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Geburten: 23 Millionen Frauen fehlen

Abtreibungen wegen des Geschlechts haben in einigen Ländern einen Überschuss an jungen Männern erzeugt. Eine globale Analyse zeigt nun: Betroffen ist nicht nur Ostasien.
Babys krabbeln auf einem weißen Fußboden.

Zwischen 1970 und 2017 wurden 23 Millionen Mädchen weniger geboren als biologisch zu erwarten. Das geht aus einer neuen statistischen Analyse von Daten aus mehr als 200 – zum Teil nicht mehr existierenden – Staaten hervor. Wie eine Arbeitsgruppe um Fengquing Chao von der National University of Singapore in »PNAS« berichtet, lässt sich in zwölf Ländern ein unnatürlicher Überschuss an Jungen bei den Geburten nachweisen: Neben Asien sind auch einige osteuropäische Staaten betroffen. Ursache ist eine gesellschaftliche Präferenz für Söhne zusammen mit leicht verfügbarer Geschlechtserkennung vor der Geburt sowie gesellschaftlicher Akzeptanz von Schwangerschaftsabbrüchen wegen des Geschlechts. Die gute Nachricht: Laut den Daten geht das Ungleichgewicht inzwischen wieder zurück.

Das Team um Chao berechnete zuerst aus den Daten ab 1950 das Geschlechterverhältnis unter normalen Bedingungen in verschiedenen Weltregionen. Laut bisherigen Daten kommen bei natürlichen Geburten ungefähr 105 Jungen auf 100 Mädchen, die von der Arbeitsgruppe bestimmten Werte reichen von drei Prozent mehr Jungen im subsaharischen Afrika bis etwa sechs Prozent in Asien. Ausgehend davon fand sie eine Gruppe von Staaten, die vom regionalen Durchschnitt so deutlich abweichen, dass dafür vermutlich geschlechtsspezifische Schwangerschaftsabbrüche verantwortlich sind.

Am stärksten betroffen vom Mädchendefizit sind Länder in Ost- und Südostasien. Aber auch in Osteuropa und Zentralasien gibt es mehrere Staaten mit zehn Prozent und mehr zusätzlichen männlichen Geburten. Zwei Faktoren wirken zusammen, wenn hohe Ungleichgewichte entstehen. Zum einen sind Söhne in vielen Ländern höher angesehen, zum anderen sinkt die Fruchtbarkeit und damit die Familiengröße in den meisten Weltgegenden seit Jahrzehnten deutlich. Beides kann Eltern dazu bewegen, weibliche Föten abzutreiben, sofern die technischen Möglichkeiten und die gesellschaftliche Akzeptanz vorhanden sind.

In China und Indien führten diese Anreize – zusammen mit dem natürlichen Überschuss von fünf Prozent männlichen Geburten – zu derzeit 50 Millionen überzähligen Jungen und Männern unter 20 Jahren. In China zeigen sich die Folgen bereits in stark steigenden Zahlen psychischer Erkrankungen bei jungen Männern ohne Heiratsaussichten. In Gesellschaften, in denen männliche Nachkommen einen hohen Stellenwert genießen, ist oft auch der Druck auf Männer hoch, eine Familie zu gründen. In den meisten Ländern aber geht der Überschuss an männlichen Geburten inzwischen zurück, Länder wie Südkorea und Georgien sind inzwischen wieder beim natürlichen Wert angekommen. In China allerdings, wo der Überschuss an Jungen wegen der Ein-Kind-Politik mit bis zu 118 : 100 am deutlichsten ausgeprägt ist, verbessert sich die Situation nur langsam. Der Grund: Es fehlen nun schlicht die Frauen im gebärfähigen Alter.

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