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»Cluster 5«: Die wahre Gefahr durch das Nerz-Coronavirus

In Dänemark haben sich 11 Menschen mit einer neuen Sars-CoV-2-Variante angesteckt. Klingt beunruhigend. Doch es ist unklar, ob die Mutation das Virus gefährlicher macht.
Der Nerzfarmer Thorbjoern Jepsen hält eines seiner Tiere, kurz bevor die Polizei im Oktober den Zugang zu seiner Farm auf Droevten in Gjoel erzwang.

Auf dänischen Nerzfarmen ist eine Coronavirus-Variante mit möglicherweise gefährlichen Veränderungen aufgetaucht, die sich anscheinend unter Menschen zu verbreiten beginnt. Im August und September steckten sich mindestens elf Menschen mit der als »Cluster 5« bezeichneten Viruslinie an. Um eine weitere Ausbreitung zu verhindert, hatte die dänische Regierung am Mittwoch angeordnet, dass alle Nerze im Land getötet werden sollen. Schließlich, so hieß es, sei die Mutation potenziell gefährlich, könne gar die Wirksamkeit der derzeit in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe gegen Covid-19 schmälern.

Doch die bislang veröffentlichten Informationen über die nachgewiesenen Mutationen stützen diese Behauptung nicht. Gleichzeitig ist völlig unklar, welche Auswirkungen die Veränderungen haben.

Nerze zählen wie Frettchen zu den Tieren, die empfänglich für Sars-CoV-2 sind und das Virus an Artgenossen weitergeben können. Zudem können sie es auf Menschen übertragen, das hatten im Frühjahr bereits Fälle in den Niederlanden gezeigt.

Die dänische Coronavirus-Variante hat zwei Veränderungen, die nach den ersten spärlichen Informationen des Statens Serum Institut (SSI) das Spike-Protein betreffen. Sie reduzieren laut Analysen auch die Wirksamkeit von Antikörpern. So macht eine der gefundenen Mutationen einen der Antikörper im Regeneron-Antikörpercocktail unwirksam, wie eine Arbeitsgruppe bereits im August festgestellt hat.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Zwar kann man aus den Studien im Labor und im Computer erste Rückschlüsse auf grundlegende Eigenschaften schließen, doch wie sich das Virus tatsächlich im Menschen verhält, sagen sie nicht.

Sars-CoV-2 bindet schon jetzt sehr gut

Es ist extrem schwierig, das herauszufinden. Das hat schon die Diskussion um die Mutation D614G gezeigt, die in Virusstämmen stark präsent ist, die vor allem in Europa und an der Ostküste der USA kursieren. Bis heute ist umstritten, welche Auswirkungen die im Fall dieser Mutation im Labor festgestellte höhere Ansteckungsfähigkeit bei Zellen tatsächlich hat.

Das gilt auch für eine der beiden Nerz-Mutationen, die laut einem Team um Jesse Bloom vom Fred Hutchinson Cancer Research Center das Spike-Protein besser an den ACE2-Rezeptor des Menschen binden lässt. »Was das für die Übertragung zwischen Menschen oder die Krankheit bedeutet? Unmöglich zu sagen«, schreibt Bloom auf Twitter, »aber vermutlich zumindest für die Übertragung nichts.« Es gebe keine Hinweise darauf, dass Sars-CoV-2 hin zu einer besseren Bindung evolvieren würde. Diese sei vermutlich bereits gut genug.

Andere Fachleute bezweifeln ebenfalls, dass die im Nerz festgestellten Mutationen für die Pandemie direkt relevant sind. Der Genetiker Francois Balloux vom University College of London vertritt auf Twitter die Ansicht, die Mutationen im Nerz seien kein Grund zur Sorge. Wegen der recht hohen Mutationsrate sind solche und andere Varianten mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits im Menschen aufgetreten; wenn sie einen deutlichen Vorteil bei der Verbreitung bieten würden, hätten sie sich längst weit verbreitet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht derzeit auch noch keine Hinweise auf erhöhte Risiken. Es habe bereits zahlreiche Mutationen von Sars-CoV-2 gegeben, sagte WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan am Freitag in Genf. »Es ist zu früh dafür, voreilige Schlüsse zu ziehen, welche Folgen diese neue Mutation für die Übertragung, Schwere der Erkrankung, klinische Symptome, Immunantwort oder mögliche Impfstoffwirkung hat.«

Bei »Fluchtmutationen«, die dem Virus erlauben würden, einer Immunantwort zu entkommen – ebenso jener durch einen Impfstoff –, sähe das zumindest potenziell anders aus. Das sagt auch Bloom: »Es ist plausibel, dass die Mutation einen kleinen Antigen-Effekt hätte« – also die Bindung der von der Impfung erzeugten Antikörper beeinflusst. Allerdings glaube er angesichts seiner eigenen Untersuchungen nicht, dass diese Mutation allein die Effektivität der Immunantwort dramatisch senken würde.

Tiere als Zuflucht würden das Virus überlebensfähiger machen

Doch sind es nicht die Mutationen, die Sars-CoV-2 Nerzen zum Problem machen, sondern dass sich das Virus eigenständig in Tierpopulationen verbreitet. Fachleute fürchten, dass Nerze und verwandte Arten ein Reservoir werden, also dem Virus dauerhaft eine Zuflucht geben. Das würde die Bekämpfung von Sars-Cov-2 deutlich erschweren. Zum Beispiel wenn man das Virus in einer Region ganz ausgerottet hat. Wenn das Virus in Nutztieren oder gar Haustieren kursiert, kann es jederzeit quasi aus dem Nichts wieder auftauchen.

Wenn ein Impfstoff gegen Sars-CoV-2 vorhanden ist, wird zuerst nicht genug davon zur Verfügung stehen, um die Bevölkerung oder auch nur Risikogruppen durchzuimpfen. Deswegen würde man die vorhandenen Mengen wohl nutzen, um das Virus gezielt einzudämmen. Zum Beispiel mit Hilfe einer Ringimpfung. Dabei zieht man eine Art Schutzwall um bekannte Infizierte, indem man die Kontakte und deren Kontakte impft und so verhindert, dass sich das Virus weiter verbreitet.

Das wäre eine aussichtsreiche Strategie, wenn die Fallzahlen im Sommer wieder deutlich zurückgehen. Nicht zuletzt, weil bei Sars-Cov-2 nur ein kleiner Teil der Infizierten andere Menschen ansteckt und deswegen viele Infektionsketten von allein enden. Schon ohne Impfstoff haben einige Länder mit gezielten Maßnahmen das Virus nahezu ausrotten können können. Mit Impfung würden sich die Chancen dafür auch anderswo deutlich erhöhen.

Doch das ändert sich, sobald das Virus außerhalb von Menschen kursiert. Dann nämlich reicht es nicht, die Ansteckungsketten unter Menschen zu kontrollieren. Auch Tiere können dann Ausbrüche verursachen. Dieses Szenario ist keineswegs unplausibel, denn neben den Nerzen sind viele andere mit ihnen verwandte Arten empfänglich für Sars-Cov-2.

Zu dieser Tiergruppe gehören viele verbreitete Wildtiere, die als Kulturfolger nahe bei Menschen leben, etwa Marder und Siebenschläfer. Dort kommen sie in Kontakt besonders mit Katzen, die ihrerseits für das Coronavirus empfänglich sind. Bisher spielen Katzen für die Pandemie keine Rolle; aber was passiert, wenn sie regelmäßig Kontakt mit infizierten Wildtieren haben, ist offen.

Korrektur: In der Ursprünglichen Version des Artikels hieß es, Cluster 5 sei bereits in 200 Menschen nachgewiesen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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