Direkt zum Inhalt

Nobelpreisträgerin Frances Arnold: »Mit veränderten Enzymen können wir ganz neue Moleküle herstellen«

Für ihre Forschung an gerichteter Evolution erhielt Frances Arnold 2018 den Nobelpreis in Chemie. Im Interview erklärt sie, wie sie Enzyme dazu bringt, Moleküle effizienter und umweltschonender herzustellen.
DNA

Mit Hilfe von gerichteter Evolution bringt Frances H. Arnold Enzymen ganz neue Tricks bei – eine Leistung, für die ihr 2018 eine Hälfte des Nobelpreises für Chemie zugesprochen wurde. Im Interview mit »Spektrum.de« spricht sie über ihre Forschung, ihr Lieblingsenzym und die Zukunft der Biokatalyse.

Spektrum.de: Professor Arnold, Sie arbeiten daran, Enzyme umzufunktionieren und sie für ganz neue Reaktionen nutzbar zu machen. Welchen Vorteil haben biologische Verfahren gegenüber klassischen chemischen?

Frances Arnold: Wir würden gerne chemische Prozesse, die Abfälle produzieren, durch saubere biologische ersetzen. Das ist eines der Hauptziele vieler Forscherinnen und Forscher in der synthetischen Biologie. Die Vision ist es, Mikroorganismen zu entwickeln, die erneuerbare Rohstoffe in Industriechemikalien umwandeln oder in Treibstoffe und Materialien für den Alltag. Alle Moleküle, welche die für diese Umwandlungen nötigen chemischen Schritte durchführen, sind dabei Enzyme. Der entscheidende Punkt ist Katalyse mit Enzymen.

Professor Frances H. Arnold | Professor Arnold erforscht gerichtete Evolution von Enzymen – und erhielt für ihre Arbeit 2018 eine Hälfte des Chemie-Nobelpreises.

Biologische Enzyme funktionieren gewöhnlich auf spezifische Weise, zum Beispiel bei bestimmten Temperaturen. Kann man Enzyme wirklich beliebig umfunktionieren, für alles?

Natürlich nicht. Man kann sie nicht dazu bringen, Blei in Gold zu verwandeln. Wenn etwas thermodynamisch nicht funktioniert, wird ein Enzym es nicht ermöglichen. Die große Frage ist: Was wird kinetisch möglich, sobald ein Enzym es katalysiert? Man muss sich nur ansehen, was die Natur leistet – die Natur nimmt Reaktionen, die ohne einen Katalysator vielleicht eine Milliarde Jahre dauern, und katalysiert sie so, dass sie innerhalb von Minuten oder Tagen ablaufen. Die Fähigkeiten von Enzymen haben sich in vielen natürlichen Systemen erwiesen. Wir stellen die Frage: Wenn wir ein Enzym beauftragen, eine neue Reaktion auszuführen – sagen wir, eine von Menschen erfundene Reaktion –, wie viel besser als der beste Mensch kann das Enzym das leisten?

Wie gehen Sie die Suche nach neuen Enzymen an? Suchen Sie erst nach einem chemischen Prozess, der durch einen enzymatischen ersetzt werden könnte?

Wir lassen uns von der Chemie inspirieren. Menschen haben viele interessante Prozesse entwickelt – zum Beispiel um ein Medikament herzustellen –, die Reaktionsschritte beinhalten, die es in der Natur nicht gibt. Wir ersetzen entweder diese Schritte, indem wir Enzyme überzeugen, diese Reaktionen zu katalysieren, oder – besser noch – wir ersetzen den ganzen Prozess durch eine einzige enzymatische Katalyse. Wenn man also zum Beispiel ein Medikament in acht Reaktionsschritten herstellt, dann verschwendet jeder von ihnen Material und erzeugt große Mengen Abfallprodukte, ganz besonders in der Pharmaproduktion. Wenn man das durch einen einzigen enzymatischen Schritt mit hoher Ausbeute und Effizienz ersetzt, dann hat man bereits den Abfall der chemischen Produktion drastisch reduziert. Dafür gibt es bereits gute Beispiele.

Welche?

Merck zum Beispiel hat einen enzymkatalysierten Prozess, um ihr Diabetesmedikament Januvia herzustellen. Damit gewannen sie vor ein paar Jahren den »Presidential Green Chemistry Award«, und das, weil sie – mit Hilfe gerichteter Evolution – ein Enzym für einen Reaktionsschritt entwickelten, der zuvor wertvolle Metalle und große Mengen organischer Lösungsmittel benötigte.

Was ist gerichtete Evolution, und wie funktioniert sie?

Gerichtete Evolution ist eine Technik, um biologische Moleküle zu verbessern; ihre DNA umzuschreiben, so dass sie für ein etwas anderes Protein codiert, das etwas bessere Eigenschaften hat als das Ausgangsprotein. Konkret bedeutet das: Ich nehme DNA aus der Umwelt, die eine Bauanleitung für ein bestimmtes Enzym enthält. Ich habe schon eine Vorstellung davon, welche neuen Eigenschaften es haben soll – aktiver, stabiler, langlebiger, so etwas in der Art. Aber ich weiß nicht, wie ich die Gensequenz verändern muss, um das zu erreichen.

»Wenn man zu gezielten Veränderungen übergeht, kontaminiert man das Experiment mit Gedanken«

Nun erzeuge ich in dieser DNA-Sequenz zufällige Mutationen und teste dann, welche davon zu einem für meine Zwecke besseren Enzym führen. Dann nehme ich die DNA dieses verbesserten Enzyms und lasse sie den gleichen Zyklus aus Mutation und künstlicher Selektion noch einmal durchlaufen.

Wenn Ihnen das bekannt vorkommt, liegt das daran, dass diese Vorgehensweise stark dem Prozess ähnelt, mit dem Menschen alles Mögliche verändert haben: Mais, Brieftauben, Laborratten, Rennpferde, Hunde – und vieles mehr. Wir nutzen schon lange künstliche Selektion, um die belebte Welt zu verändern. Nun können wir das auf dem Level der DNA tun.

Wie funktionierte diese Selektion vor der Erfindung der DNA-Modifikation?

Ganz früher, indem man auswählte, wer sich mit wem paarte. Wenn Sie ein Rennpferd züchten wollten, mussten Sie die richtigen Eltern auswählen. Später ließ sich der Prozess beschleunigen, indem man zufällige Mutationen durch Strahlung oder erbgutverändernde Chemikalien erzeugte. Aber heute kann man tatsächlich einfach die DNA entnehmen, im Reagenzglas verändern, sie in eine Mikrobe zurückverpflanzen, und dieser Organismus wird dann das veränderte Protein herstellen.

Wie sieht Ihr Arbeitsablauf auf der Suche nach einem Enzym konkret aus? Fügen Sie zufällige Mutationen hinzu, bis Sie das gewünschte veränderte Protein haben, oder machen Sie erst einige zufällige Durchgänge und nutzen anschließend gezielte Veränderungen für den letzten Schliff?

Das machen alle unterschiedlich. Man kann in der gerichteten Evolution auf verschiedene Arten Erfolg haben, deswegen versuche ich, anderen nicht meine persönlichen Vorlieben vorzugeben. Der Vorteil völlig zufälliger Mutationen ist, dass man Neues erfährt. Man lernt, was in einem System wichtig ist. Wenn man zu gezielten Veränderungen übergeht, kontaminiert man das »blinde« Experiment mit Gedanken – was gut oder schlecht sein kann, weil wir nicht wissen, wie Sequenzen Funktion verschlüsseln.

Wie viel von diesem Prozess machen Sie selbst, welchen Anteil haben Sie nach außen gegeben? Isolieren und verändern Sie die Enzyme selbst?

Wir machen alles im Labor – unsere eigene chemische Synthese und zufällige Mutagenese. Was jetzt natürlich passiert, ist, dass die Technik für die DNA-Synthese so gut geworden ist, dass man ganze Bibliotheken mutierter Gene online bestellen kann – wenn Sie das Geld haben. Es ist also eine Frage von Geld gegen Zeit. Studenten sind relativ schlecht bezahlt. Wenn so ein Studi das an einem Tag schafft, ist das kosteneffektiver, als das Gleiche für tausende Dollar zu kaufen. Aber wenn Sie in der Industrie forschen, ist der Trade-off anders. Außerdem wollen Studentinnen und Studenten es ja lernen, da sind sie auch bereit, ein bisschen mehr zu arbeiten.

Haben Sie ein Lieblingsenzym, an dem Sie besonders gerne arbeiten?

Ja, ich mag das Cytochrom P450 sehr gerne.

Warum ausgerechnet das?

Das sind Enzyme in der Leber. Menschen haben etwa 50 davon, manche Pflanzen 100. Sie sind die erste Verteidigungslinie, zum Beispiel wenn Sie Gifte einnehmen. Diese Enzyme haben so viel Kraft, dass sie diese Verbindungen nehmen und Sauerstoff in sie einfügen – dadurch können diese Substanzen abgebaut werden und werden schnell über die Leber ausgeschieden. Das ist eine Chemie, bei der Menschen nicht wissen, wie man sie zu Stande bringt. Deswegen haben mich diese Enzyme inspiriert, weil sie ganz besondere Chemie betreiben – und ich wollte sie dazu bringen, auch andere Arten leistungsstarker Chemie zu ermöglichen. Ich war begeistert herauszufinden, dass sie das bereitwillig taten – mit dem richtigen Anreiz natürlich. Ich arbeite viel mit diesen Enzymen.

Wenn Sie eine ganze Bibliothek verschiedener Mutanten eines Enzyms erzeugt haben, versuchen Sie auch, diese Varianten auf ganz andere Reaktionen anzuwenden?

Ja – mein Kühlschrank ist voller Mutanten, die wir gesammelt haben. Es ist eine einzigartige Sammlung von Enzymen, die neue Tricks gelernt haben. Und es hat sich herausgestellt, dass Enzyme, die neue Tricks gelernt haben, oft gleich mehrere neue Tricks kennen. Wir setzen unsere Enzyme immer wieder auf neue Reaktionen an.

Können Sie mir ein Beispiel für eine nichtbiologische Funktion geben, für die Sie ein Enzym entwickelt haben?

Silizium ist das zweithäufigste Element in der Erdkruste. Aber man findet in der Biologie keine Silizium-Kohlenstoff-Bindungen. Biologie ist kohlenstoffbasiert. Organosiliziumverbindungen kommen schlicht nicht vor – alles Silizium, das in der Biologie auftaucht, tut das in Form von Silikat, wobei das Element an Sauerstoff gebunden ist. Aber Menschen entwickeln die ganze Zeit Siliziumverbindungen mit Kohlenstoff. In diesem Raum sind bestimmt 50 Produkte – von Flaschenverschlüssen bis zu Dichtungen, Haarprodukten, Kosmetika und so weiter –, die menschengemachte Organosiliziumverbindungen enthalten. Deshalb haben wir uns gefragt: Soweit wir wissen, stellt die Biologie solche Verbindungen nicht her – aber könnte sie, wenn man ihr die Gelegenheit gäbe? Also haben wir natürliche Enzyme gesucht, die zumindest die kleinste Bereitschaft zeigen, Kohlenstoff-Silizium-Bindungen durch eine spezielle Reaktion namens Carben-Insertion zu bilden. Und tatsächlich: Wir entdeckten, das Cytochrom-Cs – Elektronentransferproteine – die Reaktion so gut katalysierten wie die besten menschengemachten Katalysatoren. Sie saßen nur da und warteten darauf, diese Chemie betreiben zu können. In der Natur spielt das keine Rolle, denn die Vorläufermoleküle, die wir ihnen vorsetzten, existieren in der biologischen Welt nicht, sie sind menschengemacht. Aber wenn die Enzyme auf diese Vorläufer stoßen, katalysieren sie die Reaktion bereitwillig und sehr gut. Und sie sind weiter evolvierbar, so dass man sie im Labor noch verbessern kann und so einen exzellenten Katalysator für die Bildung von Silizium-Kohlenstoff-Bindungen bekommt.

Das natürliche Enzym ist also bereits genauso gut wie menschliche Chemie?

Ja. Und durch gerichtete Evolution machten wir es zu einem 15-fach besseren Katalysator als jeder menschengemachte – die zudem noch wertvolle Metalle verwenden. Doch dieses Enzym benutzt Eisen, das häufigste der Übergangsmetalle, und katalysiert trotzdem besser als menschliche Chemie. Wir haben an dem Punkt einfach aufgehört, weil wir davon ausgingen, dass das für eine Publikation reichen würde. Wir haben nicht versucht, es weiterzutreiben, aber ich weiß, dass man das Enzym noch verbessern kann.

Wenn man nun einen bestimmten Herstellungsweg hat und man möchte eine Chemikalie in diesem Prozess gegen ein Enzym tauschen – wie findet man ein Protein, das sich eventuell dafür eignet?

Die Vorauswahl von Enzymen erfolgt auf Grund von chemischem Vorwissen und Intuition. Wir müssen die Enzyme dazu mit neuen Augen betrachten – unter dem Gesichtspunkt ihrer Chemie. Nur so können wir sagen, nun ja, dieses aktive Enzymzentrum mit diesem Metall erinnert mich ein wenig an den Katalysator, den dieser eine Chemiker vor 40 Jahren in einer Reaktion beschrieben hat. Die chemischen Katalysatoren entwickeln sich nicht weiter – unsere biologischen aber schon. Also probieren wir, ob das Enzym auch diese Reaktion beschleunigen könnte – und manchmal schaffen sie das dann wirklich. Wir verwenden also das chemische Wissen, um nichtnatürliche Funktionen von Proteinen abzuschätzen.

Struktur von Cytochrom C | Dieses Enzym – das in Zellen ein Bestandteil der mitochondriellen Atmungskette ist – macht eine völlig unnatürliche Reaktion möglich: Es knüpft Bindungen zwischen Kohlenstoff- und Siliziumatomen.

Müssen Sie dazu die Enzymstruktur kennen?

Nicht unbedingt, aber es hilft. Zum Glück kennen wir immer mehr Kristallstrukturen – vor 30 Jahren hatten wir noch sehr wenig Information über die dreidimensionale Form verschiedener Proteine. Heute füllen sich die Datenbanken rapide. Und wir wissen auch einiges über die chemische Reaktivität von Metallen. Wenn man also das aktive Zentrum eines Proteins dreidimensional vor sich hat und man sieht, wie das Metall dort legiert ist und wie seine unmittelbare Umgebung aussieht, kann das großartige Ideen entfachen. Besonders unsere jungen Studenten machen tolle Vorschläge – ihnen wurde noch nicht so oft gesagt, was dieses oder jenes Enzym nicht kann. Wenn wir mit relativ unbekannten Proteinen arbeiten, lösen wir die Kristallstruktur auch oft selbst auf. Die Technologie dafür gehört heute ja fast schon zum Standardrepertoire.

Denken Sie, in Zukunft wird künstliche Intelligenz eine Rolle bei der Suche nach passenden Enzymen spielen?

Das tut sie bereits! Ich verwende seit mehreren Jahren maschinelles Lernen, um unseren evolutionären Prozess besser zu charakterisieren, und habe darüber auch mehrmals publiziert. Und warum? Na ja, weil wir eben reichlich Daten produzieren. Unsere zufälligen Mutationen liefern enorme Datenmengen, und anstatt die negativen Resultate einfach zu verwerfen, füttern wir sie in ein statistisches Modell. Das errechnet dann zum Beispiel, wie sehr die unterschiedlichsten Veränderungen die Enzymaktivität beeinflussen – und dieses Wissen verwenden wir dann, um die nächste Generation besser vorherzusagen.

Wenn Sie einen Prozess mit einem Enzym katalysieren lassen wollen, der mit klassischer Chemie mehrere Reaktionsschritte benötigt, wie gehen Sie da vor?

Enzyme sind großartig, weil sie so extrem selektiv sind. Sie können mit einem Teil des Moleküls Chemie betreiben und einen anderen Teil völlig unberührt lassen. Das heißt, man muss den anderen Teil des Moleküls nicht vor der gerade ablaufenden Reaktion schützen, wie das in der klassischen Chemie nötig ist. Enzyme können auch Moleküle mit der richtigen Chiralität erzeugen – also der richtigen »Händigkeit« –, so dass man gleich die richtige Konfiguration bekommt und keine Mischung. Wir wissen von Pharmazeutika, dass manchmal eine der Konfigurationen giftig ist und entfernt werden muss. Es wäre also besser, gleich nur die Form zu bekommen, die man möchte. Enzyme sind toll, weil sie genau das können.

Wie schwierig ist es, Leute zu überzeugen, Enzyme statt der bewährten chemischen Verfahren zu verwenden?

Na ja, es reicht nicht, ihnen davon zu erzählen. Die Menschen müssen es in ihrem eigenen Kontext funktionieren sehen – und dafür muss man sie erst einmal schulen. Die meisten Chemikerinnen und Chemiker sind nicht dafür ausgebildet, mit katalytischen Enzymen zu arbeiten. Sie denken, die Enzyme sind schlampig und renitent und benötigen besondere Sorgfalt. Manchmal ist das auch der Fall, aber nicht immer. Inzwischen sehe ich jedoch, dass große Pharmafirmen wie zum Beispiel Merck bereitwillig Enzyme in ihre Prozesse einbauen, wenn sie sehen, dass das Kosten spart.

Viele seltene und wertvolle Übergangsmetalle werden zudem immer teurer; und noch viel bedeutender ist, dass es immer teurer wird, chemische Abfälle zu behandeln und die immensen Mengen an Müll aus dieser Industrie zu beseitigen. Das treibt die gesamte Industrie dazu, sich intensiver darum zu bemühen, Abfälle zu vermeiden. Enzyme können den Bedarf hier decken. Ich stelle selbst fest, dass das Interesse daran steigt. Die Unternehmen stellen meine Postdocs ein, um zu lernen, wie man diese Katalysatoren evolviert und in chemischen Prozessen verwendet.

Was ist das genaue Problem mit diesen chemischen Abfällen und wertvollen Metallen, die Sie immer wieder erwähnen?

Sie sind giftig und müssen aufwändig behandelt werden, um die Metalle chemisch zu reduzieren. Wenn Sie zum Beispiel Palladium in einem Prozess verwenden, darf man wegen der möglichen Toxizität keine Spuren davon im Endprodukt finden. Es ist sehr teuer, auch die letzte Spur eines Metalls aus einem Produkt zu entfernen. Aber Eisen ist harmlos. Selbst wenn eine geringe Menge Eisen enthalten wäre, täte das niemandem weh: Wir haben überall Eisen, unser Blut ist voll davon. Es wird also in vielen Fällen günstiger, den Prozess über alle Stufen sauber zu halten.

Praktisch mutieren Sie also die DNA im Reagenzglas und injizieren sie im Anschluss in einen Wirtsorganismus. Dieser Wirt, normalerweise ein Bakterium, macht dann das modifizierte Enzym für Sie. Was passiert anschließend – bleibt das Enzym im Wirt, oder müssen Sie es isolieren?

Das kommt darauf an, was man damit tun will. Das einfachste ist, es im Bakterium zu belassen, und dieses sozusagen als »Enzymbeutel« zu verwenden. Das spart die Aufreinigung, und zudem ist das Bakterium voll mit Nährstoffen, die Energie für enzymatische Reaktionen liefern. Manchmal muss man aber das Bakterium zuerst aufbrechen und das Enzym isolieren.

Zum Beispiel, weil die Ausgangsmaterialien für die Reaktion die Bakterien vergiften würden?

Nein, nicht unbedingt. Dann tötet man die Bakterien eben, und sie sind nur noch ein toter Enzymbeutel. Sehr oft kann man diesen Beutel beibehalten.

Wann muss man dann das Enzym überhaupt aus den Bakterien lösen?

Manche Menschen bevorzugen es einfach, mit reinen Enzymlösungen zu arbeiten – dann wissen sie genau, was in ihrer Reaktionslösung passiert. Bei den letzten Schritten in der Arzneimittelherstellung werden Schritte mit lebenden Organismen eher vermieden. In anderen Fällen haben die Bakterien vielleicht eine chemische Reaktivität, die den erwünschten Prozess stören kann – am Ende sind sie ja auch voll mit anderen Enzymen. Viele der chemischen Vorgänge, mit denen ich mich beschäftige, sind aber so unnatürlich, dass so ein unerwünschter Einfluss auf den Prozess eher nicht stattfindet.

Sind Organismen mit selektiv evolvierten Enzymen schon neue Lebensformen?

Es gibt auch Situationen, in denen man die Bakterien auf jeden Fall am Leben halten will; und zwar dann, wenn man einen Prozess katalysiert, bei dem viele Enzyme nacheinander wirken müssen. Für solche Abläufe ist die Biologie wirklich toll: Sie ermöglicht chemische Kettenreaktionen, die als biosynthetischer Reaktionsweg alle Schritte vom einfachen Zucker bis hin zum Biotreibstoff treiben. Nun stellen Sie sich vor, wir bringen eine ganze Reihe neuartiger Enzyme in dieses Grundgerüst – und erzeugen so Tonnen an nützlichen Chemikalien, die noch nie zuvor in Bakterien hergestellt wurden.

Wenn Sie nun so ein Bakterium erzeugen, das komplett neue, andere Reaktionswege nutzt als die ursprüngliche Mikrobe – wird dieser Organismus dann zu einer anderen Lebensform?

Das kommt ganz darauf an, was man unter »anders« versteht. Ich schaffe es ja nicht einmal, dass alle sich einige sind, dass es sich bei den veränderten Enzymen um »andere« Proteine handelt. Was ist überhaupt die Definition von »anders«? Aus Sicht der DNA-Sequenz sehen das Original und die veränderte Variante vielleicht sehr ähnlich aus. Dabei haben sie aber ganz andere Funktionen.

Wenn das Bakterium nun aber die neu erschaffenen Materialien nutzt, um Energie zu gewinnen – dann wäre das doch ein völlig neuer Weg für es zu leben.

Ja, das wäre es, wir haben das allerdings noch nicht so gemacht. Aber ich denke, im Prinzip wäre es möglich.

Können Sie auch ungewöhnliche Aminosäuren einbauen, über die 20 in normalen Proteinen vorkommenden hinaus, um Enzyme mit noch mehr Funktionen zu bekommen?

Im Prinzip ja. Aber damit habe ich nicht herumgespielt, weil die 20 natürlichen Aminosäuren für mich völlig ausreichen. Doch andere Leute denken darüber nach – wie kann man den Protein-Code erweitern und neue chemische Funktionalitäten einbauen, die die 20 natürlichen Aminosäuren nicht haben? Ich persönlich hatte viel Spaß dabei, erst einmal zu erforschen, was die natürlichen Komponenten anbieten – und das ist unglaublich breit gefächert. Wir konnten einfach nur mit Eisen und Aminosäuren schon viele Dinge machen. Und was mich wirklich begeistert hat, ist die Fähigkeit, Moleküle herzustellen, die bisher wirklich niemand bauen kann – weder Chemie noch Biologie. Und weil wir uns ausmalen, was das aktive Zentrum eines Moleküls noch tun könnte, stellen wir unter Umständen Moleküle her, die zwar existieren könnten, die aber noch niemand hergestellt hat. Sehr stark gespannte Ringe zum Beispiel.

In der nahen Zukunft – sagen wir in den nächsten zehn Jahren –, welche möglichen Anwendungsgebiete sehen Sie für Enzyme mit nichtbiologischen Funktionen?

Sie werden sicher immer mehr in der organischen Synthese auftauchen, um komplexe chemische Prozesse zu vereinfachen. Das liegt auf der Hand, und es passiert auch schon. Ein etwas weniger offensichtlicher Bereich wäre als Ersatz für Reaktionen, die bisher nur mit nasschemischen Methoden möglich waren. Niemand in der siliziumorganischen Industrie dachte bisher überhaupt an biologische Methoden. Jetzt sehen sie aber, dass Enzyme auch hier nützlich sein könnten und dabei edle Metalle wie Platin durch Allerweltsmetalle wie Eisen ersetzt werden können. Selbst wenn sie noch nicht mit den Bakterien arbeiten, hat es sicher ihre Fantasie beflügelt.

Gibt es auch Gefahren, wenn man Enzyme an Stelle von Chemikalien nutzt?

Die einzige Gefahr, die mir einfällt, ist, die Abfallindustrie in den Ruin zu treiben [lacht].

Vielen Dank für das spannende Interview, Professor Arnold.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.