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Teilchenphysik: Folgenreicher Fehler in 50 Jahre alter Studie

Bei der Deutung subatomarer Zerfälle stützen sich Physiker routiniert auf ein wichtiges Nachschlagewerk – doch mitunter enthält es falsche Werte.
Teilchen auf Kollisionskurs

Auch in einer so präzisen Wissenschaft wie der Teilchenphysik kann es sinnvoll sein, hin und wieder Replikationsstudien durchzuführen. So nennen Forscher Experimente, die darauf abzielen, ältere Ergebnisse zu überprüfen. Unter anderem in der Psychologie und Biomedizin sind sie seit Jahren ein großes Thema, da hier die Quote nicht reproduzierbarer Ergebnisse recht hoch zu sein scheint.

Doch auch in der Teilchenphysik kommt es vor, dass sich scheinbar gut abgesicherte Erkenntnisse als falsch herausstellen. Ein mögliches Beispiel dafür präsentieren nun Forscher um Andrzej Kupsc von der Universität Uppsala: Sie haben am Pekinger Elektron–Positron Collider einen seit 50 Jahren bekannten Parameter für den Zerfall so genannter Hyperonen neu bestimmt. Das Ergebnis weiche um 17 Prozent von dem bei der »Particle Data Group« vermerkten Wert ab, dem gängistgen Nachschlagewerk für Teilchenphysiker, berichtet das Team in »Nature Physics«.

Hyperonen sind Teilchen, die aus drei Quarks zusammengesetzt sind. Sie bilden sich, wenn andere Partikel in Teilchenbeschleunigern kollidieren. Nach kurzer Zeit zerfallen sie jedoch wieder in andere Teilchen. Dabei bewegen sich die Zerfallsprodukte der Hyperonen bevorzugt in bestimmte Richtungen, aus Sicht von Physikern ist damit die »Parität« verletzt. Unter dem griechischen Buchstaben Alpha halten Experten fest, wie stark die Natur diese Symmetrie missachtet. Seit den ersten Messungen des Zerfalls in den Jahren 1968 und 1972 gingen sie bei Hyperonen von einem Wert von etwa 0,64 aus. Kupsc und Kollegen kommen nun jedoch auf 0,75.

Bei der Suche nach einer Ursache hat die Gruppe nicht nur ihre eigene Messung auf alle möglichen Fehler abgeklopft, sondern auch versucht, die alten Ergebnisse nachzuvollziehen. Dabei fiel auf, dass wesentliche Details zum Verständnis der damaligen Experimente nicht veröffentlicht wurden. In jedem Fall sei die neue Messung genauer als die alte und basiere nicht so stark auf indirekten Annahmen, betonen die Forscher um Kupsc.

Tatsächlich ermittelte jüngst auch ein anderes Team mithilfe des CLAS-Detektors am Jefferson National Lab in Virginia/USA einen deutlich größeren Wert für den Alpha-Parameter. So scheint es am wahrscheinlichsten, dass die 50 Jahre alten Messungen einen systematischen Fehler enthielten, der bis heute unentdeckt geblieben ist.

Das ist insofern bedeutsam, als dass sich Physiker in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt auf den potenziell fehlerhaften Wert gestützt haben: Auf seiner Basis haben sie immer wieder die Zerfallswahrscheinlichkeit anderer Teilchenreaktionen berechnet. Insgesamt handelt es sich dabei zwar nur um eine Hand voll nicht allzu bedeutender Zerfälle. Trotzdem ist die Studie eine Erinnerung daran, dass es gefährlich sein kann, alte Messergebnisse ungeprüft zu übernehmen.

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