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Psychische Störungen: Agoraphobie

Was ist eine Agoraphobie, wie entsteht sie und was sind die Folgen? Informationen für Betroffene und Angehörige.
Agoraphobie

Was ist eine Agoraphobie?

In der Regel entwickelt sich eine Agoraphobie infolge wiederholter Panikattacken im Rahmen einer Panikstörung. Diese entwickeln sich abrupt und halten meist nicht länger als eine halbe Stunde an. Die Panik geht mit körperlichen Symptomen einher, die Ausdruck der durch die Angst ausgelösten Stressreaktion sind. Oft deuten die Betroffenen die Symptome als Hinweis auf eine körperliche Erkrankung, etwa einen Herzinfarkt, oder sie fürchten, in Ohnmacht zu fallen, verrückt zu werden oder sich in der Öffentlichkeit zu blamieren. Viele Betroffene entwickeln dann eine Angst vor den Situationen, in denen eine Panikattacke schon einmal aufgetreten ist. Meist meiden sie Menschenmengen, öffentliche Plätze, Kaufhäuser, weite Reisen und die Fahrt mit Auto, Bus oder Bahn, oder sie verlassen überhaupt ungern das Haus. Manche fürchten auch, allein zu Hause zu bleiben. Viele vermeiden einige oder alle gefürchteten Situationen, soweit es geht; manchen gelingt dies so konsequent, dass sie gar keine Panikattacken mehr erleben.

Andere setzen sich zwar der gefürchteten Situation aus, gehen also zum Beispiel weiterhin allein einkaufen oder fahren mit dem Bus, erleben dabei aber starke Angst und leiden unter den typischen körperlichen Symptomen einer Panikattacke, zum Beispiel Herzrasen, Zittern, Schweißausbrüchen, Übelkeit, Beklemmungen, Atemnot, Schwindel und Schwäche. Eine solche Panikattacke kann mit harmlosen körperlichen Beschwerden wie Schwindel oder Übelkeit beginnen. Diese werden (mehr oder weniger bewusst) als Bedrohung wahrgenommen, so dass Angst entsteht und die körperlichen Begleitsymptome der Angst die Beschwerden verstärken. Etwaige körperliche Symptome werden nun noch aufmerksamer beobachtet und verstärken die Sorge – die Angst schaukelt sich so selbst auf. Panikattacken können auch im Rahmen anderer psychischer oder körperlicher Erkrankungen entstehen, zum Beispiel bei Schilddrüsenfehlfunktionen oder Depressionen. Auch Herzerkrankungen können ähnliche Symptome auslösen; deshalb sollte man sich medizinisch daraufhin untersuchen lassen.

Wie verbreitet ist die Agoraphobie und wie verläuft sie?

Rund ein Prozent aller Deutschen erkranken mindestens einmal im Leben an einer Agoraphobie ohne Panikstörung; rund zwei bis drei Prozent an einer Panikstörung, die häufig von einer Agoraphobie begleitet wird. Frauen sind dabei mehr als doppelt so oft betroffen wie Männer. Weltweit leiden laut Schätzungen fünf Prozent der Menschen einmal in ihrem Leben an einer Agoraphobie, darunter dreimal so viele Frauen wie Männer.

Während Panikstörungen im Mittel erstmals mit rund 24 Jahren auftreten, beginnen Agoraphobien im Schnitt im Alter von 28. Die Belastung wechselt je nach Stress, zwischen den Panikattacken können lange beschwerdefreie Phasen liegen. Ohne Therapie ist nur knapp jeder fünfte Betroffene sieben Jahre nach Beginn wieder symptomfrei.

Wie entsteht eine Agoraphobie?

Forscher nehmen an, dass verschiedene Faktoren zusammenwirken – wie genau, ist nicht endgültig geklärt.

Biologie: Die Erbanlagen spielen bei Angsterkrankungen eine große Rolle. Bei der Panikstörung geht man davon aus, dass die Erkrankung zu knapp 50 Prozent erblich bedingt ist. Offenbar beeinflussen bestimmte Gene die Mandelkerne (das Emotionszentrum im Gehirn), die mit verschiedenen anderen Hirnstrukturen verschaltet sind und so Gefühlsreaktionen regulieren. Dieses Netzwerk ist bei den Betroffenen überempfindlich, so dass sie eher dazu neigen, mit Angst zu reagieren. Offenbar ist bei Betroffenen der Neurotransmitterhaushalt gestört. Unter anderem vermutet man, dass die Rezeptoren der Nervenzellen weniger sensibel auf die Hirnbotenstoffe Serotonin und GABA reagieren.

Familie: Wer einen Verwandten ersten Grades hat, der an einer Panikstörung leidet, trägt selbst ein im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung doppelt so hohes Risiko, selbst daran zu erkranken. Das liegt zum einen an den gemeinsamen Erbanlagen, kann aber auch auf Umwelteinflüsse zurückgehen. Forscher vermuten, dass vor allem das Lernen am Modell der Eltern zur Entstehung einer Panikstörung beiträgt. Insbesondere der Umgang der Eltern mit Ängsten und Sorgen spielt eine wichtige Rolle. Die Alkoholabhängigkeit eines Elternteils sowie eigene Gewalterfahrungen oder sexueller Missbrauch in der Kindheit prädestinieren ebenfalls für spätere Panikattacken.

Stress: Stress und Überlastung sowie regelmäßiger Konsum von Alkohol oder Drogen begünstigen ebenfalls Panikattacken. Auch Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation und ein schwaches soziales Netz scheinen eine Rolle zu spielen. Bei 80 bis 90 Prozent der Betroffenen trat kurz vor Beginn der Panikstörung ein belastendes Ereignis auf, zum Beispiel ein Trauerfall, eine Trennung oder eine schwere Erkrankung.

Lernerfahrung: Die Ängste halten sich selbst aufrecht: Sobald sich jemand dazu entscheidet, eine Situation zu meiden, in der schon einmal eine Panikattacke auftrat, sinkt seine Angst. Das macht er dann natürlich wieder so, denn es hat sich bewährt. Doch so kann er keine neuen Erfahrungen machen und meidet die Situation weiterhin – die Störung wird chronisch. Wer sich dazu entscheidet, es noch einmal zu probieren, kann ebenfalls in einen Teufelskreis geraten. Weil der Betroffene Angst hat, reagiert sein Körper zum Beispiel mit Zittern und Schwitzen und ruft die befürchtete Symptomatik hervor. Das festigt die Überzeugung: Die Angst war berechtigt.

Was sind die Folgen?

Viele Betroffene bekämpfen ihre Ängste mit Alkohol oder Beruhigungsmitteln. Leider verschreiben viele Allgemeinmediziner Patienten mit Angstsymptomatik Beruhigungstabletten, die sie bei Bedarf einnehmen sollen. Das hilft zwar kurzfristig, ist aber nicht auf Dauer ratsam – es besteht das Risiko, eine Benzodiazepinabhängigkeit zu entwickeln.

Rund jeder zweite Betroffene leidet zusätzlich an einer Depression. Insbesondere dann ist auch die Suizidgefahr erhöht. Häufig ist daneben die Kombination mit anderen Angsterkrankungen wie einer sozialen Phobie, und mehr als jeder Dritte weist zusätzlich eine somatoforme Störung auf. Eine Panikstörung geht außerdem mit einem erhöhten Risiko für Magengeschwüre, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einher.

Wer angstbesetzte Situationen wie Einkaufen, Bus- oder Autofahren konsequent meidet oder immer seltener allein aus dem Haus geht, riskiert einen sozialen Abstieg. Im Extremfall verliert man den Partner, Freunde und seinen Arbeitsplatz. Die Konsequenzen für das Privat- und Berufsleben hängen von der Schwere der Symptomatik und der individuellen Lebenssituation ab.

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