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Weltraumforschung: Neue Raumfahrt im alten Europa

Mit SpaceX & Co. mischen innovative, private Unternehmen die Raumfahrtbranche auf. Auch Europa will bei diesem Milliardenmarkt namens NewSpace mitmischen. Doch wie?
Falcon-9-Rakete mit Crew-Dragon-Kapsel

Das Land, das in Europa am aktivsten ist bei der neuen privaten Raumfahrt, hat keine eigenen Raketen und keinen eigenen Startplatz. Es hat nicht einmal eine nennenswerte Raumfahrtindustrie. Und doch steckt Luxemburg seit Jahren viel Energie und noch mehr Geld in ein Geschäftsfeld, das vom Start-up bis zum milliardenschweren Giganten all jene neuen und privaten Unternehmen umfasst, die derzeit die Raumfahrtbranche aufmischen: NewSpace.

Luxemburg will dabei weder Raketen noch Satelliten bauen. Das Großherzogtum will vielmehr die idealen rechtlichen, finanziellen und steuerlichen Rahmenbedingungen schaffen, so dass Raumfahrtunternehmen ihre Firmenzentralen oder Forschungsabteilungen ins Land verlegen – und dort Steuern zahlen. Eine ganz ähnliche Strategie hat in der Vergangenheit bereits geholfen, den kleinen Staat zu einem internationalen Finanzplatz zu machen. »In Luxemburg hat uns noch nie interessiert, wo das Geld herkam«, meinte der langjährige Wirtschaftsminister Etienne Schneider im Jahr 2019 augenzwinkernd beim Raumfahrtkongress IAC in Washington. »Hauptsache, es kam irgendwie ins Land.«

Wenig Aufwand, etwas NewSpace, maximaler Ertrag: So schaut – zumindest bislang – der europäische Weg aus. Sonderlich innovativ ist er nicht. Die wichtigen Erfindungen werden längst anderswo gemacht, in den USA, aber zunehmend auch in China. Zudem tun sich europäische Raumfahrt-Start-ups nach wie vor schwer, Geld aufzutreiben und durchzustarten. Die Coronakrise wird dies zusätzlich erschweren, zumal die Raumfahrt und ihre Finanzierungsprobleme angesichts der wirtschaftlichen Krise und der vielen zerstörten Existenzen derzeit nicht im öffentlichen Fokus stehen. Dennoch will Deutschland mit milliardenschweren Fonds und einem neu gestarteten Wettbewerb für kleine Raketen gegensteuern, und auch Europa hat im November 2019 erste kleine Schritte in Richtung NewSpace unternommen.

Verliert Europa den Anschluss im Weltraum?

Doch reicht das? Oder drohen die Europäer nun, nach Corona, noch mehr den Anschluss zu verlieren beim Milliardengeschäft mit dem neuen, zunehmend unübersichtlichen Weltraum? Klar ist: Die heutige Raumfahrtwelt ist nicht mehr so wohlgeordnet wie noch vor zehn Jahren. Alteingesessene Konzerne lebten damals von öffentlichen Aufträgen. Ihre Verträge waren gut dotiert, deckten alle unerwarteten Risiken ab und garantierten einen stattlichen Gewinn.

Das änderte sich im Jahr 2008, als die US-Raumfahrtbehörde NASA ein neues Frachtraumschiff zur Versorgung der Internationalen Raumstation ISS benötigte. Anders als in der Vergangenheit konnte sich die NASA auf Grund eines massiv gekürzten Etats keine teure Eigenentwicklung leisten. Stattdessen schrieb sie einen Wettbewerb aus, in dem private Unternehmen auf eigenes Risiko eine Transportmöglichkeit entwickeln sollten. Die NASA ihrerseits wollte, wie bei einem Charterflugzeug, nur noch für die später in Anspruch genommenen Flüge bezahlen, das allerdings sehr großzügig. Den Zuschlag bekam unter anderem ein Start-up, das nach drei fehlgeschlagenen Raketenstarts kurz vor dem Bankrott stand: SpaceX.

Der Rest ist schon heute Raumfahrtgeschichte. Die Firma des Internet-Milliardärs Elon Musk schaffte es dank der Anschubfinanzierung der NASA, vor allem aber durch Innovationen wie wiederverwendbare Raketenstufen, eine schlanke Organisation und eine hoch motivierte Belegschaft, die Kosten für Raumflüge deutlich zu drücken. Zur Jahrtausendwende kostete es noch gut 15 000 Euro, ein Kilogramm Nutzlast in den Weltraum zu bringen. Inzwischen verlangt SpaceX, laut offizieller Preisliste, weniger als 2500 Euro. Der Preisverfall hat viele neue Geschäftsfelder möglich gemacht, darunter kleine Satelliten, die die Erde fortlaufend beobachten, die Schiffe und Flugzeuge verfolgen oder die das Internet in jeden Winkel der Erde bringen. NewSpace war geboren.

Luxemburg will NewSpace-Unternehmen anlocken

Genau hier will Luxemburg ansetzen: mit steuerlichen Anreizen und einer unternehmensfreundlichen Gesetzgebung. Diese erlaubt es Raumfahrtfirmen unter anderem, Bodenschätze auf dem Mond und auf anderen Himmelskörpern abzubauen – auch wenn Weltraumrechtler wie Stephan Hobe von der Universität Köln solche Gesetze als »völkerrechtswidrig« einstufen. Egal. Start-ups wie Spire, das mit vielen kleinen Satelliten Wetter- sowie Schifffahrtsdaten sammelt und verkauft, oder Made in Space, das 3-D-Druck im All entwickelt, haben sich zuletzt im Großherzogtum angesiedelt.

»In Luxemburg liegt das nicht unbedingt am regulatorischen Rahmen, sondern vor allem am bereitgestellten Wagniskapital«, sagt Thomas Jarzombek, Raumfahrtkoordinator der Bundesregierung. So hat Etienne Schneider, kurz bevor er im Februar 2020 als Wirtschaftsminister ausschied, noch einen mit 70 Millionen Euro ausgestatteten Fonds für die Raumfahrt auflegen lassen.

Verglichen mit den Summen, die auf der anderen Seite des Atlantiks fließen, sind das allerdings nur Brotkrumen. Rund 3,5 Milliarden Dollar haben amerikanische Risikokapitalgeber nach Angaben des »Handelsblatts« in den vergangenen vier Jahren in Raumfahrt-Start-ups investiert. Europäische Gründer hingegen klagen immer wieder, wie schwer es sei, Geld für Raumfahrt-Ideen zu bekommen. Die Berliner Part-Time Scientists, lange Zeit die Posterboys der deutschen Raumfahrtszene, hatten zum Beispiel seit 2009 versucht, ein Mondfahrzeug zu entwickeln und zu vermarkten – ohne durchschlagenden Erfolg. 2019 folgte dann die Insolvenz, angeblich kurz vor Abschluss einer neuen Investorenrunde. Nach der Übernahme durch eine Logistikfirma und einem Management-Buyout soll es nun weitergehen – mit neuem Namen, Planetary Transportation Systems, doch noch immer ohne klares Konzept.

Gründer bemängeln Rechtsunsicherheit

Jarzombek wird dennoch nicht müde, all die Förder- und Kreditmöglichkeiten in Deutschland aufzuzählen, die für die Gründung, aber auch für die Wachstumsphase junger Firmen aufgelegt worden sind. Acht Milliarden Euro stelle die Bundesregierung derzeit für Start-ups zur Verfügung, sagt der CDU-Politiker. Zehn weitere Milliarden seien geplant. Zwei Milliarden Euro als Corona-Rettungsschirm für Start-ups sind im Mai 2020 noch hinzugekommen. Es gibt jedoch keine Auswertung, wie viel davon in Raumfahrtprojekte fließt.

Was es in Deutschland auch nicht gibt, ist ein Raumfahrtgesetz, das regelt, was private Unternehmen im Weltall dürfen, welche Vorschriften sie beachten müssen und wofür sie haften. Genau diese Rechtsunsicherheit wird von Gründern in Gesprächen häufig bemängelt. Jarzombeks Vorgängerin Brigitte Zypries hatte daher bereits vor Jahren solch ein Gesetz in Aussicht gestellt. Nun soll es endlich kommen. »Wir müssen dabei allerdings darauf achten, dass wir einen wettbewerbsfähigen Rahmen für die Unternehmen bereitstellen und das zarte Pflänzlein NewSpace nicht direkt zu Tode regulieren«, sagt Thomas Jarzombek.

Auch Europas Raumfahrt, von Start-ups oft kritisiert als zu fragmentiert und zu sehr auf nationale Bedürfnisse ausgerichtet, will erste kleine Schritte in Richtung NewSpace unternehmen. Bislang hatte die Europäische Raumfahrtagentur ESA bei neuen Raketen und Raumsonden meist – ganz klassisch – die Entwicklung finanziert, einschließlich aller Zusatzkosten. Bei ihrem Treffen Ende November 2019 in Sevilla wählten die Raumfahrtminister der ESA-Staaten nun erstmals einen anderen Ansatz, maßgeblich vorangetrieben von Deutschland: Statt eine neue, kleine Rakete in Auftrag zu geben, will die ESA lediglich deren Start bezahlen. Das Vehikel selbst, ein so genannter Microlauncher für Nutzlasten bis zu einer Tonne, müssen private Unternehmen entwickeln.

»Ohne staatliche Aufträge kann man in der Raumfahrt kein NewSpace und kein Start-up-Ökosystem schaffen – dafür ist der Staat einfach ein zu wichtiger Kunde«Thomas Jarzombek

Gleich drei deutsche Start-ups, jeweils unterstützt von großen Raumfahrtfirmen im Hintergrund, konkurrieren um diese Startaufträge – vorausgesetzt ihre Raketen sind bis 2022 einsatzbereit: die Münchner Isar Aerospace, HyImpulse aus Neuenstadt am Kocher und die Rocket Factory Augsburg. Jarzombek spricht von einem »Initialpunkt«, von einem »Testfeld«. Er sagt aber auch: »Ohne staatliche Aufträge kann man in der Raumfahrt kein NewSpace und kein Start-up-Ökosystem schaffen – dafür ist der Staat einfach ein zu wichtiger Kunde.« Die ausgeschriebenen Startaufträge sollen daher nicht nur Motivation und mögliche Einnahmequelle für die Start-ups sein. Sie sollen deren Investoren auch zeigen, dass es einen potenziellen Markt gibt.

Um diesen Markt anzukurbeln, hat die Bundesregierung im Mai 2020 im Rahmen der ESA-Initiative einen deutschen Microlauncher-Wettbewerb gestartet. Maximal fünf Unternehmen können daran teilnehmen, zugeschnitten ist er – angesichts einer Bewerbungsfrist von nur fünf Wochen – jedoch auf die drei existierenden Start-ups. Eine Jury unter Vorsitz von Jarzombek soll dann zwei Gewinner auswählen, die mit dem Geld der Bundesregierung jeweils zwei Demonstrationsflüge starten können.

Fehlt es am politischen Willen?

Mit einem Budget von 50 Millionen Euro, wovon Deutschland die Hälfte übernimmt, fällt die Microlauncher-Initiative allerdings winzig aus – zumindest im Vergleich zu anderen ESA-Programmen: Allein für die Weiterentwicklung ihrer großen Raketen haben die Minister in Sevilla 344 Millionen Euro bewilligt. In die Ariane 6, Europas künftiges Aushängeschild, werden bis zum ersten Flug, so Jarzombek, sogar knapp vier Milliarden Euro fließen – und das war noch vor der Coronakrise, die den Erstflug der Ariane 6 weit ins Jahr 2021 verschoben hat.

Doch es ist nicht allein das Geld, das Start-ups ausbremst: Eines der ehernen Prinzipien der ESA besagt, dass jedes Land Industrieaufträge für ein Vorhaben in genau jenem Anteil bekommt, mit dem es sich bei der Finanzierung des Projekts zuvor eingebracht hat. Die Ausgaben für Entwicklung und Bau der Ariane 6 müssen daher haarklein auf 13 beteiligte Länder verteilt werden. Ein Modell »SpaceX« – billig, schnell und aus einem Guss – ist mit diesem Regionalproporz undenkbar.

Und es fehlt auch am Willen. Um künftig wissenschaftliche Instrumente und Roboterfahrzeuge zum Mond zu bringen, hat die NASA einen weiteren Wettbewerb ausgeschrieben, Commercial Lunar Payload Services genannt. Wie damals bei der ISS und SpaceX soll die neue Initiative ebenfalls private Unternehmen dazu bringen, auf eigene Faust Landesonden für den Mond zu entwickeln. Auf diesen Sonden wäre die NASA mit ihren Instrumenten dann nur ein Kunde von vielen.

Vergabepraxis bevorzugt OldSpace-Unternehmen

Die Raumfahrtagentur hofft, dadurch ein kommerzielles Transportgeschäft zum Mond anzustoßen – etwas, an dem die Berliner Part-Time Scientists zehn Jahre lang erfolglos gearbeitet haben. Gerade erst hat die NASA im Rahmen dieses Programms knapp 200 Millionen Dollar für den Transport eines Mondrovers an das US-amerikanische Start-up Astrobotic vergeben, mit dem die Part-Time Scientists einst um den Lunar X-Prize für die erste private Mondlandung konkurrierten.

Auch die ESA will in den nächsten Jahren mit einer robotischen Sonde auf dem Mond landen. 120 Millionen Euro sind dafür in Sevilla bewilligt worden. Vergeben werden sollen sie aber ganz klassisch per Ausschreibung – nicht als Dienstleistung, nicht im kommerziellen Wettbewerb. Warum? Wer David Parker, den ESA-Explorationsdirektor, danach fragt, erhält die lapidare Antwort: Alle Aufträge der ESA seien doch kommerziell, schließlich würden sie ausgeschrieben und an das beste Angebot vergeben.

Allerdings, und das sagt Parker nicht, geschieht die Vergabe meist an alteingesessene Raumfahrtfirmen mit garantierten Verträgen, die jedes Risiko und jede Innovation unnötig machen. Kurz: an OldSpace, zu dem Parker, der ehemalige Astrium-Manager, vor seiner Zeit bei der ESA auch gehörte.

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