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Neurowissenschaft: Schädigt Kiffen das Gehirn doch nicht?

Aktuelle Zwillingsstudien haben keinen Effekt von Marihuana-Konsum auf die Intelligenz gefunden. Dennoch existiert eine Korrelation. Eine Erkenntnis, die Fragen aufwirft.
Mann riecht an C. sativa

Marihuana gilt als harmlose Droge, die auch in Deutschland insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine weite Verbreitung findet. Allerdings haben Forscher immer wieder davor gewarnt, dass der Konsum das Gehirn schädigen könnte. Wie unklar die Faktenlage über die Droge noch ist, wird daran deutlich, dass andere Untersuchungen solchen Erkenntnissen widersprechen. Zwei aktuelle Zwillings-Langzeitstudien von Forschern der University of South California in Los Angeles haben nun ebenfalls keinen negativen Effekt des Cannabiskonsums Jugendlicher auf deren aktuelle und spätere Intelligenz gefunden.

Zwillingsstudien eignen sich gut, um verschiedene Einflussfaktoren neben einem zu messenden Effekt auszuschließen, etwa unterschiedliche Erbanlagen oder eine unterschiedliche Sozialisation in der Familie. Für die aktuelle Untersuchung begleiteten die Forscher ihre Probanden über einen Zeitraum von acht Jahren: Zunächst ermittelten sie deren Intelligenz im Alter zwischen neun und zwölf Jahren mit Standardtests. In diesem Alter, so die Annahme, spielt Drogenkonsum noch keine Rolle. Diese Tests wiederholten sie, als die Probanden 17 bis 20 Jahre alt waren. Während der Laufzeit befragten sie die Teilnehmer der beiden Langzeitstudien – in der ersten waren es 789, in der zweiten 2277 Probanden – immer wieder über deren Marihuana-Konsum.

Häufigkeit des Konsums wirkt nicht auf den IQ

In der Tat erzielten die Marihuana-Konsumenten zwar schlechtere Testergebnisse im Vergleich zu ihrer enthaltsamen Kontrollgruppe, und sie zeigten auch eine signifikante Abnahme der kristallinen Intelligenz im untersuchten Zeitraum. Diese beruht laut der Intelligenztheorie im Gegensatz zur so genannten fluiden, angeborenen Intelligenz auf Übung und wird von unserem Umfeld beeinflusst. Aber die Studien fanden keine Dosis-Wirkung-Beziehung zwischen der Häufigkeit des Drogenkonsums und dem Intelligenzquotienten.

Auffällig war zudem, dass die Marihuana konsumierenden Zwillingspaar-Hälften keine signifikante Verschlechterung ihres IQs im Vergleich zu ihren nicht konsumierenden Geschwistern zeigten. Der Drogenkonsum direkt scheint also die Intelligenz nicht zu beeinflussen. Zu einem ähnlichen Ergebnis war eine andere Langzeitstudie ohne Zwillinge von Psychopharmakologen des University College London Anfang Januar ebenfalls gelangt.

Woher kommt nun aber die beobachtete Korrelation zwischen Marihuana-Konsum und schlechten Testergebnissen in Standard-Intelligenztests? Die Forscher gehen davon aus, dass es einen dritten Zusammenhang gibt, der sowohl Marihuana-Konsum als auch den sinkenden Intelligenzquotienten verursacht. Aber was? Hier sind die Forscher noch ratlos: "Unser Ergebnis führt uns zu der Überzeugung, dass dieser andere Faktor verknüpft ist mit der gemeinsamen Umgebung der Zwillinge, die das Zuhause, die Schule und ihre Clique umfasst", sagt Nicholas Jackson von University of Southern California.

Wer nun darauf schließt, dass Cannabiskonsum das Gehirn nicht schädigt, sollte vorsichtig sein, denn das sagt die Studie nicht aus. Nur weil bei den beteiligten Probanden kein Effekt gefunden wurde, muss das nicht für alle Jugendlichen und für alle Arten des Marihuana-Konsums gelten. Die Angaben der Probanden über ihren Konsum unterliegen der Selbstauskunft, die konsumierten Mengen wurden nicht gemessen. Auch die aktuelle Studie ist also kein Freibrief für Cannabiskonsum.

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