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Verkehr: Jakarta steht im Stau

Jakartaner verbringen im Schnitt mehr als 22 Tage pro Jahr im Stau. Doch die Lösung scheint weit entfernt zu sein: Ideen von Forschern scheitern an der Korruption.
Jakarta Skyline

Wenn doch nur jeder Tag ein Feiertag wäre. Das wird sich unabhängig von der Religionszugehörigkeit so mancher in Jakarta zu Idul Fitri Anfang Juni gewünscht haben. Dann wären die Straßen der indonesischen Metropole frei von den extrem zeitraubenden Verkehrsstaus. Zu Idul Fitri, dem Fest zum Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan, hatten laut der Betreiberfirma der Mautstraßen PT Jasa Marga Millionen Menschen in 1 216 859 Autos die Stadt verlassen, um mit den Verwandten auf dem Land zu feiern.

Der Verkehr in Jakarta, das zusammen mit umliegenden Satellitenstädten rund 30 Millionen Einwohner zählt, ist gelinde gesagt ein Albtraum. Für rund 25 Kilometer von der Stadt Bekasi zur katholischen Universität Atma Jaya muss der muslimische Psychologiestudent Mohammed Hafizh Ibrahim viel Zeit einkalkulieren. »An guten Tagen ist das mit dem Bus in rund 40 Minuten zu schaffen. An schlechten Tagen kann es auch schon mal zwei, drei Stunden dauern.« Jakartaner verbringen im Schnitt mehr als 22 Tage pro Jahr im Stau, heißt es in einer 2017 im Auftrag von Uber erstellten Studie der Boston Consulting Group. Indonesiens Planungsminister Bambang Brodjonegoro schätzt den wirtschaftlichen Schaden durch den Verkehrsinfarkt als Dauerzustand auf 6,8 Milliarden US-Dollar pro Jahr.

Die Stadtregierung von Jakarta sowie die indonesische Regierung haben nach Jahrzehnten des Wegschauens das Verkehrsproblem endlich erkannt und planen milliardenschwere Investitionen zum (Aus-)Bau des öffentlichen Nahverkehrssystems. Mit Pauken und Trompeten wurde Anfang April 2019 in Jakarta das erste Teilstück des Mass Rapid Transport (MRT) eröffnet.

Tokioter Verhältnisse in der neuen Metro

Der Andrang an den ersten Betriebstagen des teils unterirdisch, teil oberirdischen fahrenden MRT ist groß. In den Wagen herrschen Tokioter Verhältnisse. An der Station Bundaran HI im Zentrum der indonesischen Hauptstadt müssen zeitweise gar die Zugänge geschlossen werden, um der Menschenmenge Herr zu werden. »Wir warten schon seit 40 Minuten«, sagt Agus, der wie viele Indonesier nur einen Namen hat. »Das ist uns das historische Ereignis wert«, betont der 34-jährige Vater, der mit seinen beiden Kindern gelassen die schwül-warme Gewitterluft erträgt. »Meine Kinder sollen den Anfang einer modernen Zukunft erleben.«

Die Verkehrszukunft wurde in Jakarta in der Vergangenheit schon oft geplant, getreu der Ballade über die »Unzulänglichkeit des menschlichen Lebens« von Bertold Brecht. »Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch 'nen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht.« Seit Mitte der 1980er Jahre waren gut 25 Projekte zum Bau eines soliden öffentlichen Personennahverkehrssystems (ÖPNV) an Inkompetenz, Korruption, Ignoranz und Zuständigkeitswirrwarr gescheitert. Beredtes Zeugnis für einen solchen Schildbürgerstreich sind die ziellos in den feinstaubbelasteten Himmel über Jakarta ragenden 90 Betonpfeiler einer Monorail, deren Bau 2007 nach Streitigkeiten zwischen den am Bau beteiligten Firmen und Behörden mal eben angebrochen wurde.

Jetzt aber sind Indonesiens Präsident Joko Widodo und Jakartas Gouverneur Anies Baswedan wild entschlossen, den Verkehrsmoloch zu bändigen. Das ehrgeizige Ziel: in den nächsten zehn Jahren soll die Nutzung des ÖPNV von jetzt 19 Prozent auf 60 Prozent gesteigert werden.

Fast elf Millionen Fahrzeuge täglich in Jakarta

Nicht von ungefähr wurde der MRT-Zug »Ratangga« getauft, das javanische Wort für »Kampfwagen«. Der erste Teilabschnitt der MRT zur Verbindung von Südjakarta mit der Stadtmitte ist zunächst 16 Kilometer lang und umfasst 13 Stationen, wird aber peu à peu auf 100 Kilometer erweitert. Die Teilstrecke nach Nordjakarta ist bereits im Bau und soll 2020 den Betrieb aufnehmen.

Das MRT katapultiert aber Jakarta nicht stante pede in ein goldenes Verkehrszeitalter. 10,7 Millionen Fahrzeuge, darunter rund acht Millionen Mopeds, quälen sich täglich durch den urbanen Moloch. Täglich kommen 480 Autos und 1500 Mopeds hinzu. 600 Milliarden Rupiah will die Politik in den Ausbau des ÖPNV investieren. In dem Rennen gegen die Zeit ist im Juni eine 5,8 Kilometer lange S-Bahn-Strecke (Light Rail Transit, LRT) zwischen Nordjakarta und dem International Velodrome in Ostjakarta in Betrieb gegangen. Im Bau befindet sich das 44 Kilometer lange LRT-Netzwerk für die Region Greater Jakarta mit einer Kapazität von einer halben Million Passagiere pro Tag.

Es gibt auch höchst umstrittene Verkehrsplanungen sowie massive Rückschläge beim Management des Verkehrs. Auf massive Kritik stößt bei Experten der geplante Bau einer Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Jakarta und dem 150 Kilometer entfernten Bandung, dem Sitz vieler Universitäten als auch renommierter wissenschaftlicher Zentren wie dem Institut Teknologi Bandung oder dem Centre for Volcanology and Geological Hazard Mitigation. Die umgerechnet 4,5 Milliarden Euro Baukosten werden von China finanziert. Eine Modernisierung der vorhandenen Strecke, so die Kritiker, wäre wesentlich billiger und würde die Fahrzeit von jetzt etwa vier Stunden auf die Hälfte reduzieren.

Freie Fahrt mit Beifahrer

Aus heiterem Himmel schaffte Jakarta 2016 das 1996 eingeführte »High-occupancy vehicle«-System (HOV) ab. Die simple HOV-Idee: Mindestens drei Pendler mussten eine Fahrgemeinschaft bilden, wenn sie zu bestimmten Uhrzeiten auf den großen Einfallstraßen in die Stadt wollten. Das HOV-System war in der Bevölkerung nie beliebt und geriet durch so genannte »Jockeys« zusätzlich in Verruf. Jockeys waren junge Männer, die gegen ein geringes Entgelt als Beifahrer angeheuert werden konnten. Andererseits war der Nutzen von HOV für die Menschen nicht unmittelbar erfahrbar. »HOV hat nichts gebracht. Die Staus sind nicht verschwunden«, findet der Student Mohammed Hafizh Ibrahim aus Bekasi.

Ein Forscherteam des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist in einer Studie zu dem gegensätzlichen Schluss gekommen. »Nachdem diese Politik im April 2016 abrupt aufgegeben wurde, stiegen zur morgendlichen Rushhour die Verzögerungen von 2,1 auf 3,1 Minuten pro Kilometer und von 2,8 auf 5,3 Minuten pro Kilometer zur abendlichen Spitzenzeit«, schreiben die Forscher. »Die Einstellung dieser Regelung führte zu einer Verschlechterung des Verkehrs in der gesamten Stadt, selbst auf Straßen, die noch nie von Staus betroffen, oder zu Zeiten, in denen es keine Einschränkungen gab. Kurz gesagt stellen wir fest, dass HOV-Richtlinien die Verkehrsbedingungen erheblich verbessern können.«

Kritiker sind der Meinung, dass der politische Wille zur Umsetzung fehlt und Korruption auch die schönsten Pläne zunichtemacht. Manch ein Politiker ist sogar stolz auf den Stau. So verkündete Rahmat Effendi, Bürgermeister von Jakartas Nachbarstadt Bekasi, im vergangenen Februar: »Ich bin stolz auf die Verkehrsstaus, die es oft in Bekasi gibt. Lasst sie (die Stadt) verstopft sein. Viel wichtiger ist doch, dass das Wirtschaftswachstum (von Bekasi) über dem nationalen Durchschnitt liegt.«

Konkurrenzdenken steht guten Lösungen im Weg

Ein großes Hindernis auf dem Weg zu einer effektiven Verkehrsplanung in Jakarta ist zudem die mangelnde Bereitschaft der staatlichen Verkehrsbetriebe, miteinander zu kooperieren. Die Busbetreiberfirma Transjakarta bedient zum Beispiel die gleiche Strecke wie die neue MRT. »Bisher ist an dem Argument ›Wir verlieren Kunden‹ eine Zusammenarbeit der beiden Betreiberfirmen gescheitert«, sagt Faela Sufa, stellvertretende Direktorin des Institute for Transportation and Development Policy (ITDP), das in Indonesien Kommunen und Regierungen bei der Verkehrsplanung berät. »Für eine Integration der Verkehrsbetriebe und deren strategische Planung sollte eine Holding gegründet werden. Das wäre im Prinzip ganz einfach, weil diese Betriebe im staatlichen Besitz sind. Doch das scheiterte bisher am Konkurrenzdenken.«

Transjakartas Hauptkonkurrent ist aber nicht die MRT, sondern das private Unternehmen GO-JEK, eine Art indonesisches Uber für Motorradtaxis. Auf den wendigen Zweirädern kommt man schneller durch die Dauerstaus, und so ist der appbasierte, preiswerte Service über Nacht höchst populär geworden. Schätzungen zufolge, so Sufa, hat Transjakarta 20 Prozent seiner Kunden an GO-JEK verloren. Auf der anderen Seite habe die steigende GO-JEK-Nachfrage zu einer Zunahme der Zahl der Motorräder geführt, die nun zusätzlich Jakartas Straßen verstopfen. Mit mehr als einer Million Fahrern ist das seit seiner Gründung 2010 rasant expandierende GO-JEK-Imperium mit einem Wert von zehn Milliarden Dollar inzwischen in ganz Indonesien und 50 asiatischen Städten auf dem Markt.

Sufa und das ITDP werben für ein integriertes Nahverkehrskonzept, in dem Zubringerdienste eine zentrale Rolle spielen. Busse, Minibusse und GO-JEK, so Sufa, könnten die Menschen zu den Bahnhöfen der MRT, der Züge, der LRT bringen. Eine intelligente Stadtplanung sollte zudem dafür Sorge tragen, dass Arbeiten, Leben, Wohnen in einem Umkreis von 350 Metern stattfinden könne. »Das würde die Abhängigkeit von Autos verringern«, findet Sufa.

Weicht die Hauptstadt dem Verkehr?

Jakarta und die indonesische Regierung setzen auf andere Strategien. In einigen Stadteilen Jakartas dürfen im Wechsel an Wochentagen nur Autos mit geraden beziehungsweise ungeraden Zahlen im Nummernschild fahren. 2020 soll das Mautsystem »Electronic Road Pricing« (ERP) eingeführt werden.

Indonesiens Politiker haben aber auch einen ausgeprägten Hang zu Megaproblemlösungsansätzen. Das neueste Idee zur Behebung der Verkehrsprobleme Jakartas lautet: Hauptstadtumzug. Allen Ernstes plant Präsident Widodo die Verlegung der Hauptstadt nach Kalimantan, dem indonesischen Teil von Borneo. Potenzieller Hauptstadtkandidat ist Palangkaraya in Zentralkalimantan.

Indonesische Megaprojekte scheitern aber in schöner Regelmäßigkeit, nachdem sie viel Mühe und Milliarden gekostet haben. Jüngstes Beispiel war der geplante gigantische, 30 Kilometer lange Schutzwall gegen den steigenden Meeresspiegel durch die Bucht von Jakarta. Jakarta ist die am schnellsten sinkende Stadt der Welt. Manche Stadtgebiete versinken um bis zu sagenhafte 15 Zentimeter pro Jahr. Wesentliche Gründe sind neben dem steigenden Meeresspiegel das ungestüme und unkontrollierte Wachstum der Stadt, was zu einer ebenso ungestümen und unkontrollierten Entnahme von Grundwasser führt. Einfach ausgedrückt: Die Stadt versinkt unter ihrem eigenen Gewicht.

Jakarta leidet unter ständigen Überflutungen | Flüsse und Meer verursachen in der Stadt regelmäßig Überschwemmungen. Zumal die Stadt durch Grundwasserentnahme immer weiter absinkt.

Die Private-Public-Partnership zum Mauerbau sollte nicht nur die Rettung vor dem Untergang bringen, sondern durch die Aufschüttung künstlicher Inseln auf der dem offenen Meer abgewandten Mauerseite neue Flächen für den Bau einer neuen Stadt für Hunderttausende besser verdienende Bewohner schaffen. Die Inseln gibt es schon. Der Mauerbau wurde aber 2018 von Jakartas neuer Stadtregierung wegen Unsinnigkeit beendet.

Last but not least hat die Stadtregierung von Jakarta endlich einen lange Zeit weitgehend ignorierten Verkehrsteilnehmer entdeckt: den Fußgänger. Zum »Nationalen Fußgängertag« am 22. Januar kündigte Gouverneur Anies Baswedan Millioneninvestitionen zum Bau von Gehwegen an. Geld soll auch zur Reparatur der meist maroden und löcherigen Gehwege in die Hand genommen werden, um aus den Stolperfallen sichere Steige für die Bürger zu machen.

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