Direkt zum Inhalt

Notfalltherapie: Albtraum Intensivstation

Viele ehemalige Klinikpatienten werden noch lange von quälenden Erinnerungen an das Krankenhaus verfolgt. Mediziner untersuchen, ob das Stresshormon Cortisol einer Traumatisierung vorbeugen kann.
An Maschinen angeschlossen, fremden Menschen ausgeliefert und oft in Todesangst: Die hilflose Lage auf einer Intensivstation können viele ehemalige Patienten nicht mehr vergessen. Zwischen 5 und 30 Prozent von ihnen entwickeln laut Experten eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), also eine psychische Erkrankung in Folge eines sehr belastenden Ereig-nisses. Typisch sind von starker Angst begleitete Erinnerungen und Albträume, in denen die Betroffenen ihr Trauma auch Monate oder Jahre nach Entlassung aus der Klinik immer wieder durchleben.

Wie Mediziner solchen Spätfolgen vorbeugen können, schildert das Psychologiemagazin Gehirn&Geist in seiner aktuellen Ausgabe (03/2007). Gustav Schelling, Anästhesist am Münchner Univer-sitätsklinikum, untersucht seit Ende der 1990er Jahre die psychischen Folgen einer intensivmedizinischen Behandlung. In mehreren Studien konnte er an Intensivpatienten nachweisen, dass ein Mangel des körpereigenen Stresshormons Cortisol die traumatischen Erinnerungen verfestigt. Wie der Mediziner in Gehirn&Geist berichtet, kann die kontrollierte Behandlung mit dem Hormon helfen, einer PTBS vorzubeugen. »Mittels Cortisolgabe während der Intensivtherapie konnten wir das Risiko einer PTBS für die Patienten deutlich senken«, berichtet Schelling. .

Ob eine Cortisolbehandlung auch langjährigen PTBS-Patienten helfen kann, untersucht derzeit Dominique de Quervain von der Universität Zürich gemeinsam mit anderen Forschern in einer internationalen Studie. Bei drei Patienten einer Vorstudie reduzierte das Hormon die traumatischen Erinnerungen um durchschnittlich 40 Prozent. .

Erlebnisse von Patienten auf Intensivstationen erfahren erst seit knapp zehn Jahren eine besondere Beachtung in der Trauma-forschung. Um die psychische Belastung schon in der Situation selbst zu mildern, empfiehlt Traumaforscher Schelling, Patienten bei ihrer Orientierung auf der Station zu unterstützen – zum Beispiel indem Angehörige und Klinikpersonal immer wieder erklären, wer sie sind und wo sich der Patient befindet. Dies beuge auch einem Delir vor, der häufigsten psychiatrischen Erkrankung auf Intensivstationen. Sie trifft im Durchschnitt einen von drei Patienten. Die Betroffenen sind verwirrt und desorientiert und leiden häufig unter Verfolgungswahn. Weil dieser meist vorübergehende Zustand zusätzlich belastet, erhöht ein Delir laut Schelling das Risiko für eine PTBS..

Einer PTBS geht immer ein schreckliches Erlebnis voraus, bei dem der Betroffene in Lebensgefahr schwebte oder anderweitig körperlich bedroht wurde, wie etwa bei einem Überfall oder einer Naturkatastrophe. Auch Zeugen solcher Situationen können manchmal eine PTBS entwickeln. Die Betroffenen leiden nicht nur an ihren Erinnerungen – meist fühlen sie sich zudem wie betäubt und sind teilnahmslos, gleichzeitig aber reizbar und schreckhaft. Sie versuchen Situationen zu vermeiden, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Weit verbreitet sind auch Schlaf- und Konzentrationsstörungen. .

Bislang gelten Antidepressiva wie Fluoxetin oder Sertralin als wirksamste Medikamente gegen PTBS. Psychotherapie für Trauma-patienten greift hingegen häufig auf die Methode der Konfrontation zurück. Der Patient setzt sich dabei schrittweise seinen quälenden Erinnerungen oder den Angst auslösenden Situationen aus, mit dem Ziel, das Trauma emotional zu verarbeiten und die Furchtreaktion aus dem Gedächtnis zu löschen. Nun könnte eine rechtzeitige Cortisol-behandlung womöglich helfen, dass es gar nicht erst zu einer PTBS kommt.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Gehirn&Geist, 3/2007
Ein Beleg wird erbeten.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.