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Explosion der Vielfalt: Schnelle Evolution durch Magnetfeld-Kollaps

Das rätselhafte erste Aufblühen komplexen Lebens auf der Erde könnte seinen Ursprung in einem schwachen Magnetfeld haben. Denn das lieferte eine entscheidende Zutat: Sauerstoff.
Leben im Meer zur Zeit des Ediacariums
Die rätselhafte Ediacara-Fauna wurde lange als Ansammlung lebender Luftmatratzen verlacht. Doch tatsächlich stellt diese Epoche die erste Blüte komplexen Lebens auf der Erde dar.

Vor rund 600 Millionen Jahren erschien etwas Neues auf der Erde: Gigantische Lebensformen aus unzähligen Zellen entstanden, vielfach größer als alles, was es zuvor gab. Und das war nur der Anfang. Denn nun stieg ebenfalls der Sauerstoffanteil in der Atmosphäre an, wodurch auch große Körper ausreichend Energie aufnehmen konnten. Binnen kurzer Zeit entwickelten diese fremdartigen, heute als Ediacara-Fauna bekannten Organismen eine große Zahl an Arten und Körperformen. Es war die erste Explosion biologischer Vielfalt in der Geschichte des komplexen Lebens. Doch hinter diesem Evolutionsschub steckt ein großes Rätsel: Woher kam der Sauerstoff, der all das ermöglichte?

Eine Arbeitsgruppe um John A. Tarduno von der University of Rochester in New York schlägt nun eine überraschende Quelle für das Gas vor. Demnach veränderte womöglich ein lang andauernder Zusammenbruch des Erdmagnetfelds die Atmosphäre. Laut ihrer in der Fachzeitschrift »Communications Earth & Environment« veröffentlichten Analyse zeigen Minerale aus jener Zeit, dass das Magnetfeld sehr viel länger als gedacht nur etwa ein Dreißigstel seiner heutigen Stärke hatte. Bei so einem schwachen Feld entweicht mehr Wasserstoff ins All, was insgesamt dazu führt, dass sich Sauerstoff anreichert. Der von der Arbeitsgruppe festgestellte Zeitraum von insgesamt 26 Millionen Jahren reiche demnach aus, um die steigende Sauerstoffkonzentration zu dieser Zeit zu erklären. Damit hätte der lange Magnetfeldkollaps die enorme Vielfalt der bis heute rätselhaften Ediacara-Wesen verantwortet.

Die Arbeitsgruppe um Tarduno untersuchte Feldspatkristalle, die vor rund 591 Millionen Jahren in einer vulkanischen Magmablase auskristallisierten. Diese Minerale enthalten winzige magnetische Verunreinigungen, die beim Kristallisieren die Stärke des umgebenden Magnetfelds quasi einfrieren. Mit spezialisierten Messmethoden lässt sich diese Information noch nach hunderten Millionen Jahren auslesen. Die Messwerte verglich das Team mit Feldspaten aus Zeiträumen mit bekannter Magnetfeldstärke und berechnete daraus eine Feldstärke von lediglich rund 1,5 Mikrotesla am Ort der Kristallisation – ein Bruchteil moderner Werte.

Damit sei jener Bereich offener Magnetfeldlinien an den Polen, an denen Wasserstoffionen ins All entschwinden, rund dreieinhalbmal so groß gewesen wie heute – und bei Sonnenstürmen sogar noch größer. Außerdem habe der Sonnenwind dann so tief in die Atmosphäre eindringen können, dass er sogar Wasserstoff wegtrug. Beide Effekte reicherten Sauerstoff in der Lufthülle an – und Sauerstoff ist, wie das Team um Tarduno in der Veröffentlichung schreibt, ein »Gatekeeper« für biologische Innovation und komplexe Ökosysteme mit langen Nahrungsketten. Warum das Magnetfeld damals so schwach war, ist nicht abschließend geklärt. Womöglich war diese Episode der Tiefpunkt für das Magnetfeld, bevor es nach der Entstehung des festen Erdkerns wieder an Stärke zunahm.

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