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Licht- und Schattenseiten der Lust

Schön, dass Hirnforschung sich nicht nur für Krankheiten interessiert, sondern auch etwas für die "guten Gefühle" übrig hat. Wer aber bei diesem Sachbuch Rezepte für ein erfülltes Leben erwartet, der sei gewarnt: Es ist (zum Glück) kein Ratgeber!

Um positive Gefühle im Allgemeinen geht es auch gar nicht – der deutsche Untertitel ist da möglicherweise irreführend – sondern ganz speziell um Lust, Rausch und Vergnügen. Deren Kehrseite, das begreift der Leser gleich zu Anfang, ist natürlich doch eine Krankheit, nämlich die Sucht.

Was Lebewesen alles in Kauf nehmen, um ihr neuronales Belohnungssystem zu aktivieren, haben 1953 schon Peter Milner und James Olds in einem Tierversuch gezeigt. Durch Hebeldrücken konnten Ratten Lust auslösende Bereiche ihres eigenen Gehirns stimulieren. Die Tiere taten das so obsessiv, dass sie darüber Essen und Trinken vergaßen – nur eines von vielen spannenden Experimenten, anhand deren Autor David J. Linden erklärt, warum sich Drogen, Sex und Glücksspiele, aber auch Sport und Meditation so gut anfühlen können.

Wie der Professor für Neurowissenschaften von der Johns Hopkins University in Baltimore zeigt, ist der Mensch nicht das einzige Lebewesen, das Rauschzustände erlebt. Überhaupt plädiert der Autor für ein artenübergreifendes und neurobiologisches Modell des Wohlgefühls. Damit sich der Leser nicht im Wirrwarr der Morphine, Endorphine und Enkephaline verirrt, versorgt Linden ihn auch mit neurowissenschaftlichem Grundwissen. Man lässt sich dabei gern von ihm an die Hand nehmen: Leserfreundlich und nicht ohne Ironie erklärt er die zelluläre und molekulare Basis des Vergnügens und den aktuellen Forschungsstand zum Thema.

Kritisch beäugt Linden dabei die Tauglichkeit der Studien, die er für seine Lektionen heranzieht. So manche Experimente von Hirnforschern sind ethisch fragwürdig oder methodisch unsauber. Seine Erkenntnisse bettet der Autor in den jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Kontext ein und wirft damit auch moralische und juristische Fragen auf.

Nur die Antworten lässt Linden leider häufig vermissen. Gern hätte man von ihm gewusst, welche Interventionen er bei Suchtproblemen für sinnvoll erachtet oder welche Maßnahmen die Drogenpolitik ergreifen sollte. Doch der Autor beschränkt sich größtenteils auf die Beschreibung der Gegebenheiten. Schlüsse ziehen muss der Leser selbst.

Umso deutlicher positioniert sich Linden bei der Frage, was man innerhalb der nächsten zehn Jahre von der Hirnforschung erwarten kann. Überschwänglichen Zukunftsszenarien erteilt er eine Absage – und man ist ihm dafür dankbar.

"High" ist ordentlich Futter fürs Hirn, aber gut verdaulich. Der Autor unternimmt eine Gratwanderung zwischen wissenschaftlicher Expertise und Unterhaltung. Und es gelingt ihm, ein komplexes Fachgebiet ebenso vergnüglich wie verständlich darzustellen und dabei trotzdem niemals oberflächlich zu werden. Anschauliche Abbildungen an den richtigen Stellen helfen, wenn es mal komplizierter wird, und auch die Fußnoten enthalten nicht nur Quellenangaben, sondern oftmals amüsante Details und Anekdoten. So bietet das Buch einen hervorragenden Überblick über die Neuro- biologie von Lust und Vergnügen.

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  • Quellen
Gehirn & Geist 5/2012

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