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Wege zum Bewusstsein

Bewusstsein ist für Philosophie und Hirnforschung gleichermaßen ein Rätsel. Der Kognitionswissenschaftler Alexander Pastukhov setzt sich mit den Fragen auseinander, wozu Bewusstsein dient und ob die Neurowissenschaften es erfassen können.
Alexander Pastukhov
Alexander Pastukhov studierte an der Staatlichen Technischen Universität Wolgograd in der Abteilung für automatische Kontrollsysteme, wo er bis 2001 im Bereich der Künstlichen Intelligenz und der Natürlichen Sprachverarbeitung forschte. Er promovierte in Computerlinguistik und Künstlicher Intelligenz, indem er versuchte, eine Programmiersprache zu entwickeln, die der natürlichen Sprache so ähnlich wie möglich ist.
Um zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert – so war seine Überzeugung – müsse man bei komplexen Prozessen wie der Sprachverarbeitung ansetzen. Heute untersucht er grundlegende Prozesse der visuellen Wahrnehmung: Seit 2003 ist Alexander Pastukhov Mitglied der Forschungsgruppe für Kognitionsbiologie um Professor Jochen Braun – zunächst an der Universität Plymouth und seit 2004 an der Universität Magdeburg. Seine Forschungsgebiete sind Aufmerksamkeit und Bewusstsein in der Neurobiologie des Sehens.


Herr Pastukhov – was ist Psychophysik?

Psychophysik ist eine Methode. In Experimenten präsentiert man einer bestimmten Spezies einen bestimmten Reiz und beobachtet ihre Verhaltensreaktion. Dann geht man zu physiologischen Studien und bildgebenden Verfahren über. Das macht man so, weil jede Messmethode ihre Grenzen hat. So ist man bei der Physiologie auf einzelne Neurone beschränkt und weiß dadurch nicht, wie die zugehörige Population von Nervenzellen arbeitet. Im Falle der Bildgebung ist es umgekehrt: Unter Nutzung von MRT oder PET kann man sehen, welche Gehirnareale aktiviert werden und wie die Gesamtaktivierung mit dem Reiz korreliert, aber man kennt keine Einzelheiten. Psychophysik ist die einfachste Weise, Zusammenhänge herauszufinden, da wir nur ein menschliches Subjekt benötigen, um das Verhalten bei einem bestimmten Stimulus zu untersuchen. Dadurch erkennt man, wie Menschen Reize wahrnehmen. Danach könnte man basierend auf den Daten ein Computermodell dieses Prozesses erstellen.

Benötigen wir Bewusstsein für grundlegende Prozesse der Informationsverarbeitung?

Nein. Wenn man tatsächlich Bewusstsein benötigte, um etwas zu tun, so würde man unfähig sein, irgendetwas zu tun. Ein wirklich bewusster Prozess ist der des Lernens. Ein kleines Kind verbringt viel Zeit damit, nur zu schauen, wie sich seine Finger bewegen. Ich bin mir sicher, dass es seine Bewegungen bewusst kontrolliert und beobachtet. Wenn das Kind seine Handlungen nach einiger Zeit automatisch ausführt, so benötigt es darüber kein Bewusstsein mehr.
Natürlich ist es auch möglich, unbewusst zu lernen. Beispielsweise gibt es ein Experiment, in dem die Personen wiedergeben sollten, in welchem Quadranten des Bildschirms ein Punkt erscheint. Die Punkte wurden in bestimmten Sequenzen präsentiert. Durch Messen der Reaktionszeit erkannten die Versuchsleiter, dass ihre Probanden die Reihenfolge lernten, ohne sie explizit benennen zu können.

Benötigen wir überhaupt Bewusstsein?

Ja. Wenn ich es nicht benötigte, würde ich es wahrscheinlich nicht haben. Der amerikanische Philosoph Daniel Dennett sagt zum Problem der philosophischen Zombies, dass der Versuch, sich eine Person mit demselben Verhalten, aber ohne Bewusstsein vorzustellen, dem Vorhaben gleichkommt, sich eine gesunde Person ohne funktionierende Lungen, Kopf und Herz vorzustellen. So brauchen wir augenscheinlich Bewusstsein, weil wir ohne es nicht auskommen würden.

Aber wir brauchen es nicht immer.

Sicher, für grundlegende Prozesse brauchen wir es nicht, doch nur bis zu einer Grenze. Man benötigt Bewusstsein, wenn man den automatischen Programmen nicht mehr vertrauen kann, wenn man Dinge möglicherweise zu derselben Zeit herausfinden muss. Aus neurobiologischer Sicht ist es eine ziemlich teure Sache, Bewusstsein zu haben. Denn wir müssen zusätzliche Neuronen haben, die viel Energie verbrauchen, um es aufrecht zu erhalten.

Gibt es irgendeine Erklärung dafür, warum man Bewusstsein nicht für grundlegende Wahrnehmungsprozesse, aber für einige komplexere benötigt?

Nicht, dass ich wüsste. Lange dachten wir, dass Bewusstsein und Aufmerksamkeit dasselbe seien oder einfach zusammenarbeiteten. Dann wurde klar, dass Aufmerksamkeit vollkommen von Bewusstsein getrennt werden kann, weil man Bewusstsein auch ohne Aufmerksamkeit haben kann. Das wurde in Dual-Task-Experimenten gezeigt. Umgekehrt demonstrieren Blindsicht-Studien, dass man durch Aufmerksamkeit geleitet werden kann, ohne sich darüber bewusst zu sein.

Ist das der Unterschied zwischen einem intelligenten Computer und einem Menschen? Es ist zwar möglich, dass ein Computerprogramm Kanten oder Bewegung entdeckt, doch der Unterschied würde darin liegen, dass es kein Bewusstsein hat.

Als ich auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz forschte, stand ich vor dem Problem, dass es sehr viele verschiedene Definitionen vom Begriff der Künstlichen Intelligenz gab, ebenso wie vom Begriff des Bewusstseins. Mein Favorit ist: "Ich weiß nicht, was es ist, doch werde es erkennen, wenn ich es sehe." Solange wir keine Definition des Bewusstseins haben, können wir nicht wirklich sagen, dass jemand oder etwas Bewusstsein hat oder nicht. Roboter können nicht zu unserem Verständnis beitragen. Sie sind einfach nicht komplex genug – sie erscheinen nur intelligent. Die Frage nach Computern liegt in der Zukunft. Wir müssen zuerst die Frage klären, ob weitere Primaten und andere Tierarten Bewusstsein haben – bevor wir uns den Robotern zuwenden.

Kann man wissenschaftlich testen, ob ein Ding oder eine Art Bewusstsein hat oder nicht? Worin besteht das Ziel einer artenvergleichenden Forschung?

Es gibt keinen Test. Zuerst benötigen wir eine brauchbare Definition von Bewusstsein, die wir gegenüber anderen Tierarten testen können. Da sich unsere Gehirne stark von Affengehirnen unterscheiden, haben wir viele Unterschiede und viele Gemeinsamkeiten zu vergleichen. Und wenn man einige Möglichkeiten hätte, Bewusstsein zu messen – und idealerweise nicht nur Anwesenheit oder Abwesenheit, sondern auch den Grad von Bewusstsein –, dann würde das einen großen Fortschritt bedeuten.

Wird es irgendwann einen Weg geben, Bewusstsein wissenschaftlich zu erfassen und nicht mehr davon sagen zu müssen, es sei etwas Immaterielles?

Sicherlich beruht Bewusstsein auf Physiologie. Es ist, wie John Searle sagt: ein Produkt des menschlichen Gehirns. Wir müssen erforschen, warum und wie es aus dieser biologischen Substanz hervorgeht. Ich denke, wir werden es am Ende auch herausfinden, weil wir permanent Fortschritte in den bildgebenden Verfahren und der Psychophysik machen. Man kann viel mit Multistabilität experimentieren, indem man untersucht, wie das Bewusstsein unabhängig von den zugrundeliegenden Informationen wechselt. An diesem Punkt wird alles zusammenkommen.

Wird die Forschung zur Künstlichen Intelligenz auch darauf hinauslaufen?

Ja, obwohl sie mehr praktisch orientiert arbeitet und sich nicht um die Theorie kümmert. Es ist jedoch sehr nützlich zu schauen, wie es bei Menschen funktioniert – aus einem Grund: Weil es da einfach funktioniert. Man kann ein Computermodell erstellen, und dieses kann verständlich machen, wie es im menschlichen Gehirn abläuft. Es ist gewöhnlich ein beidseitiger Austausch. Das Problem beim Vergleich zwischen einem intelligenten Computerprogramm und einem Menschen ist einfach, dass ein Programm im Gegensatz zum Menschen keine Semantik verarbeiten kann.


Die Fragen stellten Jakob Koscholke und Christina Woitscheck, Studierende des Studiengangs "Philosophie – Neurowissenschaften – Kognition" an der Universität Magdeburg, im Rahmen des Seminars "Medienpraxis" unter der Leitung von G&G-Chefredakteur Carsten Könneker.


Glossar

Philosophischer Zombie: Ein "Mensch" mit normalem Verhalten, aber ohne Bewusstseinszustände (z.B. Freude, Trauer, Schmerz)

Dual-task-Experimente: Psychologische Experimente, in denen eine Person zwei Aufgaben gleichzeitig durchführt, wobei ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit stattfindet

Blindsicht-Studien: Studien, in denen gezeigt wurde, dass in Teilen des Gesichtsfeldes, in denen ein am visuellen Kortex geschädigter Proband nichts bewusst sieht, dieser jedoch unbewusst einfache Objektunterscheidungen oder Ortsbestimmungen durchführen kann

Multistabilität: Phänomen, dass die visuelle Wahrnehmung zwischen verschiedenen Interpretationen eines doppeldeutigen Bildes wechselt (z.B. "Rubin-Vase" oder "Necker-Würfel"), während der visuelle Input unverändert bleibt

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