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Psychische Störungen: Computerspielsucht

Was ist eine Computerspielsucht? Wie entsteht sie? Und was kann passieren, wenn sie nicht behandelt wird? Informationen für Betroffene und Angehörige.
Computerspielsucht

Was ist eine Computerspielsucht?

Als süchtig gelten Menschen, die nicht allein deshalb Computer spielen, weil es ihnen Spaß macht, sondern weil sie nicht anders können. Sie beschäftigen sich gedanklich ständig mit dem Spielen, haben ein unwiderstehliches Verlangen danach und reagieren gereizt oder nervös, wenn sie daran gehindert werden. Die Betroffenen vernachlässigen andere Interessen, Freunde, Essen, Familie, Schule und Arbeit – alles wird zur Nebensache, das Spielen dominiert das ganze Leben. Viele nehmen auch negative Konsequenzen wie den Verlust des Arbeitsplatzes, des Partners oder der Partnerin in Kauf. Etwaige Versuche, das Spielen einzuschränken oder aufzugeben, scheitern.

Das stärkste Suchtpotenzial haben offenbar so genannte MMORPGs (Massively Multiplayer Online Role-Playing Games), bei denen die Spieler gemeinsam mit zahlreichen Gleichgesinnten Aufgaben in einer virtuellen Welt meistern und auf durchschnittliche Spielzeiten von rund 30 Stunden pro Woche kommen.

Wie Spiel- oder Kaufsucht ist die Computerspielsucht eine so genannte Verhaltenssucht. Als eigenständiges Störungsbild ist sie bislang nicht anerkannt und streng genommen nicht diagnostizierbar, da sie nicht im ICD-10 aufgeführt wird, der aktuellen Version des internationalen Klassifikationssystems für Krankheiten. Die Aufnahme steht jedoch bevor.

Wie verbreitet ist diese Sucht?

Repräsentative Daten fehlen bisher; es liegen aber viele sehr unterschiedliche Schätzungen vor, die je nach Altersgruppe stark schwanken. Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind demnach zwischen ein und sechs Prozent betroffen, darunter um ein Vielfaches mehr Jungen als Mädchen. Unter Onlinespielern liegt die Zahl der Abhängigen bei schätzungsweise zehn Prozent.

Wie entsteht Computerspielsucht?

Wie bei allen psychischen Störungen wirken auch hier mehrere Faktoren zusammen.

Neurobiologie: Exzessives Computerspielen beruht offenbar auf den gleichen hirnphysiologischen Prozessen wie etwa Alkoholismus: Das Gehirn eines Spielsüchtigen reagiert auf einen Screenshot seines Lieblingsspiels ähnlich wie das eines Alkoholikers auf den Anblick eines Biers. Die Szenen werden beim exzessiven Spielen durch wiederholte Lernerfahrungen emotional positiv besetzt, was das Belohnungssystem im Mittelhirn sensibilisiert. Gemeinsam mit anderen Hirnstrukturen bildet es das so genannte Suchtgedächtnis, welches Reize, die mit dem Spiel assoziiert sind, mit einer Belohnungserwartung verbindet und auf diese Weise zum erneuten Spielen motiviert. Dass die meisten Süchtigen männlichen Geschlechts sind, hat offenbar mit dem Belohnungszentrum zu tun: Es regt sich bei Männern von Beginn an stärker und legt noch einmal an Aktivität zu, wenn sie beim Spielen neue Territorien erobern.

Persönlichkeit: Hohe Impulsivität und geringe Selbstkontrolle begünstigen die Sucht. Ein besonderes Risiko tragen deshalb offenbar Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Auch Selbstwertprobleme gehen häufig mit einer Verhaltenssucht einher. Menschen mit schwachem Selbstwertgefühl sind besonders anfällig für Online-Computerspiele, denn in der virtuellen Welt ist Prestige einfacher zu erlangen und der Weg dorthin kontrollierbar. Da sich die Spieler häufig mit anderen in virtuellen Gruppen organisieren müssen, meistern sie ihre Aufgaben gemeinsam, bekommen dafür Anerkennung und fühlen sich ihrer Gruppe zugehörig. Das steigert das Selbstwertgefühl. Schätzungsweise jeder dritte Betroffene leidet an keiner Vorerkrankung und wird erst auf Grund dieser Eigenschaften des Spiels süchtig.

Stressbewältigung: Die Mehrzahl der Abhängigen versucht jedoch, mit Hilfe des Spielens andere psychische Probleme wie Depressionen oder eine soziale Phobie zu bewältigen. In der Fantasiewelt kann der Spieler Stress, Frust, Ärger und Unsicherheit vergessen. Er lernt, dass er auf diese Weise seine Stimmung verbessern kann. Wegen der negativen Konsequenzen wie dem Verlust von Freunden, Familie und Arbeitsplatz kann er so in einen Teufelskreis geraten: Während er im realen Leben immer mehr Probleme hat, wird er in der virtuellen Welt zu einem angesehenen Spieler. Problematisch wird das vor allem dann, wenn das Abtauchen in die Parallelwelt die einzig verfügbare und wirksame Strategie gegen negative Emotionen ist.

Welche Folgen hat diese Sucht?

Unter der Sucht leidet auch die Gesundheit: Zum Beispiel gerät der Schlaf-wach-Rhythmus durcheinander, wenn die Spieler regelmäßig bis in die frühen Morgenstunden am Rechner sitzen. Viele ernähren sich schlecht und werden übergewichtig, weil sie sich nicht mehr genug bewegen. Weitere körperliche Folgeerscheinungen sind muskuläre Überanstrengung, Fehlbelastung des Skeletts, Kopfschmerzen und im Extremfall Thrombosen nach tagelangem Sitzen. Das Geschehen auf dem Bildschirm kann außerdem epileptische Anfälle auslösen.

Im Zentrum stehen jedoch die sozialen und beruflichen Konsequenzen: Die Leistungen in Schule oder Beruf sinken infolge von Fehlzeiten, Übermüdung und Konzentrationsproblemen. Freunde und Familie wenden sich ab. Aus Scham oder Angst sprechen viele Betroffene nicht über ihre Sucht, leugnen sie oder suchen erst dann Hilfe, wenn sie sich verschulden, das Dach über dem Kopf verlieren oder eine Partnerschaft beziehungsweise die Familie daran zu zerbrechen droht.

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