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Planetenforschung: Uranus und Neptun, zwei attraktive Reiseziele

Die Zeit für eine große Mission zu Neptun und Uranus ist gekommen, sagen Planetenforscher: Ab 2030 herrschen beste Reisebedingungen. Lassen sich ESA und NASA darauf ein?
Uranus und Neptun

Sie sind die am weitesten entfernten und am wenigsten erforschten Planeten unseres Sonnensystems: Uranus und Neptun wurden bislang nur ein einziges Mal von einer Raumsonde besucht. Entsprechend groß sind die Wissenslücken bei den Planetenforschern. Nun jedoch gibt es eine seltene Chance, sie zu schließen: Schon im nächsten Jahrzehnt hoffen Forscher eine ausgedehnte Mission zu einem der blauen Gasriesen auf den Weg zu bringen. Denn eine besonders günstige Konstellation würde die Reisedauer erheblich verkürzen.

Das Interesse an den Eisriesen sei enorm gewachsen, sagt Amy Simon, eine Planetenwissenschaftlerin am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland. Im Januar 2020 hat sie ein Treffen der Royal Society in London mitorganisiert, das sich um die Rahmenbedingungen einer solchen Mission drehte. Der letzte Vorbeiflug an den beiden Planeten – durch die NASA-Sonde Voyager 2 – fand in den 1980er Jahren statt. Entsprechend viele offene Fragen – zu Ringen, Atmosphäre, Monden und Ozeanen der Eisriesen – gebe es heute, sagt Simon.

Die seltene Planetenkonstellation von Neptun, Uranus und Jupiter stellt sich Anfang der 2030er Jahre ein. Sie würde es einer Sonde erlauben, bei Jupiter Schwung zu holen und dadurch innerhalb der normalerweise rund 15 Jahre währenden Lebensdauer ihrer Bordinstrumente und Energieversorgung auch tatsächlich am Ziel anzukommen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass eine solche Sonde weniger Treibstoff mitführen müsste und mehr Platz für wissenschaftliche Instrumente hätte. Um die günstige Stellung nutzen zu können, müsste eine Mission zum Neptun bis etwa 2031 und eine zum Uranus bis Mitte der 2030er Jahre starten.

Reise zu den Eisriesen

Dies sei »der richtige Zeitpunkt für den Start«, sagte Mark Hofstadter, ein Planetenforscher am Jet Propulsion Laboratory im kalifornischen Pasadena, bei der Londoner Tagung. »Wir sollten das besser nicht verpassen.« Aber der Zeitplan ist eng. Die NASA wäre der wahrscheinlichste Kandidat, um bei einer solchen Multimilliarden-Dollar-»Flaggschiff«-Mission die Führung zu übernehmen. Für die Vorbereitung einer Mission veranschlagen Fachleute in der Regel sieben bis zehn Jahre. Grünes Licht könnte die NASA jedoch nur geben, wenn ein Besuch bei Neptun oder Uranus im so genannten Planetary Science Decadal Survey als vorrangig eingestuft wird. Dieser Bericht des Nationalen Forschungsrats der USA, der die wichtigsten Ziele in der Planetenforschung für die kommende Dekade auflistet, wird 2022 veröffentlicht. Ein Flug in die äußeren Bezirke des Sonnensystems steht dabei in direkter Konkurrenz zu alternativen Weltraummissionen, etwa dem Versuch, eine Bodenprobe vom Mars zur Erde zu bringen oder eine Sonde zur Venus zu schicken.

Die Sonde soll in die Umlaufbahn eines Eisriesen einschwenken

Doch während die Mars- und Venus-Experten auf jahrzehntelanger Erforschung aufbauen, »sind Uranus und Neptun ganz auf sich allein gestellt, da wir nicht einmal die allererste Phase ihrer Erkundung abgeschlossen haben«, sagt Leigh Fletcher, ein Planetenforscher an der University of Leicester, der das Treffen mitorganisiert hat.

Ob Uranus oder Neptun – auf jeden Fall sollte die Sonde in eine planetare Umlaufbahn einschwenken und mindestens eine Sonde in die Atmosphäre oder auf einen Mond des Planeten schicken, findet Fletcher. So wie Cassini-Huygens, eine gemeinsame Mission der NASA und der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), es Anfang der 2000er Jahre am Saturn getan hat.

Uranus ist der merkwürdigere der beiden Fastzwillinge

Auf Grund ihrer ähnlichen Größe und Masse werden die beiden Eisriesen manchmal als Zwillinge angesehen. Aber wie stark sie sich wirklich ähneln, wie sie zusammengesetzt sind oder wie sie sich gebildet haben, wisse niemand genau, sagte Ravit Helled, ein Planetenforscher an der Universität Zürich, bei dem Treffen. Mit derzeitigen Modellen fällt es schwer, den inneren Aufbau der Planeten zu erklären oder die Frage zu beantworten, warum der weiter entfernte Neptun wärmer zu sein scheint als Uranus. Wissenschaftler nehmen an, dass sie aus exotischen Formen von Wasser oder vielleicht aus Ammoniakeis bestehen, sagt Helled. »Aber ob das auch wirklich stimmt, wissen wir nicht.«

Von einer Mission zu den Eisriesen würde ebenso die Erforschung von Exoplaneten profitieren, sagt Hannah Wakeford von der University of Bristol. Etwa 40 Prozent der derzeit bekannten Planeten außerhalb unseres Sonnensystems sind Eisriesen. Wer wissen will, was ihre Größe und Atmosphäre über ihre Entstehung verrät, müsse die Pendants dieser Planeten in unserer unmittelbaren Nachbarschaft besser kennen lernen.

Uranus ist merkwürdiger als Neptun

Die Teilnehmer des Treffens waren sich einig darin, dass die Planeten ein attraktives Reiseziel darstellen würden, beide könnten eine reiche Ausbeute an neuen Erkenntnissen liefern. Theoretisch wäre es sogar machbar, wenn auch unerschwinglich teuer, eine einzelne Sonde zu den Planeten zu schicken. So aber müssen sich die Forscher entscheiden. Neptun ist attraktiv, weil sein Mond Triton geologisch aktiv zu sein scheint und er möglicherweise einen unterirdischen Ozean beherbergt, der vielleicht sogar flüssiges Wasser enthält.

Aber Uranus ist, beispielsweise mit seinem Magnetfeld, das relativ zur Rotationsachse des Planeten geneigt ist, insgesamt der »Merkwürdigere«; er stelle mehr wissenschaftliche Modelle in Frage, sagt Hofstadter. Das spätere Startfenster mache den Planeten außerdem zu einem realistischeren Ziel als Neptun, so Fletcher.

Vielen Experten bereitet der enge Zeitplan Sorgen. Ein Start Anfang der 2030er Jahre sei für Raumfahrtplaner im Grunde übermorgen, sagte Fabio Favata, Leiter für Strategie, Planung und Gemeinschaftskoordination bei der ESA, auf dem Treffen. Die Europäische Raumfahrtagentur arbeite bereits an zwei großen Missionen für die frühen 2030er Jahre, so dass sie das Startfenster wohl selbst dann nicht halten könnte, wenn die demnächst anstehende Priorisierungsrunde »Voyage 2050« einen Besuch bei den Eisriesen empfiehlt.

Ein Start 2030 wäre für die ESA kaum machbar

Alternativ könnte die ESA einen Beitrag zu einer von der NASA geführten Mission leisten, aber das würde eine Entscheidung der USA voraussetzen, sagt Favata. Eine leichtere und billigere Mission, die beispielsweise nur an einem der beiden Eisriesen vorbeifliegt, wäre machbar. Auch eine solche abgespeckte Variante würde wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse liefern, bliebe aber deutlich hinter dem zurück, was sich die Wissenschaftler erhoffen, sagte Hofstadter.

Wenn die Planetenforscher die jetzt anstehende Gelegenheit verpassen, müssen sie auf die nächste günstige Planetenkonstellation Mitte der 2040er Jahre warten. Denkbar wäre es zudem, auf ein leistungsfähigeres Startsystem zurückzugreifen, wie die Schwerlastrakete SLS, das Space Launch System, das sich jedoch noch im Entwicklungsstadium befindet.

Dieser Beitrag ist eine bearbeitete Übersetzung des Artikels »Destination Uranus! Rare chance to reach ice giants excites scientists« von »Nature News«.

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