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Die Strategien des Krebs: Hirntumorzellen bilden Seilschaften

Forscher haben in hochaggressiven Hirntumoren mysteriöse Netzwerke entdeckt. Durch eine Art Nachbarschaftshilfe widersetzen sich die Tumorzellen Bestrahlung und Chemotherapie.
Hirntumor im CT

Glioblastome sind die häufigsten Hirntumoren bei Erwachsenen. Für die Betroffenen ist die Prognose meist außerordentlich schlecht, die Heilungschancen sind minimal. Glioblastome sind hochinvasiv, die Primärtumoren breiten sich schnell nach allen Seiten aus und infiltrieren das umliegende gesunde Hirngewebe. Das feine Geäst von Wucherungen lässt sich kaum mehr chirurgisch entfernen. Aber auch mit den anderen bewährten Methoden aus dem Arsenal der Krebsbekämpfung ist den Tumoren nicht beizukommen, denn gegen Bestrahlung und Zytostatika sind die meisten Hirntumorarten resistent. Die Ursache für diese enorme Widerstandskraft war bisher ein Rätsel. Neue Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern um Matthias Osswald vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg könnten dies nun ändern.

Mysteriöse Zellverbindungen durchziehen das Gehirn

Das Team entdeckte, dass Tumorzellen von Glioblastomen mit Hilfe spezieller, ultralanger Zellausläufer Netzwerke bilden, über die sie sich gegen äußere Belastungen gemeinschaftlich schützen und sogar gegenseitig wiederbeleben können. Diese speziellen Tumormikrotubuli sind wegen ihres hohen Anteils an Aktin und Myosin hochbeweglich und verbinden die Tumorzellen über große Distanzen. Das macht den Tumor äußerst widerstandsfähig. Werden zum Beispiel Organellen einer Tumorzelle im Verbund zerstört, liefern benachbarte Zellen über die Zellbrücken neu synthetisierten Ersatz. Möglich machen das die zytoplasmagefüllten Zellkontakte, so genannte Gap Junctions, durch die sich die Tumorzellen morphologisch und funktionell zu einer Einheit zusammenschließen.

Dieser Zusammenschluss macht sie offenbar auch unempfindlich gegen Chemotherapie. Denn durch die Möglichkeit, schädliche Stoffe über ein großes Netzwerk zu verteilen und abzubauen oder auszuschleusen, ist der Zellverbund enorm belastbar. Derselbe Mechanismus ermöglicht es den Zellen des Glioblastoms auch, hohen Strahlendosen zu trotzen, vermuten die Forscher. Denn normalerweise wird der Zelltod nach Bestrahlung durch einen Anstieg des intrazellulären Kalziumspiegels ausgelöst. Werden jedoch die überschüssigen Kalziumionen über ein weit verzweigtes Netz verteilt, können sie kompensiert werden und richten kaum Schaden an.

Tumorzellen betreiben effektiv Nachbarschaftshilfe

Aber auch umgekehrt funktioniert der Austausch: In Mangelsituationen können sich die Tumorzellen im Verbund gegenseitig mit Makromolekülen wie ATP, Aminosäuren oder RNAs aushelfen. Sogar die Regeneration von Zellkernen ist möglich. Darauf deuten die experimentellen Befunde hin: Nachdem die Forscher gezielt Zellkerne mit einem ultrafeinen Laser zerstört hatten, lieferten benachbarte Tumorzellen Ersatz und retteten so den in Bedrängnis geratenen Nachbarzellen das Leben.

Um die Ausbreitung der Hirntumoren zu verfolgen, markierten die Wissenschaftler menschliche Glioblastomzellen mit einem Fluoreszenzfarbstoff und transplantierten sie in die Gehirne von Mäusen. Unmittelbar darüber implantierten sie den Tieren kleine Fenster in die Schädeldecke, durch die sie das Tumorwachstum mittels In-vivo-Mikroskopie bis zu einem Jahr lang regelmäßig beobachteten. Dabei entdeckten sie die bis zu 500 Mikrometer langen Tumormikrotubuli, die sich tief durch das benachbarte gesunde Hirngewebe vorgeschoben hatten. Bei fortschreitendem Tumorwachstum zeigten sich immer mehr Ausstülpungen pro Zelle.

Weil sie diesen Zellverbindungen entscheidende Bedeutung für die Erfolgsstrategie bestimmter Hirntumoren zumessen, durchforsteten die Wissenschaftler das Genom verschiedener Tumorstämme gezielt nach Genen, die ein bestimmtes Protein exprimieren: Gap-43. Es gehört zu den so genannten Konnexinen, das sind hexagonale, transmembrane Proteine, die mit der Ausbildung der so genannten Gap Junctions in Verbindung gebracht werden. Gap-43 spielt ferner bei der neuronalen Migration und der Ausbildung von Wachstumskegeln in der frühen Entwicklung von Nervenzellen eine entscheidende Rolle.

Ein Membranprotein macht Tumoren hochgefährlich

Tatsächlich zeigte sich eine hohe Expressionsrate dieses Proteins an den Spitzen der Tumormikrotubuli hochinvasiver Glioblastomzellen, während es bei weniger invasiven Hirntumoren, wie Oligodendrogliomen, offenbar so gut wie gar nicht exprimiert wird. Dass letztere Tumorart wesentlich stärker auf Zytostatika und Strahlentherapie anspricht als Glioblastome, liefert den Forschern einen weiteren Beleg für die schützende Rolle des Mikrotubulinetzwerks.

Sie gingen aber noch einen Schritt weiter und forcierten gentechnisch die Expression von Gap-43 in den weniger aggressiven Tumorarten. In der Folge bildeten sich auch aus den harmloseren Stämmen – nach der Transplantation in Mäusehirne – vergleichbar invasive Tumoren mit hoher Resistenz gegen Strahlung und Zytostatika.

Die GAP-43-Verbindungen an den Spitzen der neu entdeckten Tumormikrotubuli könnten einen viel versprechenden Angriffspunkt für die medikamentöse Behandlung hochinvasiver Hirntumoren bieten. Problematisch ist allerdings, dass die von ihnen gebildeten Gap Junctions in vielen Geweben im ganzen Körper vorkommen. Zum Beispiel sorgen diese Zytoplasmabrücken dafür, dass sich die Herzmuskelzellen synchron kontrahieren. Gelänge es, sie selektiv in der Umgebung proliferierender Glioblastome zu trennen, könnten Zytostatika vielleicht erfolgreich gegen bisher unheilbare Hirntumoren eingesetzt werden. Im Tierversuch an Mäusen ist dies bereits gelungen.

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