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Virtuelle und reale Amokläufe

Carsten Könneker
Das Geschehen scheint einem festgelegten Schema zu folgen: Nach dem Amoklauf eines ehemaligen Schülers an einer Emsdettener Geschwister-Scholl-Realschule beherrscht wieder eine Debatte das Land, wie gefährlich "Killerspiele" für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen tatsächlich sind. Denn wie Robert Steinhäuser, der Todesschütze von Erfurt, galt auch der 18-jährige Sebastian B., der auf seinem fürchterlichen Rachezug eine Lehrerin, drei Schüler und einen Hausmeister durch Schüsse verletzte, bevor er sich selbst richtete, als einsilbiger Waffennarr und Freund gewaltverherrlichender Videospiele. Kein Wunder also, dass sich jetzt die Politiker am Drücker sehen: Vertreter der Regierungsparteien erinnern an den Koalitionsvertrag, der eine Neubewertung des Jugendmedienschutzrechtes vorsieht. Dieter Wiefelspütz von der SPD und sein CDU-Kollege Wolfgang Bosbach denken gar an ein Verbot so genannter Ego-Shooter. Die CSU kündigte eine entsprechende Initiative im Bundesrat an. Bayerns Innenminister Günther Beckstein will das Internet stärker polizeilich überwachen lassen. Experten der Opposition, etwa der Bündnisgrüne Volker Beck, betonen hingegen die Notwendigkeit, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu fördern, da ein gesetzliches Verbots ohnehin kaum kontrollierbar sei.

Was den Fall von Emsdetten so pikant macht: Sebastian B. hatte gar Teile der Geschwister-Scholl-Realschule virtuell nachgebaut, als 3-D-Animation für den Ego-Shooter "Counter-Strike" – und seinen Amoklauf offenbar vielfach auf dem Rechner simuliert, bevor er die Virtualität gegen die Realität eintauschte.

Die Auswirkungen von exzessivem Konsum gewaltverherrlichender Medien wie Videos oder Simulationsspielen beschäftigen auch Psychologen und Hirnforscher. Aus aktuellem Anlass machen wir drei Texte zum Thema aus Gehirn&Geist hier frei zugänglich. Der Artikel "Nahkampf im Kinderzimmer" bündelt eine Vielzahl internationaler Studien. So haben Hirnforscher herausgefunden, dass andauernder Konsum einschlägiger Ballerspiele die Aktivität im Fontallappen senkt. Dieser Hirnregion kommt die wichtige Aufgabe zu, unsere spontanen Gemütsregungen und Impulse zu kontrollieren und so unser Verhalten zu steuern. Psychologen haben nachgewiesen, dass unsere "Betroffenheitsschwelle" durch PC-Gewaltspiele steigt: Unmittelbar nach einem virtuellen Gemetzel am Monitor reagieren Kinder auf Fotos von Menschen oder Tieren in Not weniger empfindsam als sonst. Schwindendes Mitgefühl für andere durch Dauerdaddeln im Kinderzimmer? Der Verdacht liegt nahe, allerdings mangelt es immer noch an aussagekräftigen Langzeitstudien.

Im Gehirn&Geist-Interview berichtet der Kriminologe Christian Pfeiffer über seine Forschungen. Er hat untersucht, welche Wirkungen Fernseh- und Videospielgewalt auf Schulleistungen und aggressives Verhalten insbesondere bei Jungen haben. In meinem eigenen Kommentar nach dem Erfurter Amoklauf 2002 habe ich mich mit der fortschreitenden Perfektionierung simulierter Wirklichkeiten, ihren Verheißungen etwa bei der Ausbildung von Chirurgen oder Piloten wie auch ihren Gefahren für Heranwachsende beschäftigt. Meine damalige Forderung, die Medienerziehung an Schulen durch konkrete Maßnahmen im Bereich der Lehrerweiterbildung zu verbessern, um die Kinder auf neue Technologien besser vorzubereiten, erneuere ich hiermit.

Herzlich Ihr
Carsten Könneker

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