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Riesen-Quantenzustand: Metallbauteile quantenmechanisch verschränkt

Es ist noch keine Katze - aber die Objekte in quantenmechanischen Mischzuständen werden immer größer. Nun haben Fachleute bis zu eine Billion Atome verschränkt.
Verschränkung

Es tut sich etwas an der Quantenfront, und zwar erstmals auch deutlich diesseits der Welt des Allerkleinsten. Waren Quantenphänomene bisher auf winzigste Skalen begrenzt, halten ihre bizarren Mischzustände und scheinbar widersprüchlichen Eigenschaften nun Einzug in die Größenordnungen der Alltagswelt. Fast jedenfalls.

Gemessen an bisherigen Quantenobjekten sind die miteinander verschränkten schwingenden Bauteile gigantisch, von denen jetzt zwei Arbeitsgruppen in »Nature« berichten. Simon Gröblacher von der Technischen Universität Delft in Holland und seinen Kollegen gelang es, zwei zehn Mikrometer lange und schwingende Siliziumzylinder zu verschränken. Eine sehr ähnliche Leistung vollbrachte ein Team um Mika Sillanpää von der Universität Aalto in Finnland: Es koppelte die Bewegungen zweier Trommelfelle aus Aluminium mit einem Durchmesser von 15 Mikrometern in einen gemeinsamen Quantenzustand. Die so erzeugten Quantenobjekte enthalten bis zu einer Billion Atome. Ein feines menschliches Haar hat etwa einen Durchmesser von 40 Mikrometern.

In den Systemen schwingen beide Komponenten mit einer bestimmten Frequenz. Doch die Verschränkung, eine geisterhafte Verknüpfung auf Quantenebene, lässt beide Objekte auf äußerst merkwürdige Weise miteinander korrelieren. Sie beeinflussen sich gegenseitig unmittelbar und ohne jede Verzögerung. Eine Schwingungsänderung des einen Oszillators überträgt sich sogleich auf den anderen, obwohl sie räumlich getrennt sind und keinerlei klassischer Informationsaustausch stattfindet.

In zahlreichen Experimenten konnten Wissenschaftler dieses kontraintuitive Phänomen bereits nachweisen und kamen zu dem Schluss, dass es sich womöglich für neue Technologien nutzen lässt. Dazu müsste man eine große Anzahl an Quantenpartikeln miteinander verschränken und in der Lage sein, diesen Prozess zu kontrollieren und zu steuern. Mit derartigen Netzwerken ließen sich etwa neue Informations- und Kommunikationstechnologien realisieren. Verschränkte Zustände sind jedoch sehr sensibel und waren bisher immer mikroskopisch klein.

Rund eine Billion Atome

Das ändert sich nun. Bislang beschränkten sich mechanisch verschränkte Quantensysteme auf intrinsische Materialeigenschaften oder gefangene Ionen: Im Jahr 2009 konnten Forscher beispielsweise erstmals zwei einzelne Ionen quantenmechanisch koppeln – mittlerweile liegt der Rekord bei über 200. Daneben haben Wissenschaftler Verschränkungen in Kristallen erzeugt, mit bis zu mehreren Millionen Atomen.

Eigens erzeugte makroskopische Strukturen zu verschränken, ist hingegen ein Novum. Die Systeme von Gröblacher und Sillanpää bestehen aus mehreren Milliarden beziehungsweise rund einer Billion Atomen. Im Vergleich zu bisherigen verschränkten Objekten lassen sich diese Oszillatoren also getrost als »makroskopisch« bezeichnen. Erst mit solchen großen, mechanischen Elementen lassen sich Quantennetzwerke passend skalieren und designen, um sie zum Beispiel für die Informationstechnologie einsetzen zu können.

Doch solche mechanischen Schwingungssysteme sind enorm anfällig für Störungen. In erster Linie liegt das daran, dass sie mit einer vergleichsweise geringen Geschwindigkeit hin- und herpendeln – ein wesentlicher Unterschied zu Verschränkungsphänomenen bei Licht, dessen assoziiertes elektrisches Feld extrem hochfrequent oszilliert und daher gegenüber thermischen Fluktuationen ziemlich unempfindlich ist. Verschränkte Lichtteilchen – mitunter mehr als 100 000 – sind für Quantenphysiker dementsprechend fast schon zur Routine geworden. Um allerdings mechanische Systeme quantenmechanisch zu koppeln, müssen die Forscher minimalste Störungen, wie die thermischen Bewegungen umgebender Atome, nahezu vollständig eliminieren. Daher kühlten die beiden Forschergruppen ihre Systeme auf Temperaturen nahe des absoluten Nullpunkts von minus 273 Grad Celsius ab.

Löchrige Siliziumstäbe

Die Siliziumstäbe von Gröblacher und seinen Kollegen sind an beiden Enden jeweils auf einem Chip eingespannt und können in der Mitte frei schwingen. Sie sind gespickt mit kleinen Löchern, die gewissermaßen Licht einfangen. Im Experiment platzierten Gröblacher und seine Koautoren die Chips mit den Zylindern im Abstand von 20 Zentimetern und beschossen sie mit Laserpulsen.

Dadurch fingen die Stäbe schließlich an zu schwingen. Anhand des gestreuten Lichts konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ihr System nicht nur angeregt wurde, sondern schließlich auch verschränkt war – also gewissermaßen stets im Gleichtakt schwang. Dazu nutzten sie ein bewährtes Verfahren der Quantenoptik, das so genannte DLCZ-Protokoll , bei dem der Nachweis anhand einzelner Photonen stattfindet, deren Ursprungswege nicht mehr zu unterscheiden sind.

Vereinfacht gesagt folgt aus dieser Ununterscheidbarkeit der Photonen, dass die beiden Systeme quantenmechanisch verschränkt sein müssen. Bislang hatten aber winzige Fabrikationsfehler die Verwendung solcher künstlichen Strukturen verhindert. Denn die Voraussetzung dieser Nachweismethode ist, dass bereits die Systeme an sich ununterscheidbar sind. Gröblacher und seine Koautoren sind der Meinung, dass die Kombination vieler solcher verschränkten Stäbe als faseroptisches Quantennetzwerk dienen könne und sich in herkömmlichen optischen Telekommunikationsbändern einsetzen ließe.

Metallische Trommelfelle

Während sich Gröblachers Oszillatoren über Licht in einen verschränkten Zustand überführen ließen, nutzte das Team um Sillanpää Mikrowellen. Ihre Oszillatoren bestehen aus zwei dünnen, runden Aluminiumfolien, die auf einem Chip jeweils über eine feste Metallplatte gespannt sind. Über einen supraleitenden elektrischen Schaltkreis regten die Forscher die Miniaturtrommeln an. Der Schwingungsübertrag funktioniert ähnlich wie bei einem gekoppelten Pendel, bei dem eine Feder zwei Oszillatoren verbindet; bei den Trommelfellen vermittelt der Schaltkreis die Wechselwirkung.

Dass sich dieses System tatsächlich verschränkt, schließen die Wissenschaftler aus ihren Messungen der so genannten korrelierten mechanischen Fluktuationen der beiden Trommeloszillatoren, gepaart mit einer Analyse der von dem Schaltkreis emittierten Mikrowellen. Der korrelierte Zustand bestand bis zu einer halben Stunde – ein bemerkenswert langer Zeitraum für eine quantenmechanische Verschränkung. Im Gegensatz zu den Siliziumstäben müssen sie nicht unbedingt nahezu identisch sein, was ihren Herstellungsprozess deutlich vereinfacht.

Die Forscher glauben, dass ihre Ergebnisse unter anderem Auswirkungen auf die Quanteninformationsverarbeitung oder etwa Präzisionsmessungen haben könnten. Zudem seien künftig Quantenteleportationen von Bewegungszuständen denkbar. Doch trotz der beeindruckenden Anzahl an beteiligten Atomen sind die Systeme immer noch viel kleiner als gewöhnliche makroskopische Objekte. Gleichwohl werden in Zukunft Wissenschaftler alles daransetzen, noch größere Systeme zu verschränken. Bislang sind die Ansätze aber längst nicht alltagstauglich, man denke nur an die enorm niedrigen Temperaturen, die benötigt werden. Trotzdem ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis eine Technologie, die auf quantenmechanischen Effekten basiert, tatsächlich Einzug in den Alltag hält.

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