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Astronomie: Neutronensternpaar in flagranti erwischt

Neutronensterne sind kompakte Überreste von Sternexplosionen. Manchmal umkreist ein Neutronenstern einen anderen. Jetzt könnten Astronomen erstmals beobachtet haben, wie zwei zueinander finden.
Verschmelzende Neutronensterne

Astronomen vom California Institute of Technology (Caltech) haben zufällig eine seltene Sternexplosion mitangesehen und glauben damit eine wichtige Frage der Astrophysik beantworten zu können. Der sperrige Katalogname der Supernova lautet »iPTF 14gqr« (SN 2014ft). Komischerweise war sie viel lichtschwächer, als Astrophysiker das von einer Supernova eines massereichen Sterns erwarteten. Außerdem flaute der Helligkeitsausbruch recht schnell wieder ab. Die Forscher Kishalay De, Mansi Kasliwal und ihre Kollegen stellen die Beobachtung nun im Fachblatt »Science« vor. Sie interpretieren ihre Messdaten so, dass sich in unmittelbarer Nähe der Explosion ein kompakter Begleiter befand. Seine mächtige Gravitationswirkung schluckte die ausgeworfene Materie des explodierenden Nachbarsterns, vermuten die Forscher. Am besten passen die Beobachtungen demnach zu einem weiteren unsichtbaren Neutronenstern, der den explodierenden Stern bereits vor der Supernova umkreiste. Damit haben die Astronomen zum ersten Mal die Entstehung eines Neutronensterns im Doppelpack verfolgen können. Bisher war unklar, wie zwei der Exoten in den Weiten des Alls zusammenfinden können.

Spiralgalaxie mit Supernova | Im Außenbereich dieser von Gezeitenkräften verformten Spiralgalaxie namens IV Zw 155 wurde 2014 die ungewöhnlich schwache Sternexplosion iPTF 14gqr (Kreis) beobachtet, die ein Neutronensternpaar hervorbrachte.Die drei Bilder zeigen die Galaxie vor (links), während (Mitte) und nach (rechts) der Supernova.

Normalerweise explodieren massereiche Sterne, die schwerer sind als acht Sonnenmassen, nach kurzem Sternenleben in einer spektakulären und sehr hellen Supernova, die kurzzeitig ihre Heimatgalaxie überstrahlt. Vor der Explosion kollabiert der innere Teil des Sterns zu einem extrem kompakten Endobjekt: einem Neutronenstern oder sogar einem Schwarzen Loch. Wie hell die Explosion wirklich wird, hängt jedoch entscheidend von der Umgebung ab.

Ein Neutronenstern hat einen Durchmesser von nur rund 20 Kilometern. Die schwersten beobachteten Exemplare von ihnen haben die doppelte Sonnenmasse. Diese Sternleichen sind wahnsinnig dicht. Im Gravitationskollaps des Vorläufersterns wird nämlich der Sternkern so stark zusammengequetscht, dass die negativ geladenen Elektronen in der Atomhülle gewissermaßen in die positiven Protonen im Atomkern gedrückt werden (inverser Betazerfall).

Astrophysiker wundern sich schon länger darüber, dass es überhaupt Doppelsternsysteme aus zwei Neutronensternen gibt. Denn in einer Supernova erhält das kompakte Überbleibsel einen kräftigen Kick und sollte die Explosionsregion schnell verlassen. Aber offenbar bleiben Neutronensterne trotz ihrer turbulenten Entstehung beisammen. Das stellten Astronomen fest, als sie 1974 den berühmten Hulse-Taylor-Pulsar (PSR B1913+16) mit dem Arecibo-Radioteleskop entdeckten, ein System aus zwei Neutronensternen.

2017 gab es einen erneuten Nachweis eines Neutronensternduos. Diesmal konnte ihr spektakulärer Zusammenstoß direkt mit dem Gravitationswellen-Laserinterferometer LIGO (Laser Interferometer Gravitational Wave Observatory) in den USA und Virgo in Italien verfolgt werden. Drei Tage nach der Bekanntgabe des Physik-Nobelpreises für LIGO veröffentlichten die Gravitationswellenforscher den spektakulären Fund. Im Ereignis GW170817 kollidierten zwei sich eng umkreisende Neutronensterne in der Galaxie NGC 4993. Damit wurde das Raum-Zeit-Gefüge so heftig erschüttert, dass selbst die irdischen Spiegel in den Laserinterferometern bebten. Gleichzeitig war mit hunderten Teleskopen in verschiedenen Spektralbereichen die Kollision und ihr Tage und Wochen andauerndes Nachleuchten auch mit elektromagnetischen Wellen beobachtet worden.

Die Supernova iPTF 14gqr stellt nun ein weiteres, wichtiges Puzzleteil beim Verständnis von Doppelneutronensternen dar. Denn die ungewöhnlichen Eigenschaften des Systems verraten den Wissenschaftlern, wie überhaupt zwei Neutronensterne entstehen und zusammenbleiben können. Die beiden Hauptautoren der Veröffentlichung in »Science« sind der Student Kishalay De und sein Betreuer Mansi Kasliwal, beide vom Caltech. Kasliwal leitet das Projekt GROWTH (Global Relay of Observatories Watching Transients Happen), das zum Ziel hat, vorübergehende Helligkeitsausbrüche mit einem weltweiten Netzwerk aus Teleskopen aufzuspüren. Zufällig verfolgten die beiden am 14. Oktober 2014 mit Teleskopen der Palomar-Sternwarte (USA) den Helligkeitsausbruch in der 930 Millionen Lichtjahre entfernten Spiralgalaxie IV Zw 155.

Zum Erstaunen der Astronomen war die Supernova recht leuchtschwach und relativ rasch vorbei. Das deuten die Forscher so, dass ein kompakter, unsichtbarer Begleiter durch seine Gravitation etwas von der ausgeworfenen Masse des sterbenden Nachbarsterns stahl.

Die Wissenschaftler fragten sich, ob der unsichtbare Partner ein Weißer Zwerg, ein Neutronenstern, ein Schwarzes Loch oder ganz etwas anderes war. Jedenfalls musste er nah dran sein, damit seine Schwerkraft stark genug war, um die Wasserstoff- und Heliumhülle des Vorläuferstern abzustreifen. Übrig blieb ein »nackter« Sternkern. Dieser erlitt einen Gravitationskollaps, vermuten die Astrophysiker. Weil kein Wasserstoff mehr da war, erschien die Supernova als Typ I (genauer gesagt: Ic). Bei der Explosion wurde laut den Berechnungen des Teams viel weniger Materie in die Umgebung geblasen – nur 0,2 Sonnenmassen –, weil der Kern nackt war. Die Supernova ereignete sich dann in einer heliumreichen Hülle, die 500 Sonnenradien groß war, wie die Astronomen anhand der Spektren schlussfolgern.

Zum ersten Mal glauben Forscher die Bildung eines Doppelneutronensterns verfolgt zu haben. Solche Ereignisse sind selten und kurzlebig, damit schwer zu beobachten – ein echter Glücksfall.

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