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Moral: Teure Vergehen

Menschen mit geringerem Einkommen verzeihen moralische Fehltritte nicht so leicht.
Justizia

Gibt es Situationen, in denen man lügen darf? Ist es so schlimm, wenn ich dem Staat einen kleinen Nebenverdienst verheimliche? An solchen moralischen Fragen scheiden sich oft die Geister. Laut Stefan Thau und seinem Kollegen Marko Pitesa von der École de Management in Grenoble verzeihen Menschen mit niedrigem Einkommen unethisches Verhalten weniger als Besserverdiener.

Die Forscher untersuchten, wie sich Gehalt, Bildung, Religiosität sowie der berufliche und soziale Status auf die Wertvorstellungen von Menschen aus 56 Ländern auswirkten. Die Analyse basierte auf Umfrageergebnissen der World Values Survey von 2009, bei der mehr als 85000 Teilnehmer unter anderem angaben, wie gravierend sie acht bespielhaft geschilderte Vergehen wie Diebstahl oder körperliche Gewalt fanden.

Einzig die Höhe des Einkommens beeinflusste die Schärfe der Urteile: Menschen mit dicker Brieftasche drückten eher mal ein Auge zu als Geringverdiener. Befragte mit schmalem Finanzbudget missbilligten Fehlverhalten allgemein mehr – wohl weil sie selbst von solchen Missetaten stärker betroffen wären: Ein Diebstahl oder Gewaltakt träfe sie mangels Ressourcen schwerer, so die Wissenschaftler.

Dieser Verdacht erhärtete sich in einem zweiten Experiment: Um auszuschließen, dass ein kleines Gehalt nicht insgesamt einfach schärfere Urteile fördert, sollten die Probanden nun nicht nur Verhalten bewerten, durch das andere zu Schaden kamen ("Joshua bestellt ein Steak in einem Nobelrestaurant und zieht dem Kellner damit eins über"). Zusätzlich ging es um Vergehen, die den allgemeinen Sitten zuwider liefen ("Joshua bestellt ein Steak in einem Nobelrestaurant und isst es dann mit bloßen Händen").

Siehe da: Nur wenn andere zu Schaden kamen, verurteilten die Geringverdienenden die Tat mehr als einkommenstarke Probanden. Faktoren wie das Selbstwertgefühl, Macht oder sozialer Status hatten keine derartige Auswirkung auf das moralische Urteil. Wegen der etwas speziellen Auswahl an Faux-pas wie der genannten Restaurantszene erscheint es jedoch fraglich, wie gut die Ergebnisse zu verallgemeinern sind.

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