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Robotik: Keine Angst vor Autonomen

Roland Siegwart entwickelt mit seinem Team autonome Fluggeräte und Fahrzeuge. Die Arbeitswelt wird das schon ändern, sagt er im Interview. Aber anders, als viele meinen.
Solardrohne über Landschaft

Herr Siegwart, Sie leiten an der ETH Zürich das »Autonomous Systems Lab«, forschen also an Maschinen, die ganz ohne Zutun des Menschen funktionieren – und die uns künftig alle Jobs wegnehmen?

Nein, ich glaube nicht, dass sie das tun. Roboter sind Werkzeuge, die uns ergänzen und unterstützen. Sie sollen uns gefährliche und unangenehme Arbeit abnehmen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten Autos noch von Hand lackieren und wären den Dämpfen ausgesetzt. Das wäre nicht tragbar. Zum Glück haben wir heute Systeme, die das für uns machen. Durch den technischen Fortschritt werden sich die Berufsfelder ändern – aber ganz wegfallen werden sie nicht. Künstliche Intelligenzen identifizieren Krebs in Röntgenbildern zuverlässiger als Ärzte. Doch das heißt nicht, dass sie den Arzt ersetzen.

Ein tief greifender Wandel der Arbeitswelt steht uns aber doch sicher bevor?

Ja, auf jeden Fall. Das haben wir in der Vergangenheit bereits mehrfach erlebt: Vor 100 Jahren etwa arbeiteten wir unglaublich viel und nahmen nie Urlaub. Unsere Gesellschaft hat sich seitdem stark verändert, und das wird sie auch weiterhin. Wenn dieser Wandel nicht zu schnell eintritt, wird die Gesellschaft damit umgehen können.

Roland Siegwart

Gerade davor fürchten sich aber viele Menschen: von den Veränderungen, die aus der Robotik und der KI kommen, überrannt zu werden. Das hochkomplexe Go-Spiel beherrscht der Computer plötzlich besser als der Mensch. In japanischen Altenheimen werden Pflegeroboter getestet. Und dann hört man, dass die Amazon-Lieferdrohne praktisch schon vor der Haustür steht. Sie kennen die Robotikszene von innen und warnen eher davor, die Geschwindigkeit zu überschätzen?

Die technischen Entwicklungen in der Robotik werden sicherlich nicht radikal schnell voranschreiten. Das aktuell größte Problem ist das mangelnde Verständnis der Roboter. Wir Menschen können Situationen verstehen. Um ein noch nie dagewesenes Problem zu lösen, brauchen Roboter Verständnis – und das fehlt ihnen bisher.

Drohne mit Armen

Was macht die Entwicklung dieser Maschinen so schwierig?

Bei einem Industrieroboter beispielsweise können wir die gesamte Umgebung exakt beschreiben und den Roboter entsprechend einstellen. Unser Spezialgebiet sind aber genau solche Systeme, die sich in offenen Umgebungen zurechtfinden müssen und an unserem täglichen Leben teilnehmen, wo nicht alles vorhersehbar ist. Eine Grundvoraussetzung für ihre Autonomie ist auch die Fähigkeit zur eigenständigen Navigation. Die Roboter müssen selbst Pläne erstellen können und genau wissen, wo sie sich befinden. Zudem müssen sie auch physisch interagieren können: etwa um einen Tisch nach einer Party abzuräumen. Für uns Menschen ist diese Aufgabe sehr einfach, doch Roboter sind davon noch sehr weit weg. Anders sieht es allerdings in weniger komplexen Bereichen aus.

Was ist denn weniger komplex als Hausarbeit?

Ein Beispiel dafür ist der Finanzsektor. Dieser ist eine vergleichsweise kleine und wenig komplexe Welt, in der es hauptsächlich darum geht, Daten zu analysieren. Da gibt es einige Aufgaben, die vollautomatisiert ablaufen können. In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird da sehr viel passieren. Die Folge daraus zeichnet sich schon jetzt ab: Die Anzahl der Bankangestellten sinkt. Auch Go ist aus meiner Sicht ein sehr überschaubares Problem. Ein Brett mit einer beschränkten – wenn auch großen – Anzahl an Möglichkeiten. Die reale Welt ist wesentlich komplexer.

Und wie sieht es in der realen Welt mit der »Amazon-Drohne« aus?

Ich denke, dass diese Idee in gewissen Bereichen sinnvoll ist. In der Schweiz läuft momentan schon ein Versuch, einzelne Täler durch kleine Drohnen zu verbinden. Das hat einen großen gesellschaftlichen Nutzen. Ich zweifle aber sehr daran, dass sich diese Technologie bei der Auslieferung von Paketen durchsetzt. Die Menschen würden die enorme Lärmbelastung nicht ertragen. Aus technischer Sicht ist autonomes Fliegen allerdings einfacher umsetzbar als autonomes Fahren, da es in der Luft kaum Hindernisse gibt.

Bei Ihrem Projekt »myCopter« sollen autonome Helikopter ja bald sogar Menschen transportieren. Fliegen wir dann morgens zur Arbeit?

Das halte ich für sehr unwahrscheinlich, da die Rotoren der Hubschrauber natürlich ebenfalls sehr laut sind. Es ist auch technisch keine ganz einfache Sache. Momentan gibt es mehrere Firmen, die daran arbeiten. Im Frühjahr 2017 hat eine Firma in Abu Dhabi behauptet, Ende des Jahres schon Taxiflüge anbieten zu können. Ich war davon überzeugt, dass es ihnen nicht gelingen würde, und behielt Recht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass eine Firma, die beispielsweise zwei Standorte in zehn Kilometer Entfernung hat, in autonomen Helikoptern ihre Angestellten schnell hin- und herfliegt. Das würde dann sogar mit einem elektrischen Antrieb funktionieren.

Das klingt, als wäre Otto Normalverbraucher noch länger auf sein Auto angewiesen. Das könnte dann allerdings autonom fahren?

Früher oder später wird so etwas sicher kommen. Das denke ich schon.

Sehen Sie Vorteile im autonomen Fahren, von der Bequemlichkeit einmal abgesehen? Glauben Sie, dass der autonome Verkehr die Straßen entlastet?

Es gab schon einige Studien in diese Richtung, die zeigen, dass vollautonomes Fahren unter gewissen Bedingungen von großem Nutzen sein kann. Das funktioniert aber nur, wenn es zusammen mit öffentlichen Verkehrsmitteln genutzt wird. Außerdem müssen die Fahrzeuge mehrfach besetzt werden, wie Sammeltaxis. Die Studien zeigen, dass sich unter diesen Voraussetzungen die Anzahl der benötigten Fahrzeuge um einen Faktor fünf reduzieren könnte. Wenn aber jeder mit seinem eigenen vollautonomen Auto herumfährt, sind wir nicht besser aufgestellt als jetzt.

Roboter

Die kürzlich neu geschaffene Rechtslage in Deutschland erschwert ja den Einsatz von vollautonomen Fahrzeugen, da die Verantwortung in letzter Instanz immer beim Fahrer liegt. Was halten Sie von dieser Regelung?

Eigentlich wird der Nutzen von autonomen Fahrzeugen erst dann richtig interessant, wenn sie vollautonom fahren – also ohne dass ein Mensch beteiligt ist. Solange der Fahrer jederzeit bereit sein muss einzugreifen, hat autonomes Fahren wenig Nutzen. Firmen wie Tesla vermitteln das Gefühl, dass es diese vollautonomen Fahrzeuge bereits morgen geben wird. Doch das wird noch eine Weile dauern. Der Verkehr in Städten ist sehr kompliziert. In geregelteren Umgebungen könnten Autos dagegen heute schon vollautonom fahren – also beispielsweise auf Autobahnen oder auf Feldern.

Auf Feldern? Wer möchte denn vollautonom über den Acker fahren?

Landwirtschaftliche Roboter zum Beispiel. Momentan hat ein Landwirt keine Zeit, jeden Tag über seine Felder zu gehen. Ein Flugroboter könnte sie aber beispielsweise täglich überfliegen, ausgestattet mit speziellen Sensoren und Multispektralkameras. Damit überprüft er, welche Bereiche des Feldes mehr Wasser, Düngemittel oder vielleicht Unkrautbekämpfung brauchen. Ein weiterer Roboter am Boden fährt dann schnell an die betroffenen Stellen und interveniert.

Ist das auch noch Zukunftsmusik?

An der ETH Zürich arbeiten wir an einem europäischen Projekt, bei dem es darum geht, Felder kontinuierlich zu überwachen. Das sind bisher reine Forschungsprojekte. Wir werden also nicht im nächsten Jahr ein fertiges Produkt besitzen. Ich denke aber, dass die Grundlagen da sind, um unsere Ziele in den nächsten fünf bis zehn Jahren umzusetzen. Wir arbeiten auch an Solarflugzeugen, die mit ihrer Umgebung interagieren können. Heutzutage nimmt ein Fluggerät nur Bilder oder Messungen auf. In Zukunft haben diese Drohnen aber auch Arme und interagieren direkt mit den Pflanzen. Solche neuen Ideen sind es, die mich an der Robotik begeistern.

Vielen Dank für das Gespräch!

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