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Virale Volkszählung im Ozean: Enorm viele Ozean-Viren sind merkwürdig verteilt

Viren sind im Ozean noch häufiger als gedacht - und verteilen sich dabei nach bisher unbekannten Kriterien auf überraschende Weise.
Virensammler Tara in arktischen Gewässern

Meeresbiologen kennen im Ozean viel, aber längst nicht alles – und die größte Wissenslücke klafft bei den hunderttausenden Arten von marinen Viren. Klar war: Die winzigen Zellparasiten sind in allen Tiefen und geografischen Breiten vertreten, haben einen enormen Einfluss auf marine Pilze, Bakterien und Co und formen das Ökosystem im großen Stil mit. Das war Anlass genug für die bis dato umfangreichste Volkszählung im Reich der Ozean-Viren, von der nun neue Ergebnisse eintrudeln. Deutlich wird: Es gibt im Meer noch mehr Virusarten als gedacht, die sich aber weltweit auf unerwartete Weise in deutlich unterscheidbare Populationen verteilen. Und gerade im kalten arktischen Meer finden sich mehr Virenvertreter als etwa am Äquator.

Dies fasst das schon seit 2006 laufende internationale Tara-Projekt nach weiteren vier Jahren Probensammeln auf hoher See und der darauf folgenden jahrelangen Auswertung nun im Fachblatt »Cell« zusammen. Ein neuer Blick ist den neuen Daten zufolge vor allem auf die Viren in den arktischen Meeren nötig, in denen zuvor noch keine Viren in größerem Stil gesammelt und analysiert wurden. Mit den hier häufigen Vertretern erhöht sich das bekannte globale »Viriom« seit der letzten Zählung gleich auf das Zwölffache, man kennt jetzt fast 200 000 marine Viren.

Die Analyse einzelner Virengenome und ein umfangreicher Sequenzvergleich enthüllten zudem, dass sich die Viren vieler Arten auch durch die Zugehörigkeit zu fünf eindeutig getrennten ökologischen Populationen unterscheiden: So finden sich typische einheitliche genetische Veränderungen bei den Artengemeinschaften und Einzelviren, die in den arktischen und antarktischen Breiten sowie in drei unterschiedlich tiefen Zonen in den tropischen und gemäßigten Breiten vorkommen. Offenbar formen besondere Umweltbedingungen in diesen Lebensräumen auch die Genvarianten der Viren, die hier vertreten sind. Evolutionsprozesse scheinen wirksam, weil vor allem Viren mit doppelsträngiger DNA sich in den getrennten Zonen einnischen: Vertreter mit Einzelstrang-DNA oder RNA – die sich im Normalfall schneller verändern und an andere Umweltfaktoren anpassen können – scheinen deutlich uniformer verteilt zu sein, so die Forscher.

Route des Probensammlerschiffs Tara in der Arktis

Die Tara schipperte nach und nach durch alle arktischen Gewässer, um möglichst flächendeckend Meerwasserproben mit Viren zu sammeln.

Anders als beim Plankton oder den größeren Vielzellern an Land ist bei Viren zudem die Artenvielfalt in der Arktis (nicht aber in der Antarktis) höher als am Äquator, wie die Forscher feststellten. Dieses bisher unerklärte Phänomen war bisher verborgen geblieben, weil eben kaum Proben aus den arktischen Gewässern analysiert worden waren.

Die Virenvielfalt im Meer hat unter anderem eine indirekte Wirkung auf den Klimawandel, weil die Organismen die Kohlenstoffpumpe der Ozeane verändern: Der Einfluss von Viren auf marine Bakterien entscheidet womöglich mit darüber, in welchem Maß CO2 aus der Atmosphäre nur die oberen Wasserschichten ansäuert, wodurch schließlich in Summe wieder mehr CO2 freigesetzt wird – oder ob fotosynthetisch aktive und andere Zellen Kohlendioxid aufnehmen, um es gebunden für längere Zeit in tiefere Wasserschichten abzutransportieren.

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