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Hirschhausens Hirnschmalz: Vom inneren Hören

Die Coronakrise zwingt uns dazu, unserer Innenwelt mehr Beachtung zu schenken. Das hat in der Vergangenheit schon so manches Genie beflügelt.
Dr. Eckart von Hirschhausen

Was Mozart seine Mozartkugeln, sind Beethoven seine Mäuse. Beide Komponisten haben solchen posthumen Nachruhm wahrscheinlich nie gewollt, aber danach fragt ja keiner. Wo kein Kläger, da kein Richter. Und das wäre bei Beethoven wohl auch auf taube Ohren gestoßen. Haha.

Nun zur Wissenschaft: Beethovenmäuse sind genetisch sehr speziell, denn sie können bestimmte Kanalproteine nicht bilden, die eine tragende Rolle im Innenohr spielen. Fehlen diese Kanäle, fällt der ganze Sinneskanal aus. Die Haarzellen im Innenohr setzen akustische Signale in Nervenimpulse um – und sie sind anfällig für Schäden: Disko, Kopfhörer, Knalltrauma, aber auch Antibiotika setzen ihnen zu. Allerdings: Rund die Hälfte aller Hörstörungen sind genetisch bedingt, und man kennt mehr als 100 Mutationen, die Taubheit auslösen. Der Austausch einer einzigen Aminosäure im Erbcode für das Protein TMC1 etwa genügt, und das Wunder des Hörens bricht zusammen. Deshalb weisen uns die Beethovenmäuse hoffentlich einen Weg, angeborene Schwerhörigkeit in Zukunft bei der Wurzel zu packen. Was jetzt schon klappt: Durch Injektion eines Gen-Editors in die Hörschnecke konnte bei Mäusen eine vererbte Taubheit verhindert werden. Da wünscht man sich manchmal, Maus zu sein – dann hätte man längst ein Wundermittel für alles.

2020 ist Beethoven-Jahr. Doch durch eine neue Variante des Coronavirus, die zur Pandemie führte, fallen vorerst alle Konzerte aus. Auch ein Hörverlust. Mit meiner Stiftung HUMOR HILFT HEILEN unterstütze ich ein Projekt, das Grundschülern das gemeinsame Singen näherbringt. Unser Konzert »Starke Kinderstimmen – gut eingestimmt fürs Leben« mit 4000 Sängern mussten wir auf unbestimmte Zeit verschieben. Mist! Das Beeindruckende an Beethoven war, wie ihn die Musik über die schwerste Krise seines Lebens rettete. Diese seelische Stärke, neudeutsch Resilienz, wünsche ich uns allen, die wir von ganz anderen Krisen geschüttelt werden.

Beethoven schrieb einst an seinen Arzt: »Mein Gehör ist immer schwächer geworden, und das soll sich durch meinen Unterleib ereignet haben.« Das erinnert an das Märchen, wonach sich selbst zu befriedigen blind macht. Kurzer Faktencheck: Liebe macht blind, masturbieren nicht! Und durch Unterleibskrankheiten ertaubt keiner. Von Genetik hatten Beethovens Ärzte leider keine Ahnung, daher gab es die absurdesten Theorien und schädliche Therapien mit Stromstößen und bleihaltigen Umschlägen. Man hätte Beethoven gewünscht, Kassenpatient zu sein. An denen wird weniger Unsinn ausprobiert.

Eckart Altenmüller, einer der wenigen Musikmediziner in Deutschland, meint, Beethoven habe innerlich alles sehr präzise gehört. Seine reiche musikalische Innenwelt verdankte er seinen Schläfenlappen. Und da in jeder Krise eine Chance steckt, könnte es auch für ihn befreiend gewesen sein, sich auf seine Innenwelt zu konzentrieren. Altenmüller: »Beethoven konnte sich von der Gesellschaft entkoppeln; er musste sich nicht den Mist seiner Kollegen anhören.« Seine »Ode an die Freude« hat er selbst nie gehört. Dafür aber Millionen Menschen nach ihm. Lassen wir uns überraschen, wozu die Verbannung ins Innere durch Corona uns noch inspiriert. In 250 Jahren sind wir bestimmt schlauer.

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  • Quellen

Urnov, F.: An ode to gene edits that prevent deafness. Nature 553, 2018

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