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Besiedlung Amerikas: Vor den Clovis waren schon lange andere da

Funde aus Mexiko bestätigen einen alten Verdacht: Den modernen Menschen zog es früher auf den amerikanischen Kontinent als gedacht. Schon vor mehr als 30 000 Jahren könnte er dort gelebt haben.
Steinwerkzeug aus der Zeit vor dem LGM

Dass an dieser Geschichte etwas nicht stimmen konnte, dafür hatten sich die Anzeichen in den vergangenen Jahren deutlich gemehrt: dass Menschen erst vor etwa 13 000 Jahren einen Fuß auf den amerikanischen Doppelkontinent setzten. Dass sich die Angehörigen dieser Clovis-Kultur mit ungeahnter Rasanz bis weit in den Süden ausbreiteten. Und dass ihnen allein der eisfreie Korridor zwischen zwei mächtigen Eisschilden im heutigen Kanada eine Eintrittspforte in die Neue Welt bot.

Dass dieses »Clovis-first«-Modell, das über Jahrzehnte den Stand der Wissenschaft darstellte, inzwischen selbst ins Museum gehört, haben archäologische und paläogenetische Untersuchungen mittlerweile eindeutig klargemacht. Vor den Clovis waren schon lange andere da. Fragt sich nur: wie lange vorher schon?

Ein Fundort in Zentralmexiko gibt nun eine überraschende Antwort auf diese Frage. Sollten sich die Radiokarbondatierungen und Ausgrabungsergebnisse bestätigen, könnten bereits vor rund 33 000 Jahren Menschen in Amerika gelebt haben. Das ist eine bemerkenswerte Zahl, denn zu diesem Zeitpunkt war die Beringsee noch nicht zu einer Landbrücke geworden. Erst später, während des Höhepunkts der letzten Eiszeit, dem Last Glacial Maximum (LGM), das von ungefähr 26 000 Jahren vor heute bis vor 19 000 Jahren dauerte, sank der Meeresspiegel so weit ab, dass die aus Asien stammenden Einwanderer trockenen Fußes nach Amerika kommen konnten.

Hinweise auf eine derart frühe menschliche Anwesenheit liefern die Ausgrabungen, die das Team um Ciprian Ardelean von der Universität von Zacatecas in Mexiko nun im Fachmagazin »Nature« vorstellt. Die von ihnen untersuchte Höhle enthielt neben weiteren Spuren ihrer menschlichen Bewohner vor allem bearbeitete Steinwerkzeuge. Ardelean und Kollegen datierten die einzelnen Höhlenschichten und fanden Belege für eine wiederkehrende Nutzung. Offenbar suchten Menschen hier von zirka 33 000 Jahren an immer wieder Schutz. Nur während des eiszeitlichen LGM finden sich keine Spuren von ihnen.

Kamen Menschen schon vor 33 000 Jahren nach Amerika?

Noch sind die Funde, die vor das eiszeitliche Maximum datieren, nicht endgültig gesichert. Die Wissenschaftler versuchten, aus dem Höhlenboden DNA-Reste zu ziehen, die eine menschliche Anwesenheit zweifelsfrei belegt hätten, waren aber nicht erfolgreich. Doch selbst die wesentlich deutlicheren Hinweise in der Post-LGM-Zeit haben das Zeug, das alte Clovis-first-Modell zu widerlegen.

Ausgrabungen | Das Team um Projektmitarbeiter Mikkel Winther Pedersen gräbt in die tiefsten Schichten der Höhle. Um die Fundlagen nicht mit ihrer eigenen DNA zu verunreinigen, tragen die Archäologen Schutzanzüge.

Denn sie passen zu Befunden aus anderen Teilen des Kontinents. Immer wieder fanden Archäologen beispielsweise auf dem Gebiet der heutigen USA, aber auch im Süden Chiles Spuren von Menschen, die deutlich älter waren als erwartet. Lange war umstritten, ob solche Datierungen, die ein Alter von 20 000 oder gar 26 000 Jahren erbrachten, zuverlässig seien. Doch wie Lorena Becerra-Valdivia von der University of New-South Wales und Thomas Higham von der University of Oxford in einer zeitgleich veröffentlichten »Nature«-Studie mittels Statistik nun darlegen, sind solche frühen Datierungen in sich stimmig und solide.

Für Ruth Gruhn von der University of Alberta in Edmonton werfen diese Erkenntnisse nun vor allem die Frage nach den Wanderrouten der ersten Siedler auf. Der Reiz des Clovis-first-Modells bestand auch darin, dass man den ersten Amerikanern keinerlei nautische Fähigkeiten unterstellen musste: Als die Beringstraße trocken fiel, hielten sie sich auf der Landbrücke und im heutigen Alaska auf. Als das kanadische Inlandseis um 13 000 vor heute einen grünen Korridor frei gab, zogen sie gen Süden.

Von der Westküste aus quer durch den Kontinent

Aus den neuen Erkenntnissen der letzten Jahre folgt nun jedoch, dass sie wohl mit Booten Teile der Beringstraße überquerten und später entlang der nordamerikanischen Pazifikküste vordrangen – ebenfalls zu Wasser. Spuren dieser Gefährte und dieser Expansion hat man, mit wenigen uneindeutigen Ausnahmen, nicht gefunden. Was möglicherweise auch daran liegen könnte, dass die küstennahen Siedlungsgebiete heute größtenteils überschwemmt sind, wie Gruhn in ihrem Begleitkommentar zu den beiden Veröffentlichungen zu bedenken gibt.

Allerdings scheinen sich die Küstenwanderer auch nicht sonderlich lange an ihrer nassen Heimat festgehalten zu haben. Stattdessen erschlossen sie sukzessive alle Lebensräume des Doppelkontinents. Fundorte aus der Prä-Clovis-Zeit, wie das 20 000 Jahre alte Cactus Hill, finden sich sogar in Virginia, also weit im Osten. Die jetzt neu ausgegrabene Höhle im mexikanischen Bundesstaat Zacatecas befindet sich im Gebirge. Insgesamt dürfte allerdings die Populationsdichte in dieser Frühphase recht gering gewesen sein, dafür spricht etwa, dass solche Funde immer noch eine Seltenheit darstellen.

Erst mit den klimatischen Veränderungen nach der letzten Eiszeit erlebte die Menschheit in Amerika einen Aufschwung – und mit ihr die Tierwelt womöglich eine Katastrophe. Becerra-Valdivia und Higham jedenfalls glauben, mit ihrer neuen Analyse der Radiokarbondaten einen lang gehegten Verdacht bestätigen zu können: Dass die Ausbreitung des Menschen den großen Säugetieren Nordamerikas den Garaus machte. Und das wiederum könnte auch auf das Konto der Clovis-Kultur gehen, die als Großwildjäger reiche Jagdgründe vorfanden. Zumindest eine Zeit lang.

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