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Glosse: Warum das Gute selten ist - vor allem an Weihnachten

Steve Ayan

Es war einmal, vor langer Zeit, da wurde der Sciencefiction-Autor Ted Sturgeon auf einer Tagung seiner Zunft mit dem Einwand konfrontiert, die meiste Sciencefiction-Literatur sei doch erbärmlich schlecht. Sturgeon hielt nicht etwa dagegen, sondern bekräftigte die Kritik: Ja, das stimme, 90 Prozent der Sciencefiction sei absoluter Mist. Aber, so Sturgeon weiter, das treffe doch auf alles zu! Wie recht er hat, fällt einem besonders in der Weihnachtszeit auf, weil man da die nötige Muße für derlei Beobachtungen aufbringt.

90 Prozent der möglichen Geschenke (und der tatsächlichen) sind Mist, 90 Prozent des Fernsehprogramms ist Mist und 90 Prozent der Diättipps sowieso. Die Krakenarme der 90-Prozent-ist-Mist-Regel, die als "Sturgeons Gesetz" in die Geschichte einging, reichen sogar in die höchsten Sphären des akademischen Betriebs hinein: 90 Prozent der philosophischen Fachbeiträge (diese Schätzung stammt übrigens nicht von mir, sondern von dem eminenten US-Philosophen Daniel Dennett) sind Mist, und ich möchte getrost hinzufügen, 90 Prozent der psychologischen und neurowissenschaftlichen ebenfalls. (Wobei die Art des Mists jeweils ganz verschieden ausfällt – aber das ist ein anderes Thema.)

Da fragt man sich: Wie kommt das? Geben sich die Menschen nicht genug Mühe, es wirklich gut zu machen? Unwahrscheinlich. Können sie es nicht besser, müssen aber aus anderen, unzweckdienlichen Gründen so tun – etwa um Geschäfte, Sendeplätze und Diätbücher zu füllen oder um die elende Promotion endlich abzuschließen? Das schon eher. Meine Theorie ist dennoch eine andere: Ich glaube, etwas stimmt nicht mit unserem Gespür für Mist!

Solange es um andere geht, machen wir aus jedem Haar in der Suppe einen Elefanten (Tschuldigung für das verkorkste Bild), kehren aber gleichzeitig die eigenen Missgeschicke unter den mentalen Teppich. So bemerken wir einfach nicht, was wir das liebe Jahr lang selbst verzapfen, und laben uns insgeheim daran, wie dämlich sich doch unsere Mitmenschen anstellen. Kurz gesagt: Wir brauchen all den gefühlten Fremd-Mist, um uns besser zu fühlen. Schöner Mist! Der Schriftsteller Gore Vidal formulierte das einmal so: "Es genügt nicht, Erfolg zu haben; die anderen müssen auch scheitern."

Von den wenigen Beispeien, wo Sturgeons Gesetz anscheinend außer Kraft gesetzt ist, kenne ich eines zufällig gut: Auf wundersame Weise verhält sich hier der Quatsch zur Qualität genau umgekehrt, nämlich zirka 10 zu 90. Das gilt für unsere Zeitschrift "Gehirn und Geist", ob Sie mir glauben oder nicht. In diesem Sinne, Ihnen eine schöne und lehrreiche Weihnachtszeit ... (und das GuG-Geschenkabo nicht vergessen!).

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