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Teilchenphysik: Neuer Teilchenbeschleuniger vor dem Aus

Der nächste riesige Teilchenbeschleuniger sollte eigentlich in Japan gebaut werden. Nun hat er hat eine mehr als unsichere Zukunft: Zu teuer für den Erkenntnisgewinn, urteilt eine Expertenkommision.
Teilchenbeschleuniger

Der seit Jahren geplante Nachfolger des LHC, der International Linear Collider wird in Japan nun womöglich doch nicht gebaut – und demnach vielleicht nirgendwo. Die endgültige Entscheidung über die Zukunft des ILC steht noch aus, jetzt hat sich aber ein zur Begutachtung der Pläne eingesetztes Komitee von führenden japanischen Naturwissenschaftlern gegen den wohl mindestens sechs Milliarden Euro teuren Bau der Anlage ausgesprochen. Zur Begründung heißt es, die möglichen wissenschaftlichen Erkenntnisse würden die Ausgaben womöglich nicht rechtfertigen.

In dem nach ursprünglicher Planung 31 Kilometer langen ILC sollten Elektronen und Positronen beschleunigt kollidieren, um das am Protonenbeschleuniger LHC bei Genf gefundene Higgs-Teilchen sowie andere bekannte oder bislang unentdeckte Teilchen genauer zu untersuchen. Allerdings sind Teilchenphysiker zunehmend unsicher, ob ein Beschleuniger wie der ILC große wissenschaftliche Entdeckungen präsentieren könnte. Bisher ist am LHC – trotz großer Hoffnungen im Vorfeld – außer dem Higgs-Teilchen nichts aufgetaucht, was eingehendere Studien rechtfertigen würde.

Vor fünf Jahren hatten die meisten Physiker noch auf das Auftauchen der »Supersymmetrie« gehofft, die dann mit einer neuen Maschine weiter untersucht werden sollte. Mittlerweile gelten die Chancen, dass der LHC noch Spuren der ambitionierten Theorie entdeckt, als eher gering. Japan scheint die Finanzierung des ILC vor diesem Hintergrund zu riskant zu sein: Das Land hätte bis zur Hälfte der Kosten übernehmen müssen, den Rest sollten internationale Projektpartner beisteuern. Ob diesen der wissenschaftliche Nutzen des ILC groß genug für eine Investition wäre, ist aus heutiger Sicht aber offen. Japanische Experten hatten zuletzt auch Zweifel angemeldet, ob die Region, in der der Beschleuniger gebaut werden soll, wirklich stark genug von dem Projekt profitieren würde.

Rein wissenschaftlich bleiben möglichst große und leistungsstarke lineare Teilchenbeschleuniger wie der ILC prinzipiell sinnvoll, räumt derweil die japanische Expertenkommision ein: Die darin mit großer Energie kollidierenden Elektronen und Positronen produzieren Higgs-Teilchen und Teilcheninteraktionen, die »sauberer«, also leichter zu interpretieren sind als etwa die aus Zusammenstößen von Protonen. Dabei könnten sich Abweichungen der Vorhersagen des Standardmodells der Teilchenphysik zeigen, dem Regelwerk, mit dem Physiker den Mikrokosmos beschreiben. Denkbar ist aber auch, dass eine solche Überraschung ausbleibt und der ILC keine wissenschaftliche Sensation zu Tage fördern würde.

Neben dem ILC bleiben weltweit weitere, auch alternative Teilchenbeschleunigerkonzepte in Planung: Das CERN verfolgt langfristig die Idee des gigantischen Protonenbeschleuniger Future Circular Collider (FCC) als LHC-Nachfolger, und China hatte Pläne für eine 100-Kilometer weite Ringanlage, zu der aber aus wirtschaftlichen und politischen Gründen ebenfalls internationale Geldgeber beisteuern müssten. Die endgültige, nun im März 2019 erwartete Entscheidung Japans über den ILC dürfte auch diese Projekte beeinflussen.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Textes stand eine falsche Angabe über die zu erwartenden Kosten des Projektes. Wir haben dies nun nachträglich korrigiert, bitte entschuldigen Sie den Fehler (S.de/jo)

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