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Transkriptom und Konnektom: Neue Karten für die Hirnforschung

Zwei Gehirnatlanten liefern bessere Daten als je zuvor.
Sehsystem in 3-D

Ohne eine gute Karte geht schnell der Überblick verloren – nicht anders ist das in der Hirnforschung. Forscher des US-amerikanischen Allen Institute for Brain Science in Seattle liefern nun gleich zwei lang erwartete Atlanten zum Maus- und Menschengehirn. Alle Daten sind für die Forschergemeinde online frei zugänglich.

In der ersten der beiden Veröffentlichungen geht ein Team um Hongkui Zeng der Verkabelung von Hirnregionen nach. Aus über 1200 Gehirnen von Mäusen errechneten sie einen kompletten Plan des so genannten Konnektoms: Welches Hirnareal mit welchem interagiert, zeigt ihr "Allen Mouse Brain Connectivity Atlas", den sie seit 2011 schrittweise online stellen. Er ist der erste umfassende Atlas, der die Verknüpfungsmuster in einem kompletten Säugetiergehirn verzeichnet. [1]

Straßenkarte des Mäusegehirns

Die Wissenschaftler injizierten dazu über 1200 Mäusen an ausgewählten Stellen ein genetisch verändertes Virus ins Gehirn. Die Hirnzellen rund um die Injektionsstelle nehmen es auf, und die virale Sonde verbreitet sich bis in die Spitzen ihrer Axone – der langen, kabelartigen Fortsätze der Zelle. Weil infizierte Zellen grün fluoreszieren, lässt sich anschließend mit dem Mikroskop der Verlauf der Zellfortsätze quer durch das Gehirn verfolgen.

Sehsystem in 3-D | Die Ergebnisse der Forscher lassen sich auch dreidimensional darstellen: Hier sieht man den Schaltplan von vier Zentren der visuellen Wahrnehmung, die untereinander stark verknüpft sind und in Netzwerke des Thalamus (rosa) und des Mittelhirns (lila) einbezogen sind.

Dazu schnitten die Forscher die Nagetiergehirne in 140 hauchdünne Scheiben und scannten sie mit einem speziellen Lichtmikroskop ein. Die Daten sämtlicher Aufnahmen fügten sie am Computer zu einem dreidimensionalen Atlas zusammen. Dessen Auflösung vergleicht der Hirnforscher David Anderson vom California Institute of Technology in einer Pressemitteilung des Allen Institutes mit einer "Karte der Fernverkehrsverbindungen zwischen Großstädten".

Mehr Präzision ist derzeit nicht möglich: Um noch genauer zu werden und beispielsweise einzelne Synapsen zu erfassen, müssten Forscher das Hirngewebe mit Elektronenmikroskopen abfotografieren. Um die dabei anfallenden Daten abzuspeichern, wäre nicht einmal die komplette Speicherkapazität von Google ausreichend.

Wo sind welche Gene aktiv?

Welche Gene bei der Hirnentwicklung eine Rolle spielen, kartierten hingegen die Wissenschaftler um Ed Lein, ebenfalls vom Allen Institute. Sie fertigten dazu bei Autopsien zahlreiche dünne Hirnschnitte von vier menschlichen Föten aus der 15. bis 21. Schwangerschaftswoche an. [2]

An ausgewählten Stellen nahmen sie Proben aus dem Hirngewebe und isolierten die in den Zellen enthaltene RNA – sie gibt Aufschluss darüber, welche Gene von einer Zelle gerade abgelesen wurden, um beispielsweise Proteine herzustellen.

Diese Informationen helfen Forschern dabei, den Einfluss diverser Gene auf die Entwicklung des Gehirns näher zu ergründen. Sind bei einer Erbkrankheit beispielsweise bestimmte Gene gestört, lässt sich mit Hilfe des Atlas herausfinden, wo diese Gene in den Stoffwechsel eingreifen und an welchen Stellen ihr Ausfall zu Schäden führen könnte.

Die Datenbank ist für die Öffentlichkeit unter dem Namen "BrainSpan Atlas of the Developing Human Brain" zugänglich. An ihrer Entstehung wirkten dutzende Forscher von zahlreichen Universitäten mit. Beide Projekte bereiten das Feld für noch größer angelegte "Big-Science"-Unternehmungen, die mit bis zu Milliarden Euro an Fördergeldern die Hirnforschung voranbringen sollen: das europäische Human Brain Project und die US-amerikanische BRAIN-Initiative, deren Startschuss durch Barack Obama vor exakt einem Jahr erfolgte.

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