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Frühneuzeit: Hinrichtungsstätte am Bodensee

Bei archäologischen Voruntersuchungen einer Straßenbaumaßnahme wurden bei Allensbach im Landkreis Konstanz die Überreste eines Galgens und Skelette entdeckt. Mit modernen Methoden wird die Hinrichtungsstätte nun untersucht.
Galgen in der Natur

Nur wenige Knochenstücke ragen aus dem Boden. Doch den beiden Archäologen Jürgen Hald und Michael Francken kann der Fund dennoch viel erzählen: »Das hier ist ein Unterarmknochen, da drüben ein Halswirbel, hier ein Stück Kieferknochen«, sagt Francken und zeigt nacheinander auf die Knochenteile. Um wen es sich handelte, welches Alter der Mensch hatte, ob es ein Mann oder eine Frau war – das alles werden die Wissenschaftler später noch genauer im Labor untersuchen. Relativ sicher lässt sich auf den ersten Blick aber schon sagen: Das Skelett gehörte zu einem Menschen, der vor mehreren hundert Jahren auf einer Waldlichtung bei Allensbach im Kreis Konstanz getötet wurde.

Denn die Knochenteile liegen auf einer Hinrichtungsstätte. Ausgrabungsleiter Jürgen Hald vom Landratsamt Konstanz hat sie mit seinem Team Anfang April 2020 entdeckt. Auf der etwa 700 Quadratmeter großen Fläche fanden die Forscher zwei gemauerte Fundamente, die die Pfeiler eines rund vier Meter hohen Galgens bildeten. In Gruben darunter und neben dem Galgen stießen die Archäologen auf mehrere Skelette, zudem entdeckten sie verbrannte Knochenreste in Brandgruben auf dem Gelände. Insgesamt wurden Überreste von 20 bis 25 Menschen entdeckt. Das Gelände nahe der Gemeinde Allensbach sei im Vorfeld des Ausbaus der Bundesstraße 33 untersucht worden, sagt Hald.

Ausgrabungsstätte des Richtplatzes bei Allensbach | Blick vom Festland bei Allensbach auf die Insel Reichenau. Im Vordergrund ist die Ausgrabungsstätte des Richtplatzes zu sehen, auf welchem die auf der Insel Reichenau abgeurteilten Personen bis ins 18. Jahrhundert hingerichtet wurden.

Schon zu der Zeit, als der Galgen genutzt wurde, habe er auf einer Lichtung nahe an einer Straße gelegen, sagt Hald. »Aber auch gut sichtbar von der Insel Reichenau aus.« Denn die Hinrichtungsstätte sollte nicht nur leicht erreichbar sein, sondern sie diente gleichzeitig der Abschreckung. Wann genau der Platz entstand, ist nicht bekannt. Es gebe jedoch Archivaufzeichnungen darüber, dass der Galgen im Jahr 1653 neu aufgerichtet wurde. Verbürgt seien Hinrichtungen ab dem 16. Jahrhundert, die meisten habe es im 17. und 18. Jahrhundert gegeben, sagt Hald. »Laut noch unbestätigten Aufzeichnungen soll die letzte Exekution um 1770 stattgefunden haben.« Damals sei ein Raubmörder gehängt worden, der einen Viehhändler ausgeraubt und getötet haben soll. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Galgen abgebaut.

Die Toten waren mit hoher Wahrscheinlichkeit Menschen, die auf der Insel Reichenau verurteilt wurden, sagt Hald. Ihnen wurden vermutlich Delikte wie Hexerei, Diebstahl oder auch Raubmord vorgeworfen. Da die Delinquenten auf der »heiligen Insel« nicht hingerichtet werden durften, brachte man sie vermutlich mit einem Boot aufs Festland zu der Richtstätte in Allensbach. Dort wurden die Gefesselten eine Leiter hinaufgezogen und an einem Haken aufgehängt. Die Menschen seien dadurch langsam erstickt. »Das ist ein qualvoller Tod, der zudem als unehrenhaft galt.«

Untersuchungen der Skelette | Die Archäologin Fiona Vernon und der Kreisarchäologe Jürgen Hald dokumentieren das Skelett eines auf dem Bauch liegenden Individuums, dessen Hände vermutlich auf dem Rücken gefesselt waren.

Manche Leichen wurden später in einer flachen Grube regelrecht verscharrt, andere ließ man einfach am Galgen hängen. Einige Hingerichtete seien nach ihrem Tod zudem enthauptet worden, oder man habe eine Metallstange durch ihren Schädel gestoßen, sagt Michael Franken vom Landesamt für Denkmalpflege, das ebenfalls an der Ausgrabung beteiligt ist.

Eine solche Hinrichtungsstätte zu entdecken und untersuchen zu können, sei etwas Besonderes und Herausragendes, sagt Hald. »Aber phasenweise auch bedrückend.« Es gehe nun darum, die Überreste der Menschen zu bergen und wissenschaftlich zu untersuchen. »Mit Pietät und Respekt.« Aus Forschersicht habe der Fund überregionale Bedeutung, weil solche Richtplätze sehr selten seien – viele existierten schlicht nicht mehr.

Ähnliche Fundstätte in Ellwangen

Eine andere wichtige Fundstätte liegt in Ellwangen. Dort wurden nach dem Sturm Wiebke im Jahr 1991 Fundamente eines ehemaligen Galgens sichtbar und archäologisch untersucht. »Dabei wurden auch die sterblichen Überreste von acht Hingerichteten gefunden«, heißt es auf der Homepage der Stadt. Ellwangen gilt ebenfalls als eine der Hochburgen der Hexenverfolgung: »Sicherlich gab es damals fast überall in Süddeutschland Hexenprozesse. Aber die Zahl der Opfer wie die zeitweilige Intensität der Verfahrensführung waren in Ellwangen offenbar doch über das hinausgegangen, was man anderwärts beobachtete.«

Hexenprozesse soll es in Ellwangen im Jahr 1588 und zwischen 1611 und 1618 gegeben haben. »Die furchtbarsten Jahre waren 1611 bis 1613. In dieser Zeit wurden über 300 Menschen verbrannt«, steht auf der Internetseite der Kommune. Ein noch bestehender Galgen lässt sich dagegen beispielsweise in Triberg im Schwarzwald besichtigten.

Michael Franken wird die in Allensbach gefundenen Skelette nun anthropologisch untersuchen, um mehr über das Leben der hingerichteten Menschen und die Umstände ihre Todes zu erfahren. »Das individuelle Schicksal steht für uns im Vordergrund«, sagt er. So lasse sich an den Knochen und den weiteren Funden – darunter Kleiderhaken und -ösen oder Schmuck – zum Beispiel erkennen, wie alt der Mensch war, welches Geschlecht und welchen sozialen Stand er hatte und ob er an Krankheiten litt.

(dpa/jde)

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