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Urbanes Leben: Stadtleben macht seelisch krank

Weltweit nimmt die Verstädterung zu. Doch das Leben in Ballungszentren verursacht Stress und belastet die Psyche. Wissenschaftler heben jetzt herausgefunden, was im Gehirn gestresster Großstädter schiefläuft.
Anonyme Masse
Städte üben schon seit Jahrhunderten eine magische Anziehungskraft auf die Menschen aus. Und das Stadtleben bietet ja durchaus auch seine Vorzüge: Verglichen mit Landbewohner geht es Städtern zumindest finanziell besser, sie können leichter auf Gesundheitsvorsorge und Krankenbehandlung zurückgreifen, sie sind besser ernährt. Doch Mediziner wissen schon seit Längerem, dass die Großstadt die seelische Gesundheit ihrer Bewohner belastet: Etliche psychische Erkrankungen wie Depression, Angststörungen oder Schizophrenie treten hier verstärkt auf.

Die Ursachen für dieses höhere Erkrankungsrisiko blieben bislang rätselhaft. Wie Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralinstituts für Gesundheit in Mannheim, in der neuen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Gehirn&Geist" (1-2/2012) erklärt, ist hierfür der in Großstädten verstärkt auftretende soziale Stress verantwortlich, der anscheinend direkt in die Hirnphysiologie eingreift. Die Mannheimer Forscher ließen gesunde Probanden, die aus einer Metropole, einer Kleinstadt oder vom Land stammten, Denksportaufgaben lösen und maßen dabei gleichzeitig deren Hirnaktivitäten per funktioneller Magnetresonanztomografie.

Der Clou: Die Wissenschaftler hatten das Experiment so ausgerichtet, dass die ahnungslosen Versuchspersonen glauben mussten, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. So suggerierte ein im Tomografen eingeblendeter "Leistungsmesser", sie seien verglichen mit den anderen Teilnehmern besonders schlecht. Der Versuchsleiter forderte sie kopfschüttelnd auf, sich doch bitte etwas mehr anzustrengen, weil man sonst die Ergebnisse nicht verwerten könnte.

Bei den derart gestressten Probanden zeigten sich tatsächlich unterschiedliche Hirnaktivitäten in Abhängigkeit von ihrer geografischen Herkunft: So regte sich die Amygdala vor allem bei Großstadtmenschen, während sie bei Kleinstädtern und Dorfbewohnern nahezu unbeeindruckt blieb. Eine erhöhte Aktivität der Amygdala – dem "Gefahrensensor" des Gehirns – ist wiederum mit Depression und Angsterkrankungen verknüpft.

Die Aktivität einer weiteren Hirnregion, des perigenualen anterioren Zingulums (pACC), hing davon ab, wo die Probanden aufgewachsen waren: Je mehr Jahre sie während ihrer Kindheit in einer Metropole verbracht hatten, umso stärker regte sich dieses Hirnareal unter sozialem Stress. Das pACC ist wiederum bei Schizophreniepatienten strukturell verändert.

Die beiden Hirngebiete, Amygdala und pACC, sind funktionell durch eine Rückkopplungsschleife verknüpft, welche normalerweise die Aktivität der Amygdala hemmt. Meyer-Lindenberg vermutet nun, dass der Stress der Großstadt diesen Regelkreis stört und damit das Risiko für psychiatrische Leiden erhöht.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Gehirn&Geist, Januar-Februar 2012
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