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Frankreich: Neandertaler bestatteten ihre Kinder

Die Hinweise sind zwar spärlich gesät, aber womöglich begruben auch die Neandertaler ihre Toten. Im Grand Abri von La Ferrassie identifizierten Forscher nun ein mögliches Kindergrab.
Wie die Bestattung des Kindes vor 41 000 Jahren ausgesehen haben könnte, zeigt diese zeichnerische Rekonstruktion.

In La Ferrassie in der Dordogne kamen zwischen 1970 und 1973 die Überreste eines zweijährigen Neandertalerkindes ans Licht. Den Fund hatten Forscher jedoch anschließend nicht analysiert. Nun haben Anthropologen um Antoine Balzeau vom Muséum National d'Histoire Naturelle in Paris die Knochenreste sowie die Fundsituation eingehend untersucht. Ihres Erachtens war das Kind vor rund 41 000 Jahren unter dem großen Felsüberhang von La Ferrassie beigesetzt worden. Der Fund stelle damit einen der selten bezeugten Belege dafür dar, dass die Neandertaler ihre Toten in Gruben bestatteten. Wie die Forscher im Fachmagazin »Scientific Reports« schreiben, weisen die Gräber darauf hin, dass die Frühmenschen komplexe symbolische Denk- und Verhaltensweisen entwickelt haben.

Von dem Kinderskelett mit dem wissenschaftlichen Namen »La Ferrassie 8« sind 191 Knochenfragmente erhalten. Die Forscher untersuchten die Reste mit einer Reihe naturwissenschaftlicher Methoden und arbeiteten die fast 50 Jahre alte Grabungsdokumentation auf. Außerdem führten sie erneut Ausgrabungen durch. So ergab eine Datierung von Knochen mit Hilfe der C-14-Methode und von Erdproben mittels der optisch stimulierten Lumineszenz ein ungefähres Alter der Kindergebeine von zirka 41 000 Jahren.

Grabungsfunde aus den 1970ern | Die Kinderknochen schlummerten jahrzehntelang unangetastet im Depot des Musée d'archéologie nationale in Saint-Germain-en-Laye. Die Forscher durchsuchten dort auch tausende weitere Knochenreste aus La Ferrassie, unter denen sie 47 neue Fossilien des Neandertalerkindes entdeckten.

Zwar entdeckten Balzeau und seine Kollegen keine weiteren Knochen des Kindes, auch dessen Geschlecht gaben die Laboranalysen offenbar nicht preis, doch die Forscher konnten die genaue Fundlage des Skeletts rekonstruieren. Offenbar war das tote Kind in eine ausgehobene Grube gelegt worden, in die auch Steinwerkzeuge und Tierknochen gelangten.

Dass das Kind nicht für längere Zeit unter freiem Himmel lag, schließen die Anthropologen aus drei Beobachtungen: Der anatomische Verbund des Skeletts war weitgehend korrekt, und die Knochen sind vergleichsweise gut erhalten – das Kind muss also bald nach seinem Tod beigesetzt worden sein. Zudem war es schräg in die Erde gebettet worden, der Kopf lag höher als das Becken. Die natürlichen Sedimentschichten unter dem Grand Abri neigten sich jedoch anders. Zuletzt zeigte sich, dass das umgebende Erdreich der Grube älter ist als das Grab selbst. Beides spricht dafür, dass die Neandertaler ein Loch für die Bestattung eingetieft hatten.

Die Neandertaler und ihre Toten

Ob Neandertaler ihre Toten bestatteten und – falls ja – wie, ist in der Fachwelt umstritten. Anthropologen werten Grabsitten als wichtigen Hinweis auf die Denkweise oder Kognition der Neandertaler. »Aufwändige Bestattungsaktivitäten sind einzigartig für die Abstammungsgruppe der Menschen«, schreiben Balzeau und seine Kollegen in ihrer Studie. Dieses Verhalten resultiere aus sehr komplexen kognitiven und symbolischen Fähigkeiten.

Der Fundplatz La Ferrassie in der Dordogne erlangte Berühmtheit durch den Fund von sechs Neandertalerskeletten, die dort zu Beginn des 20. Jahrhunderts ans Licht kamen. Einige davon werten Forscher ebenfalls als Bestattungen. Als Gräber identifizierte Reste von Neandertalern fanden sich auch in der Shanidar-Höhle im heutigen Nordirak.

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