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Immer nach der Uhr

Erst der Zufall, dann das Glück, jetzt die Zeit: Ex-Spiegel-Redakteur und Bestsellerautor Stefan Klein nimmt sich ein großes Thema nach dem anderen vor. Gleichzeitig sind es ja aber auch die ganz "kleinen" Themen, die uns der Alltag - oder besser das Leben – immer wieder beschert. Wir sagen dann: "Der Zufall wollte es so", "Da hast du Glück gehabt!" oder "Die Zeit läuft mir davon!". Wir schreiben diesen Dingen eine objektive Existenz zu, als seien Zufall, Glück und Zeit Dinge wie etwa die Sonne, der Sand und das Meer, die nach eigenen festen Gesetzen existieren – gegen die wir machtlos sind.

Was rennt denn da?

Doch Klein sieht das ganz anders: Gerade bei der Zeit sollten wir uns klarmachen, wie viel davon in jedem von uns selbst steckt. Uns rennt die Zeit davon - mit Betonung auf "uns", denn eigentlich tut die Zeit gar nichts, als Sekunde für Sekunde zu verrinnen und dabei die Gleichgültigkeit einer Küchenuhr an den Tag zu legen.

Wir sind es selbst, die ein Zeitgefühl haben oder eben nicht, die Hetze empfinden, wenn angeblich die Zeit fehlt, und Langeweile, wenn plötzlich ganz viel davon da ist. Unsere innere Uhr ist nämlich nicht gleichbedeutend mit der Uhr, die über dem Küchentisch hängt, auch wenn wir immer wieder so tun, als wäre das so.

Der Autor hat also eine Art Aufklärungsbuch geschrieben. Er nennt es sogar eine "Gebrauchsanleitung", und das klingt so, als müsste man das Buch ganz schnell wieder zurück ins Regal stellen, zu den anderen 100 Ratgebern über Zeitmanagement und Hetze und innere Zeit und dieses Drama des modernen Menschen überhaupt.

Doch nach der Lektüre möchte man dem Buchhändler empfehlen, die anderen 100 Bücher ins Lager zu packen, denn das hier ist einfach besser. Es wärmt keine Plattitüden auf und schlägt kein schillerndes Rad mit pompösen "wissenschaftlichen" Erkenntnissen und daraus abgeleiteten banalen Tipps. Es sagt nicht "manage deine Zeit" und "schreib eine Liste und arbeite sie ab", sondern: Begreife, warum du so viel managen und Listen schreiben kannst, wie du lustig bist – und trotzdem das Gefühl haben wirst, ein Getriebener zu sein!

Wer wirklich nach seiner inneren Zeit leben will, der muss begreifen, dass Zeit nicht das ist, was die Uhr uns sagt. Innere Zeit, also Zeitempfinden, ist eine komplexe Leistung unseres Gehirns. Und das gehetzte Gefühl entstammt eigentlich der Unfähigkeit, die eigene Aufmerksamkeit ungeteilt einer Sache zu widmen.

Jeder braucht rund eine Viertelstunde, bis er in etwas "drin" ist und konzentriert und mit Freude daran arbeiten kann. Doch diese 15 Minütchen werden durch verschiedene Aufmerksamkeitsfallen wie ständiges Telefonklingeln oder den Kollegen in der Tür so sehr in die Länge gezogen, dass plötzlich der Tag um ist. Dann haben wir eintausend Sachen erledigt und gehen trotzdem nach Hause mit dem Gefühl, eigentlich nichts getan zu haben.

Gehetztes Multitasking verschlingt nämlich nicht nur viel mehr Zeit, als wenn wir nach dem guten alten Spruch "eins nach dem anderen" handeln würden. Es hat auch noch den unschönen Nebeneffekt, dass wir uns viel schlechter an die Dinge erinnern, die wir getan haben. Und so rinnt sie uns durch die Finger, die kostbare Zeit, weil wir plötzlich nicht mal mehr eine vernünftige Vergangenheit haben, auf die wir zurückblicken können.

Das Problem ist also nicht "die Zeit" an sich, sondern unsere Selbstkontrolle: Die so genannten Exekutivfunktionen steuern den Scheinwerfer unserer Aufmerksamkeit, und wenn sie gut trainiert sind, dann zuckt der nicht ständig hin und her, sondern bleibt bei der Sache. Logisch, dass die dann auch schneller erledigt wird.

Coachen Sie Ihr Kontrollorgan!

Täglich Listen zu führen ist also nur dann sinnvoll, wenn wir unser inneres Kontrollorgan darin coachen, auch bei dem zu bleiben, was gerade auf der Liste steht. Und wie schafft man das? Indem man Aufmerksamkeit und Konzentration trainiert – durch Skatspielen zum Beispiel: Die Zocker müssen über das ganze Spiel hinweg im Kopf behalten, welche Karten gefallen sind. Das trainiert die Exekutivfunktionen.

Stefan Klein hat eine Antwort auf die moderne Zeitfrage: Wir, die Kinder der westlichen Lebensweise, haben heute so viel Zeit wie nie zuvor, denn die Stechuhr stirbt aus und die selbst bestimmte Arbeitszeit ist auf dem Vormarsch. Jetzt müssen wir die neu gewonnenen Möglichkeiten nur noch zu nutzen lernen. Gut, dass es diese Gebrauchsanleitung gibt.

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  • Quellen
Gehirn&Geist 11/2006

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