Direkt zum Inhalt

Hirschhausens Hirnschmalz: Faule Komplimente

Frauen werden häufiger belogen, um ihre Gefühle zu schonen. Keine gute Taktik, findet unser Kolumnist Eckart von Hirschhausen.
Wenn der Beurteiler glaubt, Frauen vertrügen keine aufrichtige Kritik, lügt er lieber.

»Nur weil sich keiner beschweren kommt, heißt das nicht, dass alle Fallschirme aufgehen.« Mit diesem Satz sind wir mitten im Thema: wie wichtig Feedback ist, um die eigene Leistung richtig einzuschätzen. Sofern man daran überhaupt ein Interesse hat. Die beiden Sozialpsychologen Justin Kruger und David Dunning erforschten den später nach ihnen benannten Effekt, dass Unwissenheit oft zu mehr Selbstvertrauen führt als tatsächliches Wissen oder Können. Auf gut Deutsch: Ausgerechnet die Inkompetenten neigen dazu, ihre Fähigkeiten zu überschätzen. Trump lässt grüßen. 20 Jahre später untersuchen Lily Jampol und Vivian Zayas, ebenfalls an der Cornell University, eine bislang unbeachtete Facette von Verzerrung durch Feedback: »white lies«. Das sind weniger Notlügen als vielmehr bequeme Unwahrheiten, um die Gefühle anderer zu schützen oder einer Konfrontation zu entgehen. Spielt das Geschlecht dabei eine Rolle?

Im ersten Experiment lasen die Teilnehmer die Einschätzung eines hypothetischen Managers zur schlechten Leistung eines Mitarbeiters und dann das Feedback, das der Manager demjenigen gab. Es war entweder wahr und hart oder falsch und nett. Siehe da: Die Teilnehmer vermuteten mit großer Mehrheit, dass ein unterdurchschnittlicher Mitarbeiter, der nett belogen wurde, eine Frau war. In der zweiten Studie sollten die Probanden zwei schlecht geschriebene Aufsätze bewerten, wobei das Geschlecht der Verfasser verborgen blieb. Als Nächstes galt es, jedem Essayschreiber im Chat eine Rückmeldung zu geben, wobei die Namen und damit das Geschlecht offengelegt wurden. Eine fiktive »Sarah« bekam hier deutlich mehr positive Kommentare als ein »Andrew«.

Wenn der Beurteiler glaubt, Frauen vertrügen keine aufrichtige Kritik, lügt er lieber

Was bedeutet das? Laut den Autoren beeinflussen Stereotype über das mangelnde Selbstvertrauen von Frauen den Bewertungsprozess. Wenn der Beurteiler glaubt, Frauen vertrügen keine aufrichtige Kritik, lügt er lieber. Das gilt als einfühlsam und unterstützend, während man Männern ihre lausige Performance um die Ohren haut. Allerdings meinten die Teilnehmer, sie hätten beide Geschlechter gleichermaßen ehrlich bewertet, ihnen war die Verzerrung also nicht bewusst.

Stereotype sorgen dafür, dass Frauen weniger aufrichtiges Feedback erhalten, was zugleich ihre Aufstiegschancen untergräbt. Denn der Teufelskreis ist doppelt: Bekomme ich keine ehrliche Rückmeldung, nimmt mir das die Chance, mich zu entwickeln. Und wenn mir andere vorsorglich lauter Nettigkeiten sagen und ich dann merke, dass sie logen – was macht das wohl mit meinem Selbstbewusstsein? Jampol und Zayas sehen darin einen Grund für die »gläserne Decke«, wonach Frauen bei gleicher Qualifikation seltener Führungsjobs übernehmen.

In der Corona-Krise gab es viel Feedback zu Managementqualitäten. Der Historiker Timothy Garton Ash brachte es auf den Punkt: »Die Länder, die in dieser Krise am besten fuhren, wurden fast allesamt von Frauen geführt: Deutschland, Neuseeland, Norwegen, Finnland, Taiwan.« Gleichzeitig sind Männer als Entscheider so präsent wie selten, aber sie reden von Krieg. Wer erklärt ihnen, wie schlecht sie sind?

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen

Jampol, L., Zayas, V.: Gendered white lies: Women are given inflated performance feedback compared with men. Personality and Social Psychology Bulletin 10.1177/ 0146167220916622, 2020

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.