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Hirnforschung: Das durchsichtige Gehirn

Heidelberg. Hirngewebe vor den Augen des Betrachters verschwinden lassen? Klingt nach Zauberei, wird aber heute bereits in Labors praktiziert, berichtet das Magazin „Gehirn und Geist“ in seiner neuen Ausgaben (12/2013). Frank Bradke vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn erforscht mit Hilfe dieser Methode, wie man verletzte Nervenstränge wieder zum Wachsen bringen kann.
Frank Bradke

"Stellen Sie sich eine Milchglasscheibe vor, wie man sie zum Beispiel in Badezimmern findet", sagt der Bonner Hirnforscher Frank Bradke. "Die ist undurchsichtig, weil das Licht an seiner rauen Oberfläche gestreut wird. So ähnlich ist das auch beim Hirngewebe: Man kann nicht hindurchsehen, weil die einzelnen Bestandteile, vor allem Proteine, Wasser und Lipide, das Licht unterschiedlich stark brechen." Genau das können Forscher inzwischen umgehen, indem sie das Gewebe per chemischer Behandlung transparent machen. Dies eröffnet ungeahnte Einblicke in unser Denkorgan.

Die Arbeitsgruppe um Frank Bradke legt auf diese Weise gezielt einzelne Axone, also Nervenfortsätze im Rückenmark von Nagern frei, um deren Wachstum in verschiedenen Versuchsstadien zu analysieren. Davon erhoffen sich die Forscher Aufschluss darüber, wie man verletzte Nerven bei Querschnittsgelähmten wieder zur Regenration anregen könnte.

Das Grundprinzip der revolutionären Bildgebungsmethode ist alt: Bereits 1911 beschrieb es der Leipziger Anatom Werner Spalteholz. Doch erst vor wenigen Jahren wurde es möglich, das empfindliche Hirngewebe per "Clearing", wie die Technik genannt wird, transparent zu machen. Allerdings funktioniert das bislang nur im toten Gewebe. "Es wäre ein Traum, wenn wir Clearing-Methoden auch im arbeitenden Gehirn, einsetzen könnten," erklärt Bradke im GuG-Interview. "Dazu müsste man natürlich erst verträglichere Substanzen haben."

Derzeit experimentieren neben den Bonner Forschern noch andere Arbeitsgruppen auf der Welt mit verschiedenen Mitteln. Darunter auch Karl Deisseroth an der Stanford University. Er verspricht sich viel von dem Ansatz: Damit könnte es endlich gelinge die Verschaltungen größerer Netzwerke im Gehirn sichtbar zu machen, welche bis heute noch weitgehend unbekannt ist. Die dabei gewonnen Erkenntnisse könnten zum Beispiel die Ursachen von Erkrankungen wie Schizophrenie oder Autismus zu erklären helfen, glaubt Deisseroth.

Die einzelnen Transparenzmethoden sind so neu, dass sich die Forscher bislang noch nicht auf einen allgemein gültigen Namen einigten. Ob CLARITY, Clearing oder "Ultramikroskopie" – Bradke ist überzeugt: "Mittels Clearing neuronale Netzwerke sichtbar zu machen, kann uns in Zukunft helfen, die Balance aus Starrheit und Flexibilität des Gehirns besser zu verstehen."

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Gehirn&Geist, November 2013
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