiegelverkehrte Wachstum entweder eine zufällige Umkehr der Richtung im frühen Embryo sei, schreibt das Team. Alternativ könne womöglich irgendein Umwelteinfluss die Besonderheit hervorrufen. Möglicherweise gebe es ein Gen, das die Chance für diese Umkehr ein wenig erhöht, mutmaßt die Gruppe um Davison weiter. Nun gelte es, das nächste Rätsel zu lösen: Warum spiegelverkehrte Gehäuse in vielen Schneckenarten extrem selten sind – und in anderen wiederum völlig normal.

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