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  • Tochter einer kaufsüchigen Mutter

    01.12.2013, Tochter einer kaufsüchtigen Mutter
    Offene Familiengeheimnisse:

    Ich habe sehr unter dem Verhalten meiner Mutter gelitten. Immer wieder kam es durch ihr Verhalten zu Streit in unserer Familie. Mein Vater musste ihre Schulden immer wieder ausgleichen. Oft haben mein jüngerer Bruder und ich uns geschämt oder um die Mutter gekämpft, gelogen und sie verteidigt, wenn z.B. Menschen, denen sie Geld schuldete, uns Kinder wütend darauf ansprachen, "wann die Mutter denn ihre Schulden bezahlte", oder sie damit drohten, es dem Vater zu erzählen. Ab dem 9. Lebensjahr konnte ich von meiner Mutter nichts mehr annehmen. Z.B. Geschenke. Ich fing an, alles, was von ihr kam, abzulehnen. Ich zog die Einsamkeit vor. Ich wollte mich nicht an ihrem Verhalten beteiligen und mich mitschuldig fühlen, denn es stand oft damit in Verbindung, vor dem Vater das Gekaufte zu verheimlichen. Ich wollte ihn und andere Menschen nicht anlügen müssen, und ich war nicht bereit, wie sie es verlangte, andere, meinen Vater und mich selber für ihr Verhalten schuldig zu erklären. Ich entwickelte aus dieser meiner Kindheit eine große Angst vor Geld, Schulden und allem, was mit eigenen Bedürfnissen zu tun hat. Einerseits bin ich sehr stark geworden und hatte gelernt, zu meiner eigenen Meinung und Haltung stehen zu müssen, andererseits musste ich stellvertretend für meine Mutter Verzicht (Abstinenz) üben, mir eigene Wünsche selber verbieten, um nicht im Konflikt zwischen den Eltern und meinen eigenen Ansichten zu ertrinken. Irgendwie ging es mir besser, wenn ich wenigstens versuchte, ihre Schulden im Gewissen abzutragen und durch gelebten Verzicht eine Stärke spürte, welche ich von ihr gebraucht hätte. Dieses Vehalten ließ meinen Lebensalltag gleichzeitig rigide, kalt, arm und koabhängig werden. Ich empfand die Handlungen meiner Mutter als Zerstörung meiner eigenen Möglichkeiten, mich zu entwickeln. Noch heute fühle ich mich oft verfolgt von dieser in der Kindheit erlebten Ohnmacht und dem Gefühl, dass ich meiner Mutter nicht helfen konnte. Hinzu kam, dass ihre Probleme soviel andere Probleme in der Familie überdeckten, dass diese häufig nicht gesehen und damit auch nicht gelöst werden konnten. Meine Rettung war meine eigene Stärke, für mich alleine sorgen zu können, mein lieber Bruder, für den ich (so empfand ich es jedenfalls) die Kraft entwickelte, meine schulischen und beruflichen Ausbildungen, die mir Unabhängigkeit ermöglichten, und viele liebe Menschen außerhalb meiner Familie, die mir in allen Zeiten den nötigen Halt gaben.

    Ich bin im Zuge meiner eigenen Erfahrung zu folgender Überzeugung gekommen:
    Kinder kaufsüchtiger Eltern, werden auf Grund ihrer natürlichen Abhängigkeit von den Eltern in den Sog der Sucht und den Schuldgefühlen des betroffenen Elternteils unfreiwillig mit einbezogen und auf diese Weise in ihrer Entwicklung stark beeinträchtigt.

    Da meiner Meinung nach die Kaufsucht fließende Grenzen hat, um sie als Krankheit überhaupt erkennen zu können, und ebenso noch viel subtilere Verschleierungsmöglichkeiten bietet, als z.B. die Alkoholsucht, enstehen Familiendynamiken, die es für Kinder betroffener Familien unmöglich werden lässt, Hilfe zu bekommen.
    Außenstehende bemerken häufig nichts oder bagatellisieren das Problem ebenso wie der Süchtige selber.
    Es enstehen für betroffene Kinder früh und tiefgreifende Koabhängigkeiten, übernommene tiefe Schuldgefühle, einhergehend mit dem Gefühl der Hilflosigkeit und einer Art Bestrafungsbedürfniss für unsichtbar gebliebene Verhaltensweisen, die das Kind überhaupt nicht getan hat.
    Kinder verknüpfen möglicherweise eigene Bedürfnisse mit dem Gefühl, durch die eigenen Bedürfniss das Verhalten des Elternteils ausgelöst bzw. verursacht zu haben. Dies dann als Beweis anzusehen, dass die eigenen Bedürfnisse Schuld an den Problemen in der Familie seien. Die Bereitschaft eines an einer Sucht erkrankten Menschen immer wieder anderen Menschen die Schuld für ihr Verhalten zu geben, begünstigen die Schuldgefühle bei betroffenen Kindern noch zusätzlich.

    Kinder können die Sucht des Elternteils oder die Art einer süchtigen Familiendynamik (Elterndynamik) nicht begreifen oder durchblicken und beziehen diese Gefühle (wie es Kindern eigen ist) auf sich selbst, und es folgen Selbstwertzweifel, bis hin zu Selbstwerterniedrigung. Ein Teufelskreis, denn die Sucht der Eltern wird auf diese Weise zur Krankheit der Kinder.
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