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Überlegenheit der Quanten: Fünf Fragen zu Googles Quantencomputer

Nun ist es offiziell: Google hat die »Quantum Supremacy« erreicht. Aber was kann der Quantencomputer wirklich? Und was bedeutet er? Die wichtigsten Antworten.
Quantencomputer Sycamore

Vor einem Monat stellte jemand bei der NASA versehentlich ein brisantes Paper online: Darin beschreiben zwei Experten der US-Raumfahrtbehörde gemeinsam mit dutzenden Forschern des Internetgiganten Google einen Quantencomputer namens »Sycamore«. Laut dem Fachaufsatz kann dieser eine spezielle Rechenaufgabe sehr viel schneller ausführen als die besten Nichtquantencomputer. Damit will Google die Quantum Supremacy demonstriert haben, die Überlegenheit des Quatencomputers.

Die NASA stellte das Dokument rasch wieder offline. Nun ist es in einer leicht aktualisierten Form in der Fachzeitschrift »Nature« erschienen. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen zu der Veröffentlichung, die viele Experten als historischen Meilenstein betrachten.

1. Was macht Quantencomputer so besonders?

Um Quantencomputer zu verstehen, muss man sich erst einmal klar machen, wie gewöhnliche Computer arbeiten. Diese rechnen mit Binärziffern oder »Bits«. Bits können entweder den Wert 0 oder 1 annehmen. Mit mehreren Bits lassen sich Informationen speichern, beispielsweise steht die Folge 01100001 für den Buchstaben »a«, 01111010 für »z«.

Mit so genannten Logikgattern können Bits dazu gebracht werden, einfache Rechnungen durchzuführen. Am bekanntesten ist das UND-Gatter. Es liefert immer dann eine 1 als Ausgabe, wenn es mit zwei Bits verknüpft ist, die auf 1 geschaltet sind. Sonst gibt es eine 0 aus. Mit einer Programmiersprache können Informatiker viele solcher Befehle aneinanderreihen – und dem Computer auf diese Weise mitteilen, wie er mit einer bestimmten Eingabe aus Bitwerten umgehen soll.

Den physischen Counterpart von Bits übernehmen Transistoren. Die Halbleiterbauelemente lassen sich mit Hilfe einer kleinen elektrischen Spannung auf leitend schalten, was den Wert des Bits auf 1 setzt. Transistoren in heutigen Computer sind winzig, sie messen gerade mal einige millionstel Millimeter. In einem handelsüblichen Prozessor sind Milliarden von ihnen untergebracht. Dennoch verhalten sie sich im Großen und Ganzen wie mechanische Rechenmaschinen aus dem 19. Jahrhundert: Sie speichern Zahlen und arbeiten Befehle nacheinander ab.

Bei Quantencomputern tritt an die Stelle des Bits eine andere Recheneinheit, das »Qubit«. Es gehorcht nicht mehr den Gesetzen der klassischen Physik, sondern den weitaus exotischeren Regeln der Quantenphysik. Die zwei prominentesten Beispiele für Qubits sind einzelne Atomrümpfe oder supraleitende Minischaltkreise, in denen Strom ohne elektrischen Widerstand fließen kann.

Da Qubits nicht mehr mit der Umgebung interagieren, beispielsweise mit umherfliegenden Luftmolekülen, gelten für sie die Gesetze der Quantenphysik. Quantenobjekte können in einer »Überlagerung« mehrerer Zustände existieren, bei Qubits sind dies die Werte 0 und 1. Erst wenn ein Qubit ausgelesen wird, also in Kontakt mit der Elektronik des Quantencomputers kommt, muss sich das Qubit für eine dieser Möglichkeiten entscheiden.

Gleichzeitig lassen sich mehrere Qubits auf geisterhafte Art und Weise miteinander »verschränken«. Eine Messung an einem Qubit beeinflusst dann auch den Wert eines damit verbundenen, zweiten Qubits.

Die Quantenphysik bringt noch eine dritte Besonderheit mit sich: Sie beschreibt Quantenobjekte als ausgedehnte Wellen. Hat man es mit einem System mehrerer interagierender Quanten zu tun, beispielsweise den Qubits in einem Quantencomputer, überlappen diese Wellen. Das Ergebnis ist eine komplizierte Wellenfunktion.

Sycamore-Chip | Googles Quantenprozessor ist gerade mal einen Zentimeter groß. Damit er funktioniert, muss man ihn allerdings in ein riesiges Thermostat packen und enorm stark abkühlen.

Sie ist der Grund, warum Quantencomputer bei manchen Rechnungen klar überlegen sind: In der Wellenfunktion eines Systems sind alle möglichen Zustände der einzelnen Qubits enthalten. Damit werden gewissermaßen alle Binärwertkombinationen auf einmal berücksichtigt. Wo ein gewöhnlicher Computer mit N Bits mit einem Rechenschritt N Nullen oder Einsen verarbeiten kann, sind es bei einem Quantencomputer theoretisch bis zu 2N.

Damit wächst die Rechenkraft exponentiell mit der Zahl der Qubits an, zumindest theoretisch. In der Realität funktioniert dies aber nur bei ausgewählten Rechenaufgaben mit einer bestimmten mathematischen Struktur. Bei ihnen überlagern sich die Wellen der Qubits gerade so, dass falsche Lösungen durch Interferenz ausgelöscht werden und nur die korrekte Antwort übrig bleibt.

2. Wie funktioniert Googles Quantencomputer?

Als man bei Google 2014 in das Rennen um den ersten brauchbaren Quantencomputer einstieg, engagierte man den Kalifornier John Martinis von der University of California in Santa Barbara. Martinis ist ein Experte für supraleitende Qubits. Mit der finanziellen Unterstützung Googles machten er und sein Team den Ansatz zur wohl aussichtsreichsten Quantencomputertechnik.

Im Lauf weniger Jahre entwarfen die Kalifornier einen rund einen Zentimeter großen Mikrochip aus Aluminium und Indium, in den sie mehrere Dutzend supraleitende Minikreuze frästen. Sie sind die Qubits von Googles Quantencomputer. In ihnen können elektrische Ströme hin- und herschwingen. Je nach Richtung hat das Qubit entweder den Wert 1 oder 0.

Auf dem Sycamore-Chip sind 54 Kreuze in Form eines Gitters angeordnet. Zwischen zwei Kreuzen befindet sich stets ein Koppler, über den sich zwei benachbarte Qubits verschränken lassen. Steuern lassen sich die Qubits und Koppler mit Mikrowellenpulsen und Magnetfeldern.

Damit der Quantencomputerprozessor funktioniert, muss man ihn in ein mächtiges Thermostat packen und auf knapp über den absoluten Temperaturnullpunkt bei minus 273,15 Grad kühlen. Auf dem Sycamore-Prototypen funktionierten allerdings nur 53 der 54 verbauten Qubits – ein Hinweis darauf, dass das Fertigungsverfahren sehr knifflig und fehleranfällig ist.

3. Was kann Googles Quantencomputer, was andere Rechner nicht können?

Bisher sind nur wenige Rechenaufgaben bekannt, in denen Quantencomputer ihre Vorteile ausspielen könnten. Das wohl bekannteste Beispiel ist ein Algorithmus, den sich der US-Physiker Peter Shor in den 1990er Jahren ausgedacht hat. Bei ihm geht es um die Suche nach den Primzahlen, die miteinander multipliziert eine vorgegebene Zahl ergeben. Diese Faktorisierung ist die Basis des weit verbreiteten RSA-Verschlüsselungsverfahrens. Ein ausgereifter Quantencomputer, der Shors Algorithmus ausführt, käme hier sehr viel schneller zu einem Ergebnis als gewöhnliche Rechner.

Ein anderer Quantencomputeralgorithmus zielt auf das schnelle Durchsuchen von Datenbanken. Er gilt – genauso wie Shors Algorithmus – jedoch als viel zu anspruchsvoll, als dass ihn heutige Quantencomputer bereits ausführen könnten. Zwar gibt es bereits seit einigen Jahren Laborprototypen, in denen ein paar Dutzend Qubits rechnen. Die Geräte machen aber noch extrem viele Fehler – etwa jede hunderte Rechenoperation geht daneben.

Google hat sich daher in den vergangenen Jahren auf eine andere, sehr viel speziellere Aufgabe konzentriert: Bei diesem Random Number Sampling geht es darum, den Quantencomputer Zahlenfolgen ausspucken zu lassen und anschließend zu überprüfen, ob diese wirklich einer von der Quantenphysik vorgegebenen Verteilung folgen.

Martinis Team ließ dafür zunächst eine klar definierte Abfolge von Logikgattern auf die 53 Qubits des Sycamore-Chips los. Die Gatter brachten erst die einzelnen Qubits in einen Überlagerungszustand aus 0 und 1 und verschränkten sie anschließend paarweise zu einem immer komplizierter werdenden Kollektivzustand. In 20 Durchläufen kamen so insgesamt 1500 Gatter zum Einsatz.

Anschließend lasen die Forscher über die Leitungen des Chips den Wert jedes einzelnen Qubits aus: Das zwang die Quantenobjekte, entweder den Wert 0 oder 1 anzunehmen. So erhielten die Forscher eine 53 Stellen lange Folge aus Nullen und Einsen – eine von 253 beziehungsweise 900 Billiarden Möglichkeiten, die in der Wellenfunktion des Systems enthalten sind.

Anders als man denken würde, sind nicht alle Möglichkeiten gleich wahrscheinlich. Manche Zahlenreihen sind deutlich wahrscheinlicher als andere, da sich bei ihnen die überlappenden Wellenfunktionen der einzelnen Qubits verstärken, Physiker sprechen von konstruktiver Interferenz.

Aber welche Zufallszahlen sind es konkret, die häufiger auftauchen als andere? Die Antwort ist für einen klassischen Computer eine erhebliche Herausforderung. Er kann zwar mit Spezialsoftware ein Quantensystem aus vielen verschränkten Qubits simulieren. Jenseits von 50 Quantenobjekten wird die Sache aber sehr aufwändig, da der Rechner eine astronomisch große Zahl an möglichen Zuständen gegeneinander abwägen muss (für Feinschmecker: Er muss dafür eine Schrödingergleichung mit 253 Basiszuständen lösen).

Der Sycamore-Quantencomputer liefert hingegen auf Knopfdruck ein Ergebnis. Er muss nicht extra irgendwelche Gleichungssysteme lösen. Das nimmt ihm gewissermaßen die Natur ab. Entsprechend flott liefert er einen Output: In den Tests der Forscher spuckte Sycamore binnen dreieinhalb Minuten eine Million Zahlenreihen aus je 53 Nullen und Einsen aus. Ein Supercomputercluster mit einer Million Prozessoren hätte hierfür rund 10 000 Jahre benötigt, rechnet das Team im Supremacy-Paper vor.

Aber woher wissen die Wissenschaftler, dass ihr Quantenrechner wirklich nach den Gesetzen der Quantenphysik arbeitet? Simulieren lässt sich ein so großes Qubit-System ja nicht mehr. Die Google-Forscher haben deshalb eine Technik entwickelt, mit der man die erwartete Wahrscheinlichkeitsverteilung aus den Ergebnissen für weniger komplexe Qubit-Gitter extrapolieren kann. Wie häufig solche Gitter bestimmte Folgen ausgeben, ließ sich mit Hilfe von Supercomputerclustern gerade so noch simulieren. Die von Sycamore ausgespuckten Zahlenwerte passen gut zu dieser Prognose, berichtet das Sycamore-Team.

Ob der Quantenchip in Sachen Geschwindigkeit klassischen Computern wirklich dermaßen stark überlegen ist, wie die Zahlen in dem Paper nahelegen, ist derweil offen: Herkömmliche Supercomputer müssen nicht zwangsläufig tausende Jahre benötigen, um den Qubitschaltkreis eine Million mal zu durchlaufen, legte Googles Konkurrent IBM vor einigen Tagen in einem Blogbeitrag dar. Mit der richtigen Software könnten sie dies möglicherweise auch binnen weniger Tage schaffen. Ob das wirklich so ist, müssen Tests aber erst noch beweisen.

© Google
Video von Google
Werbevideo von Google über den Weg zur Quantenüberlegenheit.

4. Wie bedeutsam ist das Ganze?

Unbeteiligte Experten halten Googles Quantencomputer für einen wichtigen symbolischen Meilenstein. Manche vergleichen ihn mit dem Jungfernflug der Gebrüder Wright. Der Quantencomputer-Experte Frank Wilhelm-Mauch von der Universität des Saarlandes sprach gegenüber Spektrum.de gar von einem »Sputnik-Moment«. »Das ist ein technologisches Meisterstück«, sagt er. Auch Andreas Wallraff von der ETH Zürich ist angetan: »Die Leistung von Google ist bemerkenswert.«

Zurückhaltender sind die Quantenphysiker, wenn es um die tatsächliche Anwendbarkeit der entwickelten Technik geht. Aus Sicht der meisten Fachleute ist die von Sycamore ausgeführte Rechnung eine Spezialaufgabe, die wie maßgeschneidert für einen Quantencomputerprototypen dieser Größe ist. »Der Algorithmus ist so ausgelegt, dass er besonders kompliziert für klassische Computer ist«, sagt Wallraff.

Tatsächlich ergibt das Supremacy-Experiment einzig auf einer Maschine mit 50 bis 60 Qubits Sinn. In diesem Bereich verlieren klassische Computer bei der Spezialaufgabe den Anschluss an Quantenrechner, können die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Zufallszahlen aber gerade so noch abschätzen – und auf diese Weise die Ergebnisse des Quantencomputers verifizieren.

Damit die futuristischen Maschinen andere Aufgaben übernehmen können, die für Supercomputer zu komplex sind, müssen sie jedoch noch deutlich besser und größer werden. Ein Problem sind vor allem die Fehler, die beim Rechnen mit Qubits auftreten. Google konnte die Fehlerquote zwar auf einige zehntel Prozent senken. Das ist aber noch viel zu wenig für anspruchsvollere Aufgaben.

5. Droht nun das Ende der Privatsphäre?

Je nach Sichtweise sind Quantencomputer entweder ein mächtiges Werkzeug, das bald bei Optimierungsproblemen oder komplizierten Quantensimulationen in der Medikamentenentwicklung helfen kann. Oder sie sind eine gefährliche Superwaffe. Schließlich können sie über Shors Algorithmus das gängige RSA-Verschlüsselungsverfahren aushebeln, mit dem nach wie vor unter anderem Banküberweisungen und Gesundheitsdaten verschlüsselt werden.

Aktuell sind Quantencomputer hier keine Gefahr: Damit Shors Algorithmus die RSA-Verschlüsselung knacken kann, müsste er auf einem Quantencomputer mit tausenden fehlerkorrigierten Qubits laufen. Wann und ob es solche Maschinen geben wird, ist noch völlig unklar. Fachleute gehen hier eher von Jahrzehnten als von Jahren aus – im besten Fall.

Auf dem Weg müssen Quantencomputer noch zahlreiche technische Hürden nehmen. Zwar fließen mittlerweile beträchtliche Gelder in die Quantencomputerforschung, auch aus der Privatwirtschaft. Der Trubel um Googles Quantenüberlegenheit dürfte diesen Trend noch einmal beflügeln. Forscher sehen dabei allerdings die Gefahr, dass die aktuelle Begeisterung schnell in Enttäuschung umschlagen könnte. Wenn Quantencomputer die bei Investoren geweckten Erwartungen nicht erfüllen können, trocknen die Geldströme möglicherweise schnell wieder aus.

Einen kritischen Kommentar zu Googles Quantencomputer können Sie hier lesen.

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