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Bürgerbeteiligung: Ein Nationalpark und seine Schwarzwälder

Der geplante Nationalpark Schwarzwald traf auf Widerstand in der Bevölkerung. Neue Ideen und Offenheit waren nötig, um die Bevölkerung mit dem neuen Schutzgebiet zu versöhnen.
Wald in diffusem Licht

Weiße Birken, sattgrüne Zwergstrauchheiden, weite offene Flächen und ein atemberaubender Blick in die Rheinebene – die Grinden im Nationalpark Schwarzwald üben eine ganz eigene Faszination auf den Besucher aus. Auf diesen waldfreien Bergkuppen fühlt man sich an Skandinavien erinnert – oder auch, wenn der Nebel wieder einmal wabert, an die guten alten Edgar-Wallace-Filme. Umgeben sind die Grinden von dunklem Fichtenwald, der manchmal undurchdringlich scheint, dazwischen liegen die offenen Schwarzwaldtäler und mittendrin der Bannwald »Wilder See«, den Menschen schon seit rund 100 Jahren nicht mehr nutzen.

Alles zusammen ist heute Teil des Nationalparks Schwarzwald, »einem noch immer jungen Schutzgebiet mit einem riesigen Potenzial, das jedoch bereits große Schritte hinter sich hat hin zu einem echten Stück wilder Natur in unserem vom Menschen stark geprägten Land«, wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagt. Der Wald werde sich in Baden-Württemberg den klimatischen Veränderungen anpassen müssen. Vom Nationalpark könne man ein Stück weit lernen, welche Strategien die Natur selbst fürs Überleben entwickelt habe.

Dieses Vorgehen sahen in den letzten ersten Jahren aber nicht alle in den benachbarten Gemeinden so positiv wie der Ministerpräsident, im Gegenteil. Der Einrichtung des Nationalparks Schwarzwald waren heftige und sehr emotional geführte Diskussionen vorausgegangen, und es gab lange Zeit nur ein Pro- und ein Kontra-Lager. Die Risse gingen quer durch Familien und Freundeskreise, Höflichkeit wurde zum Fremdwort, es gab Beschimpfungen, anonyme Anrufe und Bedrohungen.

Das Schutzgebiet entstand im Streit

Die »Nationalpark, nein danke!«-Aufkleber und -Schilder prägten das Bild, als der Landtag 2013 das Nationalparkgesetz mit der Mehrheit von Grünen und SPD verabschiedete. Noch bei der offiziellen Eröffnungsfeier im Mai 2014 saß ein Trüppchen der Gegner mit im Festzelt und störte die Reden durch laute Pfeifkonzerte, Rätschen und Gelächter. Es war keine leichte Aufgabe, die vor der neu gegründeten Nationalparkverwaltung mit ihren beiden Leitern Wolfgang Schlund und Thomas Waldenspuhl lag.

Der Nationalpark nimmt nun mit 10 000 Hektar Fläche ungefähr 0,7 Prozent der gesamten Waldfläche des Landes ein und ist auf Grund der Besitzverhältnisse zweigeteilt. Zum einen in das 7615 Hektar große Gebiet Ruhestein bei Baiersbronn und zum anderen in die 2447 Hektar große Fläche um den Hohen Ochsenkopf. In diesen Bereichen darf sich die Natur in großen Teilen zukünftig völlig frei entwickeln, ohne dass der Mensch eingreift.

Der Nationalpark Schwarzwald

In spätestens 30 Jahren müssen mindestens 75 Prozent der Gesamtfläche komplett aus der Nutzung genommen werden und dauerhaft als Kernzone des Nationalparks sich selbst überlassen bleiben. Zwischen den beiden Teilen liegt ein dreieinhalb Kilometer breiter Waldstreifen, der nicht zum Nationalpark gehört. Er ist im Besitz der Murgschifferschaft, einer Holzgenossenschaft, deren Geschichte bis in das späte Mittelalter zurückgeht und die nach eigenen Angaben »für eine naturnahe und multifunktionale Forstwirtschaft auf ganzer Fläche einsteht und kein Befürworter von Flächenstilllegungen im Wald ist«.

In den letzten Jahren hat ein leiser Wandel stattgefunden. Es gibt sie zwar noch, die Gegner aus Überzeugung, doch sie sind leiser geworden. Andere nehmen die Tatsachen nun hin, manche sind einfach verstummt oder möchten nichts mehr zu dem Thema sagen. »Wir haben in der Vergangenheit unsere kritische Haltung geäußert, an dieser hat sich nichts geändert«, sagt beispielsweise Walter Dürr von der Murgschifferschaft. Manche sind aber auch überzeugt worden, dass ein Nationalpark im Nordschwarzwald keine Katastrophe ist. Ganz wichtig für diesen Wandel war und ist für Ministerpräsident Kretschmann »sicherlich die stete Möglichkeit der Bürgerbeteiligung am gesamten Prozess, insbesondere auch direkt nach der Gründung«.

Auch Kritiker sitzen im Beirat

Kompromissfindung ist also das Zauberwort, aber der Weg dorthin war und ist mühsam und zeitaufwändig. Man hat dafür den Nationalparkbeirat und den Nationalparkrat ins Leben gerufen, die beide unverzichtbar sind. Im Beirat sitzen Vertreter von 32 Vereinen und Organisationen, vom Alpenverein über Mountainbiker, Tourismusvertreter, Holz- und Forstwirtschaft, der Murgschifferschaft, Naturschutzverbände und Jäger bis hin zu den Kirchenvertretern.

Auerhahn | Das Auerhuhn braucht zum Überleben möglichst unberührte Bergwälder. Der Schwarzwald ist eines seiner letzten Refugien in Deutschland.

Der Nationalparkbeirat berät die Vorschläge der Nationalparkverwaltung hinsichtlich Zonierung des Nationalparks, Wegeführung, Besucherlenkung oder auch zum Wildtiermanagement, und seine Sitzungen sind auf Grund der unterschiedlichen Interessenlage oft von einer »großen Diskussionsfreude« geprägt. Die Vorschläge werden dann in den Nationalparkrat weitergeleitet, den es in dieser Form in keinem anderen Nationalpark gibt. Er setzt sich zu je 50 Prozent zusammen aus Vertretern der Region, also den Kommunen und Landkreisen, sowie der Nationalparkverwaltung und des Umweltministeriums. Die Beschlüsse des Rats sind verbindlich und müssen umgesetzt werden.

Diese Einbindung der Städte und Gemeinden über den Nationalparkrat ist für Baden-Württembergs Ministerpräsidenten entscheidend, es sei grundlegend für die Akzeptanz, gemeinsam mit allen Betroffenen Kompromisse auf Augenhöhe zu finden. Das sieht Hubert Schnurr, Oberbürgermeister der Nationalpark-Gemeinde Bühl und Mitglied im Rat, genauso. Man lebe mittlerweile ganz gut mit dem Nationalpark, und auch im Rat sei die Stimmung harmonisch und zielorientiert, man »möchte die Sachen voranbringen. Das Mitspracherecht ist dabei eine ganz wichtige Sache, und die Gemeinden profitieren ja auch vom Nationalpark, sei es beim Tourismus oder beim Verkehrskonzept, wenn es denn mal umgesetzt ist«, so Schnurr.

Ein Nationalpark bedeutet Verzicht und Verlust

Für die direkten Nachbarn des Nationalparks sah es zunächst aber nach Verzicht und nach dem Verlust von Vertrautem aus. »Und sie haben Recht«, gibt Wolfgang Schlund zu. »Ein Nationalpark zieht einen Schlussstrich unter das Althergebrachte. Wir nehmen bequeme Forstwege aus der Nutzung. Wir lassen zu, dass Borkenkäfer, Stürme und Schneebruch ganze Baumbestände fällen, und lassen die Bäume als verrottendes Totholz liegen«, erklärt er. »Das macht die, denen diese einschneidende Veränderung in ihrer unmittelbaren Heimat zugemutet wird, unsicher oder wütend.« Auch die räumliche Distanz spiele bei der Akzeptanz vieler Nationalparks eine gewisse Rolle. Je weiter weg ein Mensch von einem Nationalpark wohne und je urbaner er lebe, umso höher falle seine Akzeptanz üblicherweise aus, so Schlund.

60 Prozent der Fläche des Nationalparks befinden sich auf Baiersbronner Gemarkung. »Man hat hier sehr viel gelernt in den ersten fünf Jahren«, sagt der Baiersbronner Tourismusdirektor Patrick Schreib, der auch Geschäftsführer der Nationalparkregion Schwarzwald ist. Die Gemeinde Baiersbronn hatte damals gegen den Nationalpark gestimmt. »Wenn man jahrhundertelang den Wald gehegt und gepflegt hat und das Beste für den Wald wollte, und dann kommt jemand daher und sagt, das Beste für den Wald ist es, nichts zu tun, das ist schon ein starker Gegensatz«, erklärt Schreib.

Wilder See | Das Gebiet »Wilder See« ist ein Bannwald, der seit etwa einem Jahrhundert nicht mehr genutzt wird.

Doch das Konzept zahlt sich auch für Baiersbronn aus. »Es werden neue Zielgruppen angesprochen, und die Zahl der Tagestouristen hat zugenommen«, so Schreib, der im Nationalparkbeirat sitzt und die »große Diskussionsfreude« dort selbst kennen gelernt hat. Es habe viel Offenheit und Kommunikation gebraucht, damit sich jeder in den Beschlussvorlagen wiederfinden konnte. Beispielsweise habe ein Weg aus der Nutzung genommen werden sollen, der schon 100 Jahre da war. Darum habe es viele Diskussionen gegeben, und nun sei dieser Weg eben nicht generell geschlossen, sondern es gebe nur eine Wintersperrung. Damit könne man leben.

Der überwiegende Teil der Besucherinnen und Besucher hält sich an die im Wegekonzept frei gegebenen Wege, die mittlerweile zuverlässig mit Schildern markiert sind. Außerdem gibt es drei Wildnispfade im Nationalpark, die als zusätzlicher Besuchermagnet wirken. Allein der Luchs- und der Wildnispfad hatten bis September 2020 bereits knapp 50 000 Besucher, die diesjährigen Zahlen für den gesamten Park sind noch nicht ausgewertet, im letzten Jahr lagen sie bei 780 000 Besuchern.

Auch der Wolf ist willkommen

Ein weiterer heiß diskutierter Punkt war und ist das Wildtiermanagement. Seit August 2018 sind bereits an die 3000 Hektar, rund ein Drittel des Nationalparks, jagdfrei. Auch hier erfolgte Planung und Umsetzung in enger Abstimmung mit den betroffenen Anrainern, den Jagdverbänden, Naturschutz, Tierschutz, Tourismus und Gemeinden. Für Friedrich Burghardt, Leiter des Wildtiermanagements (WTM) im Nationalpark, war das ein Meilenstein. »Das wichtigste Ziel eines Nationalparks – ›Natur Natur sein lassen‹ – muss auch für die großen Wildtiere Hirsch und Reh gelten«, erklärt er. »Für die Akzeptanz bei den Anrainern ist es nun wichtig zu zeigen, dass wir ihre Sorgen ernst nehmen und auf der verbleibenden Fläche konsequent und professionell weiterhin jagen.«

Hirsch | Der Park bleibt zwar sich selbst überlassen – ganz ohne Kontrolle allerdings kommt er nicht aus. Die Tierbestände müssen vom Menschen reguliert werden. Doch auch ein Wolf hilft mit.

Das Ziel des WTM ist eine Einstellung der Jagd in der Kernzone, das heißt bis spätestens 2044 auf 7500 Hektar. Dies ist durchaus realistisch und machbar, verlangt aber noch sehr viel Arbeit in der Entwicklung effektiver Methoden der Wildtierregulation. Unterschiedliche Auffassungen gibt es beispielsweise beim Rotwild, das gerne das Laub junger Bäume frisst oder die Rinde abschält. Es habe im Nordschwarzwald zwar Ausbreitungstendenzen, sagt Burghardt, die hätten mit dem Nationalpark jedoch nichts zu tun. »Die Daten aus Satellitentelemetrie, genetischen Untersuchungen und einem sehr intensiven und professionellen systematischen Fotofallenmonitoring belegen, dass der Rothirschbestand im Nationalpark nicht gestiegen, sondern mit leichter Abwärtstendenz stabil ist«, betont Burghardt.

In den angrenzenden Gebieten würde man sich allerdings eine stärkere Bejagung insbesondere des Rotwilds im Nationalpark wünschen. »Rotwild ist eine sehr mobile Tierart, die nur großflächig reguliert werden kann. Solange die großen Beutegreifer fehlen oder in sehr geringer Stückzahl vorkommen, muss Rotwild geschossen werden«, erklärt der Ortenauer Forstamtsrat Peter Schmiederer. »Wenn große Teile des Nationalparks nicht bejagt werden, muss ganz zwangsläufig in den angrenzenden Gebieten deutlich stärker gejagt werden.« Konsequenterweise begrüßen deshalb sowohl Schmiederer als auch Burghardt den Nachweis von Wolf und Luchs in dem Gebiet. »Obwohl es nur ein einzelnes Tier ist, hat der Wolf mehrfach bewiesen, dass er in der Lage ist, problemlos gesunde, ausgewachsene Hirsche zu erbeuten. Er leistet derzeit bereits einen durchaus wichtigen Beitrag bei der Wildtierregulation«, sagt Burghardt.

Nebel in der Rheinebene | Blick vom Nationalpark über die benachbarte Flussniederung.

Neben der intensiven naturwissenschaftlichen Forschung gibt es im Nationalpark Schwarzwald auch einen sozialwissenschaftlichen Forschungsbereich. Dort geht man beispielsweise den Fragen nach, wie die Menschen den Nationalpark erleben, wie sie auf die Wildnis reagieren. Das sei ein sehr emotional besetztes Thema, meint Kerstin Ensinger, Psychologin und Leiterin dieses Bereichs. »Da geht es um eine Wertediskussion – was verstehe ich unter Heimat, wie habe ich den Wald erlebt?«

Was der Wald dem Menschen ist

Als Glücksgriff erwies sich eine Zusammenarbeit mit dem Baiersbronner Köhler Thomas Faißt, der in Kooperation mit dem Nationalpark die Geschichten der Schwarzwälder sammelte und aufschrieb (»Wälderstimmen«). Die Zusammenarbeit habe viele Türen geöffnet. »Er ist im Auftrag des Nationalparks zu den Leuten gekommen und hat sich dort an den Kaffeetisch gesetzt«, so Ensinger.

Und mancher Besuch zeigte auch die nach wie vor bestehenden unterschiedlichen Auffassungen, zum Beispiel bei den Heidelbeeren und den Auerhühnern. »Glaubsch' du, dass der Auerhahn, dia baar Auerhahn, wo do senn, dia ganze Beera brauchet?« Die Mitarbeiter im Nationalpark haben einiges erkannt durch diese »Wälderstimmen«. »So ist es eben wichtig zu wissen, dass es Plätze gibt, die für die Leute eine besondere Bedeutung haben; das ist auch eine Frage der Wertschätzung der lokalen Bevölkerung gegenüber«, sagt Ensinger. Dieses könne dann wiederum bei der Kommunikation zu nun gesperrten Flächen mitgedacht werden.

Heidelbeeren | Um Heidelbeer-Sammelplätze gibt es immer wieder Konflikte.

»Die Bemühungen um Bürgerbeteiligung und die zahlreichen öffentlichen Informationsveranstaltungen und Diskussionsrunden sind ein weiterer entscheidender Faktor dafür, dass unsere Arbeit und unsere Ziele in der Region in weiten Teilen anerkannt werden«, erklärt Nationalparkleiter Wolfgang Schlund. »Und unsere ›Gesichter nach außen‹ – das Rangerteam, das Wildnisbildungsteam, aber auch die Teams der Öffentlichkeitsarbeit und der Besucherinfo – tragen weiter beständig zur Akzeptanz bei.« Manche Kritikpunkte wie das hohe Verkehrsaufkommen bleiben in der Öffentlichkeit allerdings bis zur Umsetzung des angekündigten Verkehrskonzepts bestehen.

Das neue Nationalparkzentrum Ruhestein verkörpert ebenfalls den Meinungswandel. Es ist wie das Totholz übereinanderliegender Baumstämme angeordnet, was zu Baubeginn noch spöttische Bemerkungen über ein »fragwürdiges und überdimensioniertes Projekt« hervorrief. Je weiter aber der Bau voranschritt, desto häufiger hörte man anerkennende Stimmen. Und heute schwärmen nicht nur die Fachleute von »gebauter Poesie«, und das helle, offene Innere samt der verschiedenen Ausstellungen sorgt für Aha-Effekte.

Hier lässt sich die »wilde Natur des Schwarzwalds« für Erwachsene, Schulklassen und Kindergärten begreifbar machen. »Seit Einrichtung des Nationalparks gibt es 6500 Arten, die wir neu bestimmt haben, die Käfer und Pilze haben sich verdoppelt«, erläutert Wolfgang Schlund bei der Eröffnung des Zentrums. Diese Arten habe es natürlich vorher schon gegeben, doch durch den Nationalpark habe man die Wissenschaftler und die Mittel, um danach zu suchen.

Der Nationalpark Schwarzwald hat in den vergangenen Jahren bereits viel erreicht, und das in dieser Form durchgeführte Konzept von Bürgerbeteiligung, Einbeziehung der direkt Betroffenen über den Beirat und Rat, sozialwissenschaftlicher Forschung sowie natürlich das Auftreten der Nationalparkmitarbeiter hat wohl einiges zur Akzeptanz beigetragen. Ob das »Gesamtpaket« für zukünftige Nationalparks als Vorbild dienen könnte, muss sich zeigen – einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.

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