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Evidenzbasiertes Coaching: »Manche nennen sich zu leichtfertig Coach«

Jeder darf als Coach arbeiten. Aber nicht jeder Coach weiß, wo seine Grenzen liegen, sagt die Psychologin Eefje Rondeel im Interview: »Ein Coach muss sich selbst gegenüber kritisch bleiben.«
Zwei Frauen diskutieren miteinander (Symbolfoto)

Als die promovierte Psychologin Eefje Rondeel eine Coaching-Ausbildung machte, war sie zunächst skeptisch. Nach Abschluss ihrer Promotion arbeitete sie in einer Personalabteilung. »Dort musste jeder an einer Ausbildung zum Coach teilnehmen, um innerhalb der Organisation das Management coachen zu können«, berichtet sie. In der Coaching-Literatur fand sie viele Bücher mit zweifelhafter wissenschaftlicher Qualität. Heute arbeitet sie nicht mehr als Coach, sondern will Coaching auf wissenschaftliche Füße stellen. Im Auftrag der Niederländischen Kammer für Berufscoaches erforscht sie, was gutes Coaching ausmacht. Mit der Sozialpsychologin Pieternel Dijkstra hat sie ein Buch über »evidenzbasiertes Coaching« geschrieben.

»Spektrum.de«: Frau Dr. Rondeel, was ist evidenzbasiertes Coaching?

Eefje Rondeel: Der Begriff »evidenzbasiert« kommt aus der Medizin und bedeutet, dass bei der Wahl einer medizinischen Behandlung die besten verfügbaren Belege heranzuziehen sind. Diese Idee wird auf das Coaching übertragen. Es geht darum, beim Coachen die beste verfügbare Information aus Forschung und Praxis zu nutzen. Oft heißt es, beim evidenzbasierten Arbeiten geht es allein um Wissenschaft, aber das stimmt nicht. Es geht um die Kombination aus Wissenschaft und Praxiserfahrung. Dazu muss ein Coach seinen Methoden und sich selbst gegenüber kritisch bleiben.

Worin besteht eine solche kritische Haltung?

Eefje Rondeel | Die Psychologin promovierte an der Radboud-Universität in Nimwegen (Niederlande) über Entscheidungsfindung. Derzeit untersucht sie im Auftrag der Niederländischen Kammer für Berufscoaches, welche Faktoren beim Coaching wirksam sind.

Ein Coach sollte nicht einfach eine Methode einsetzen, die ihm gefällt, sondern sich in sein Fachgebiet und die zugrundeliegende theoretische Basis vertiefen. Eine kritische Haltung erfordert auch, sich intensiv mit der eigenen Entwicklung zu beschäftigen, sich in Supervision und Intervision zu begeben, das heißt eigene Fälle mit einem Supervisor oder mit Kollegen zu besprechen. Die eigene Arbeit zu reflektieren, ist also sehr wichtig. Außerdem muss man bewerten, ob die eingesetzten Methoden effektiv sind. Das alles kostet Zeit und wird häufig unterschätzt. Coaches sind oft Experten aus eigener Erfahrung. Sie haben privat oder beruflich schon einiges erlebt, suchen deshalb einen Coach auf und fühlen sich dann berufen, selbst zu coachen. Das ist nicht grundsätzlich falsch, aber es braucht dazu eine gute Ausbildung sowie Beschäftigung damit, was Coaching eigentlich bedeutet. Manche Menschen nennen sich zu leichtfertig Coach.

Was ist das Wesentliche beim Coachen?

Es gibt verschiedene Definitionen, aber alle betonen die Beziehung auf Augenhöhe. Ein Coach fördert einen Klienten in seiner Entwicklung, zum Beispiel indem er zur Selbsterkenntnis anregt, und begleitet die Verhaltensveränderung. Coaching ist außerdem für psychisch gesunde Menschen gedacht. Zu wissen, wann man jemanden an andere Fachleute verweisen muss, zeugt von Professionalität und einer kritischen Haltung.

Das kann ich als Freund oder Freundin doch auch?

Natürlich. Aber ein Coach verfügt über einen festen professionellen Rahmen. Für ein Coaching setzen Sie in der Regel einen Vertrag auf, in dem Sie die wechselseitigen Erwartungen festhalten. Als Freund würden Sie das in der Regel nicht tun. Und es ist fraglich, ob man einem Freund sein tiefstes Inneres offenbaren möchte. Einem unabhängigen Coach fällt es womöglich leichter, sich eine Geschichte urteilsfrei anzuhören.

»Ein Coach muss sehr genau wissen, wo Coaching aufhört und eine andere Form der Begleitung beginnt«

Was, wenn der Klient keine Fortschritte macht?

Dann muss man den Prozess beenden oder den Klienten weiterverweisen. Auch wenn jemand ernste psychische Probleme hat, muss ein Coach diese Person zu Fachleuten schicken, die in klinischer Psychologie oder Psychiatrie ausgebildet sind. Ein Coach muss also sehr genau wissen, wo Coaching aufhört und eine andere Form der Begleitung beginnt.

Weiß jeder Coach, wo diese Grenze liegt?

Leider nicht. Ich erinnere mich, dass einmal jemand in einer Fernsehsendung behauptete, er könne Menschen von ihren Suizidgedanken befreien. Diese Person hatte keine psychologische oder psychiatrische Ausbildung. Zu erkennen, was man kann und was nicht, ist sehr wichtig.

Wie kann man mit Coaches umgehen, die sich überschätzen?

Eine schwierige Frage. Ein solcher Coach tritt vielleicht keinem Berufsverband bei und nimmt nicht an Weiterbildungen teil. Er mag die besten Absichten haben und aufrichtig glauben, dass er jemandem weiterhelfen kann. Wenn es allerdings an Selbsterkenntnis und Einsicht fehlt, stehen die Interessen der Klienten nicht mehr an erster Stelle. Man kann nur hoffen, dass Klienten bei der Suche nach einem Coach kritisch vorgehen. Die Berufsverbände können helfen, indem sie über schlechte Beispiele aufklären. Die Lösung liegt demnach zum Teil bei den Gecoachten: Am besten suchen sie sich einen zertifizierten Coach. Denn der muss sich an ethische Richtlinien halten, sich selbst reflektieren und an sich arbeiten.

Gibt es Überschneidungen zwischen Coaching und Psychotherapie?

Sicher. Coaching arbeitet mit Therapieverfahren wie der rational-emotiven Therapie, der Akzeptanz- und Commitment-Therapie, dem Motivational Interviewing und der lösungsorientierten Kurzzeittherapie. Die Methoden werden dazu etwas angepasst. Bei der Akzeptanz- und Commitment-Therapie gibt es beispielsweise verschiedene Komponenten, auch Säulen genannt. Im Coaching geht es dann weniger um die Säule »Akzeptanz« und mehr um die Säule »eigenes Handeln«.

Was macht jemanden zu einem guten Coach?

Die Forschung zu diesem Thema ergibt ein uneinheitliches, teils widersprüchliches Bild. Ein Psychologiestudium kann sich positiv auswirken, muss es aber nicht. Die Persönlichkeit des Coaches scheint auch nicht wirklich ausschlaggebend zu sein, ebenso wenig Übereinstimmungen mit der Persönlichkeit des Klienten. Was auffällt, ist die Rolle der Beziehung zwischen Coach und Klient. Im Fachjargon spricht man hier von einem Arbeitsbündnis. Wenn diese Beziehung gut funktioniert, trägt das nachweislich zu den positiven Effekten des Coachings bei. Man könnte also sagen, dass jemand ein guter Coach ist, wenn er oder sie dieses Arbeitsbündnis pflegt. Das bedeutet vor allem, eine Beziehung aufzubauen, die von Respekt und Vertrauen geprägt ist, und sich darüber zu einigen, welche Ziele und Aufgaben man gemeinsam angehen will.

»Ein Klient kommt in der Regel mit einem bestimmten Problem. Dann untersuchen Sie gemeinsam, was er wirklich erreichen möchte«

Was weiß die Forschung noch über die Wirksamkeit von Coaching?

Wir wissen, dass Coaching funktioniert, es kommt jedoch auch darauf an, woran wir den Erfolg messen. Coaching fördert in der Regel das Wohlbefinden und die Belastbarkeit der Klienten und trägt dazu bei, dass sie ihre Ziele erreichen. Man sollte meinen, dass Coaching die Arbeitsleistung ebenfalls verbessert, aber das scheint nicht immer der Fall zu sein. Wenn man sich ansieht, was dabei eigentlich wirksam ist, sticht wiederum das Arbeitsbündnis hervor. Eine gute Arbeitsbeziehung bedeutet, dass der Klient sich vom Coach gehört fühlt, sich in seinen Bedürfnissen nach Autonomie, Zugehörigkeit und Kompetenz unterstützt fühlt. Außerdem geht man davon aus, dass Coaching wirksam ist, weil es mit klaren Zielen arbeitet. Diese Ziele stehen oft im Mittelpunkt des gesamten Coaching-Prozesses. Sie werden überwacht, es gibt Feedback. So ist es nicht verwunderlich, dass die Klienten die gesetzten Ziele auch erreichen.

Und je eindeutiger das Ziel ist, desto leichter ist jemand zu coachen?

Ein Coach muss herausfinden, was das wahre Ziel seines Klienten ist. Dieser kommt in der Regel mit einem bestimmten Problem. Dann untersuchen sie gemeinsam, was er wirklich erreichen möchte. Wenn das klar ist, steigen die Erfolgsaussichten deutlich. Kommt das Ziel vom Klienten selbst, oder will vor allem sein Chef, dass er daran arbeitet?

Wie findet man am besten einen guten Coach?

Suchen Sie jemanden, der Mitglied in einem Berufsverband ist, denn dann muss er sich an ethische Richtlinien halten. Wenn sich der Coach unethisch verhält, können Sie sich an einen Beschwerdeausschuss wenden. Es gibt eine Reihe von internationalen Berufsverbänden, die auch in Deutschland aktiv sind, wie die International Coach Federation und der European Mentoring and Coaching Council. Außerdem gibt es nationale Berufsverbände, an die man sich bei der Suche nach einem Coach wenden kann. Noch besser ist es, nach zertifizierten Coaches zu suchen: Sie haben bewiesen, dass sie über die nötigen Kompetenzen verfügen und kontinuierlich an sich arbeiten. Wenn Sie als Coachee in Ihre eigene Entwicklung investieren wollen, können Sie das auch von einem Coach erwarten. Wählen Sie einen Coach, der seinen Beruf ernst nimmt.

Qualitätsstandards für zertifizierte Coaches

In Deutschland kann sich jeder Coach nennen: Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Laut dem Deutschen Coaching-Verband sowie dem internationalen Berufsverband European Mentoring and Coaching Council (EMCC) gibt es in Deutschland rund 14 000 ausgebildete Coaches, aber mehr als dreimal so viele selbst ernannte Coaches ohne entsprechende Qualifizierung. Zertifikate von Berufsverbänden stellen sicher, dass ein Coach eine Ausbildung absolviert sowie Berufserfahrung hat und an ethische Richtlinien gebunden ist.

2020 gründete sich der Dachverband Roundtable Coaching (RTC), um einheitliche Qualitätsstandards für die Branche zu definieren. Dazu zählen Mindeststandards für zertifizierte Coaches. Diese fordern umfassende Theoriekenntnisse. Die Kenntnis evidenzbasierter Methoden wird nur indirekt vorausgesetzt: als »Kompetenz, Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zum Coaching einzuschätzen und ihre Bedeutung für die Coachingpraxis zu erfassen«. Für die praktische Umsetzung lässt das einigen Spielraum.

In seinen ethischen Richtlinien legt der Dachverband immerhin fest: »Coaches üben ihren Beruf nach bestem Wissen und Gewissen sowie auf der Grundlage des jeweils aktuellen fachlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisstandes aus. Dies erfordert eine kontinuierliche Fortbildung. Die Coaches verfolgen im und mit dem Coaching keinerlei über die Rolle als Coach hinausgehende Interessen und wahren strikte Vertraulichkeit. Diese Bestimmungen schließen eine Bezugnahme auf sektiererische oder esoterische Praktiken ausdrücklich aus.« Rund ein Dutzend Verbände hat sich zu den Richtlinien bekannt, darunter zum Beispiel:

(red)

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